Fünf Jahre Rechtschreib-Reform
Fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens über die Rechtschreib-Reform ist die Umsetzung in der Schweiz weit gediehen. Das erste Dokument, das die Bundeskanzlei in neuer Rechtschreibung herausgab, war die 1.-Augustrede 1998 von Bundespräsident Cotti.
Fünf Jahre nach der Unterzeichnung des Abkommens über die Rechtschreib-Reform ist die Umsetzung in der Schweiz weit gediehen. Das erste Dokument, das die Bundeskanzlei in neuer Rechtschreibung herausgab, war die 1.-Augustrede 1998 von Bundespräsident Cotti: Gerade ‹mal ein Wort darin unterschied sich von der alten Schreibung, wie sich der zuständige Linguist Urs Albrecht erinnert.
Mittlerweile hat die Bundeskanzlei die neue Rechtschreibung laut Albrecht «weitgehend umgesetzt» – drei Jahre nach In-Kraft-Treten und vier Jahre vor Ablauf der Übergangsfrist. Auch in den Schulen – dem einzigen Bereich neben den Behörden, wo die neue Rechtschreibung verbindlich ist – werden die Regeln «erstaunlich gut» gehandhabt, wie Albrecht als Matura-Experte beobachtet hat.
Rückzugsgefechte
In Deutschland dagegen wurde die Debatte vor einem Jahr – wiederum am 1. August – neu entfacht, als die Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ mit viel Getöse zur alten Schreibung zurückkehrte. Zwar ist der FAZ keine Zeitung gefolgt, doch verlautete auch die Sprecherin des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, Anja Pasquay, die Reform «stifte nur Verwirrung».
Mit der Darmstädter «Akademie für Sprache und Dichtung» hat die Reform einen weiteren potenten Gegner. Deren Präsident Christian Meier spricht gar von «chaotischen Verhältnissen». Wenn Ende dieses Jahres die zwischenstaatliche Kommission ihre Zwischenbilanz vorlegt, will die Akademie auch mit einem Kompromissvorschlag aufwarten.
Pièce de résistence: Getrenntschreibung
Anpassungen sind erst Ende der Übergangsfrist im August 2005 geplant. Die Zwischenbilanz der zwischenstaatlichen Kommission Ende 2001 wird ankündigen, mit welchen Modifikationen dann zu rechnen sein wird. Diese werden vermutlich den Bereich der Getrennt- und Grossschreibung betreffen, der allgemein der meistumstrittene ist.
Die Vereinfachungen, die die Rechtschreibreform gebracht hat, sind erheblich: Aus 212 Rechtschreibregeln wurden 112, von 52 Kommaregeln blieben neun übrig. Dennoch ist nicht ohne weiteres ersichtlich, warum es «wieder beleben» aber «wiederbringen» heisst (Regel: wenn «wieder» «erneut» bedeutet, getrennt, wenn es «zurück» meint, zusammen). Und Begriffe wie «allein Erziehende» und «Asyl Suchende» widersprechen der Intuition.
Wo Varianten erlaubt sind – etwa bei den «Alleinerziehenden» – herrscht beispielsweise in den Medien Wildwuchs. Die Nachrichtenagenturen, die die neue Rechtschreibung August 1999 eingeführt haben und die Zeitungen, die nach und nach nachzogen, haben oft voneinander abweichende Regeln festgelegt.
Der «Tages-Anzeiger» ist laut Auskunft seines Korrektors Karl Schnellmann progressiv und befolgt ausser bei der Interpunktion die neuen Regeln: Asyl Suchende, allein Erziehende. Die Neue Zürcher Zeitung NZZ hat laut Korrektorat die Reform im Mai 2000 mit einer hauseigenen Orthografie eingeführt, die nicht nur bei Varianten, sondern oft auch bei vorgeschriebenen Neuerungen die alte Form vorzieht.
Privatgebrauch lasch – noch
Eine deutsche Untersuchung an Leserbriefen hat festgestellt, dass etwa die Hälfte der Einsender die neuen Regeln anwendet. Das NZZ-Korrektorat schätzt die Zahl in der Schweiz etwas tiefer, dasjenige des «Tagi» ist von den orthografischen Fähigkeiten der Leserschaft nicht gerade überwältigt. Die Jungen seien indes deutlich sattelfester als die Alten, hat Schnellmann beobachtet.
Das dürfte den mittlerweile dreijährigen Bemühungen der Schulen zu verdanken sein. Weiter durchsetzen wird sich die neue Rechtschreibung, sobald die heute noch fehlenden, praktikablen Korrekturprogramme vorliegen, ist Urs Albrecht überzeugt. Dann werden auch kleine Betriebe – zur Zeit noch orthografische Sorgenkinder – richtig neu schreiben.
swissinfo und Agenturen
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