Fremdsprachen bringen Schweiz weiter
Die Vielsprachigkeit der Schweiz trägt jährlich fast 50 Milliarden Franken an das Bruttoinland-Produkt bei. Das haben Forscher des Nationalen Forschungsprogramms "Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz" beziffert.
Laut einem Team der Universität Genf unter der Leitung von Professor François Grin leistet die Sprachenvielfalt einen nicht unwesentlichen Beitrag zum Bruttoinland-Produkt (BIP) der Schweiz.
«Sie bringt einen wichtigen Mehrwert für die Schweizerische Ökonomie in der Höhe von etwa 10 Prozent des BIP», sagt er gegenüber swissinfo. «Das entspricht ungefähr 50 Milliarden Franken pro Jahr.»
Die Schweiz hat vier offizielle nationale Sprachen: Deutsch wird am meisten gesprochen, gefolgt von Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, das lediglich 0,5% der Bevölkerung sprechen.
Die wichtigste Fremdsprache im Land ist Englisch, das besonders in einigen Deutschschweizer Kantonen in der letzten Zeit zur ersten Fremdsprache in den Schulen geworden ist.
Doch die Sprachenkenntnis wurde in der Wirtschaft bisher als Produktionsfaktor sträflich vernachlässigt, so Grin, der das Projekt «Fremdsprachen im Berufsleben» (LEAP) leitet.
«Ich denke, Fremdsprachen sind eine gute Investition für die gesamte Wirtschaft, mehr als noch für den Einzelnen oder für den Staat.»
Das LEAP-Projekt, das vom Nationalen Forschungsprogramm 56 zur Sprachenvielfalt finanziert wird, untersucht, wie Schweizer Firmen mit der traditionellen Vielsprachigkeit umgehen und wie Sprachen ökonomischen Wert schaffen.
«Die Resultate stimmen mit Kommentaren von Mitgliedern der Landesregierung überein, wonach die Schweiz wegen der vielen hier gesprochenen Sprachen ein guter Wirtschaftsstandort ist», betont Grin.
Standortvorteil
Häufig sprächen Angestellte in Firmen drei, vier oder gar fünf Sprachen. Das trage zur Wertsteigerung bei und sei ein verhältnismässiger Vorteil für die Schweiz.
«Interessant ist, dass man veranschaulichen kann, dass die wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Betrachtungen in die selbe Richtung gehen», so Grin.
«Die Vorstellung, dass wir zusätzlich zum Englischen auch unsere nationalen Sprachen pflegen und darüber hinaus auch weitere Sprachen lernen sollten, macht nicht nur politisch und soziologisch Sinn, sondern auch ökonomisch.»
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Vielsprachigkeit
Oft verkannt
Doch trotz der fast 50 Mrd. Franken, die Sprachen ans BIP beitragen, würden viele Unternehmen den Wert einer vielsprachigen Arbeitsumgebung verkennen.
«Wir haben hier ein sehr heterogenes Bild», sagt er. «Einige Firmen sind sich dessen bewusst und geben ihr Bestes, andere vernachlässigen das Thema total.»
Das LEAP-Projekt konnte für die Forschung auf verschiedene Datensätze zurückgreifen.
Darunter eine Studie mit Angaben über 2500 Schweizerinnen und Schweizer aus verschiedensten Branchen.
Europa voraus
Die Fragen, die das Projekt stellte, stehen auch im Zusammenhang mit einer europäischen Studie zu Sprachenvielfalt und Wettbewerbsfähigkeit (ELAN-Studie), welche die Europäische Kommission im Februar 2007 veröffentlicht hat.
Diese zeigte, dass 11% der europäischen kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) Exportgeschäfte verloren, weil sie über zu wenig sprachliche und interkulturelle Fähigkeiten verfügten.
Die Studie schlug vor, dass Investitionen in Sprachkenntnisse in der Europäischen Union (EU) weitreichende wirtschaftliche Vorteile bringen würden und besonders eine positive Wirkung auf Produktivität und Exportleistung von KMU haben könnten.
Die EU-Studie zeigte zwar die Wichtigkeit des Englischen als Weltsprache der Wirtschaft, doch andere Sprachen würden oft als Vermittler-Sprachen benutzt. Namentlich, wo enge und erfolgreiche Geschäftsbeziehungen geknüpft werden sollen, seien verschiedene Sprachen wichtig.
«In vielen Fällen genügt Englisch nicht und man braucht mehr, um einen Wettbewerbsvorteil herauszuholen», so Grin. «Ein reichhaltiges linguistisches Repertoire ist sehr hilfreich.»
Linguistische Vielfalt
Als weiteres Element der Studie wurde in 205 Unternehmen in der Deutsch- und der französischsprachigen Westschweiz eine Umfrage über Sprachkompetenzen durchgeführt.
Dabei fanden die Forscher heraus, dass die besten Sprachkenntnisse unter Direktoren und im Einkauf vorkommen und nicht wie erwartet im Verkauf.
Auch konnten grössere Firmen auf mehr Englisch sprechende Angestellte zurückgreifen, im Vergleich zu Deutsch oder Französisch. Bei kleineren Unternehmen war es gerade umgekehrt.
swissinfo, Simon Bradley
(Übertragen aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
Deutsch: 63,7% der Bevölkerung
Französisch: 20,4%
Italienisch: 6,5%
Rätoromanisch: 0,5%
Durch die letzten Einwanderungswellen sind verschiedenste neue Sprachen in die Schweiz gelangt: 9% der Bevölkerung geben eine andere als die vier Landessprachen als Muttersprache an.
Die Schweiz gibt derzeit 2,5 Mrd. Fr. oder 8,5% des jährlichen Erziehungsbudgets für Sprachkurse aus.
Das Nationale Forschungsprogramm NFP 56 «Sprachenvielfalt und Sprachkompetenz in der Schweiz» besteht aus diversen Studiengruppen.
Eine davon ist das LEAP-Projekt, dessen Leiter François Grin an der Universität Genf zwischen der Abteilung Erziehungsforschung und dem neu geschaffenen Lehrstuhl der Schule für Übersetzung und Interpretation pendelt.
Er leitet das Projekt zusammen mit François Vaillancourt von der Universität Montreal und Claudio Freddo von der Universität Genf.
Die gesamte Studie wird im Februar 2009 vorgestellt.
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