Frömdsprach Bärndütsch?
Mit Fremdsprachen im Erfahrungs-Rucksack ist das Leben einfacher. Das Europäische Jahr der Sprachen soll Sprachkenntnisse fördern - auch in der Schweiz.
«Wer fremde Sprachen nicht kennt, weiss nichts von seiner eigenen», lautete eine Maxime Goethes. Und so lernte er in Frankfurt Latein und Griechisch, Hebräisch, Italienisch und Französisch. Als Deutschschweizerin frage ich mich: Was ist denn unsere Sprache?
Wir Schweizerinnen und Schweizer aus der Deutschschweiz schreiben und lesen nicht, wie uns der Schnabel gewachsen ist. «Hochdeutsch», die Sprache der Schrift also, lernen wir erst in der Schule, ab dem siebten Lebensjahr ungefähr. Früh schon werden wir aber mit dieser Sprache konfrontiert: schliesslich spricht das Sandmännchen Hochdeutsch.
Deutsch sei für die Schweizer eine Halbfremdsprache – so oder ähnlich sprach Max Frisch einst. Die eine Hälfte unseres Deutsch ist der Dialekt, die Mundart. Die andere Hälfte das gute, das Hochdeutsch.
Wer nun also in der Schweiz Deutsch lernen will – was lernt er? Mundart? Hochdeutsch? Für Professor Günther Schneider der Universität Fribourg ist es wenig sinnvoll, Dialekt zu lernen. Wichtig sei aber ihn zu verstehen – «die Ohren tolerant zu machen».
Es war die Liebe, die den italienischen Künstler und Wortakrobaten Massimo Rocchi nach Bern führte. «Ich musste mich plötzlich entscheiden Hochdeutsch zu lernen oder Schweizer-Deutsche, also Mehrzahl.»
Für Massimo Rocchi hat die Schweiz mehr als vier Sprachen. Sie hat unzählige Deutsche, Schweizerdeutsche eben. Und jedes ist für sich eine eigene Sprache. Jedes hat für sich seine eigenen Regeln. Massimo Rocchis Beispiel: «äuä» – ein Ausdruck, den es nur im Berndeutschen gibt. Es bedeutet «erstaunlicherweise» oder: «Dir glaube ich nicht».
Massimo Rocchi hat sich für eine Art Technisches Deutsch entschieden. Und er wird verstanden: Von der französischen Sprachgrenze bis nach Österreich und vom Alpennordhang bis nach Norddeutschland.
Die SchweizerInnen und ihr Sprachverständnis
Der deutsche Schriftsteller Christian Scholz reist durch die vielfältigen Sprachlandschaften der deutschsprachigen Schweiz und nimmt Worte genau unter die Lupe, lässt sie auf der Zunge zergehen und lüftet ihr Geheimnis. Dadurch kommt er dem Schweizer und der Schweizerin näher. «Das Sprachverständnis oder das Sprachbewusstsein ist im deutschschweizerischen Raum unglaublich hoch entwickelt», ist er überzeugt.
«Meine These ist, dass so reich in Deutschland das so genannte Volk nicht sprechen kann, wie ich das hier in der Schweiz bisher erlebt habe.» Das Verständnis für unsere Sprache bedeutet eine Bereicherung: Wörter werden nicht fahrlässig eingesetzt, sie werden überlegt gebraucht.
Christian Scholz› Wunsch wäre eigentlich, dass das Mundartliche mehr in das Deutsche einfliesst, dass Ausdrücke, so einmalig wie sie sind, in die Welt hinausgeschrieben werden.
Aber die Mundart, der Dialekt bleibt vorläufig einzig gesprochene Sprache. Das Europäische Jahr der Sprachen fördert zwar Fremdsprachen, aber die Dialekte werden wenig beachtet. Im Europäischen Sprachenportfolio, der Errungenschaft des Europäischen Jahres der Sprachen, können Dialekte nur unter ferner liefen festgehalten werden: Erst wer Deutsch gelernt hat, kann schriftlich darlegen, dass er auch Dialekte davon versteht. Der umgekehrte Weg ist nicht möglich. Also ist Bärndütsch keine Fremdsprache.
Rebecca Vermot
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