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Für die Unesco folgen magere Jahre

Für die Unesco hat die Aufnahme Palästinas finanzielle Konsequenzen. Keystone

Nachdem Washington seine Beitragszahlungen an die Kulturorganisation wegen der Aufnahme Palästinas gestoppt hat, muss sich die Unesco reformieren. "Oberste Priorität müssen die Programme haben", sagt der Schweizer Botschafter Rodolphe Imhoof.

Die Zeiten für die Unesco sind hart. Am 31. Oktober haben die Vereinigten Staaten ihre finanziellen Beiträge eingestellt, nachdem Palästina als Vollmitglied in die UNO-Kulturorganisation aufgenommen worden war.

Die Auswirkungen sind brutal und zeigen sich schon jetzt: 35 Mio. Dollar werden bis Ende 2011 in der Kasse fehlen. Für 2012 muss mit einem Loch von über 60 Mio. Dollar gerechnet werden, so viel steuerten die USA jährlich ans Unesco-Budget bei. 

Schwierige Situation

«Die Lage ist schwierig, das kann niemand bestreiten», sagt Eric Falt, Vize-Generaldirektor für Aussenbeziehungen und Öffentlichkeitsarbeit. Solche Zeiten hat die Unesco bereits früher erlebt: 1984 schlugen die USA unter Präsident Ronald Reagan die Türen zur in Paris ansässigen Organisation zu. Grund dafür: die «anti-amerikanische» Haltung der Unesco und ihre «ausserordentlich schlechte Geschäftsführung».

«Die zwei Situationen sind allerdings völlig unterschiedlich», so Eric Falt. «Wir arbeiten sehr eng mit den Amerikanern zusammen, die gezwungen sind, ihre Beiträge zu stoppen.»

Zwei Gesetze aus den 1990er-Jahren hindern Washington daran, Organisationen der UNO zu subventionieren, die Palästina als Vollmitglied anerkennen, solange kein dauerhafter Friede mit Israel unterzeichnet ist.

Das Defizit bedroht «die Hilfsprogramme für die freien Medien in Irak, Tunesien und Ägypten, die Überarbeitung von Schulbüchern, die in Irak zu Intoleranz anstacheln, die Alphabetisierung von tausenden Polizisten in Afghanistan und das Warnsystem bei Tsunamis, das im Oktober in Asien auf die Beine gestellt wurde», betonte kürzlich Irina Bokova, Generalsekretärin der Unesco.

Welche Sektoren sind am meisten betroffen? Wie sollen die Mittel fair reduziert werden in einer Organisation, die auf mehreren Gebieten wie Bildung, Kultur, Wissenschaft und Kommunikation tätig ist?

«Jeder grosse Programm-Sektor sollte eine interne Auswahl treffen. Bis Ende Jahr sind bereits Symposien, Konferenzen und Publikationen annuliert oder vertagt worden», erklärt Eric Falt.

Krise als Chance

Auch der Schweizer Unesco-Botschafter Rodolphe Imhoof bezeichnet die Situation als schwierig; sie könne aber gemeistert werden. «Die Priorität muss bei den Programmen liegen, eher als in der Administration. Die Unesco kann noch Geld sparen, etwa indem sie ihre Kommunikationsmittel modernisiert. Jede Krise – solange sie gut gemanagt wird – kann für eine Organisation dieser Art auch eine Chance sein», sagt der Botschafter.

Das ist übrigens auch die Meinung von Generaldirektorin Irina Bokova.»Ich bin voll und ganz bereit, die Gesamtheit unserer Tätigkeiten, Betriebs-Modalitäten und Strukturen im Sekretariat zu überprüfen», erklärte sie an der letzten Generalversammlung.

Um eben diese Reformarbeit fortzusetzen, die ihr Vorgänger, der Japaner Koichiro Matsuura begonnen hatte, war die Bulgarin an die Spitze der Organisation gewählt worden.

Ende 2009 hatte der frühere Schweizer Unesco-Botschafter, Ernst Iten, verlauten lassen, dass die Organisation ihre Mission nicht wirklich erfülle.

«Die Organisation muss ihre Rolle als Labor auf dem Gebiet von Bildung und Kultur wieder erlangen. Ein Beispiel für ihren Mangel an Dynamik ist der Sektor der Sozial- und Geisteswissenschaften. Da hat die Unesco nicht die erforderliche Arbeit geleistet, um auf die Wirtschaftskrise zu reagieren», erklärt der alt Botschafter.

Führungsrolle

Wo wird man in zwei Jahren stehen? In der Bildung werde die Unesco ihre Führungsfunktion wieder übernommen haben, erklärt Botschafter Rodolphe Imhoof.

«Alle Erklärungen von Frau Bokova bezeugen es. Ohne solide Bildung, die den Bedürfnissen angepasst ist, gibt es keine nachhaltige Entwicklung. Diese Art von Bildung hat auch das kürzliche Unesco-Forum der Jungen gepriesen. Es bringt nichts, Juristen auszubilden, die dann als Gemüseverkäufer oder Arbeitslose enden.»

Rodolphe Imhoof betont die Rolle des Internationalen Büros für Erziehung in Genf, das der Unesco angeschlossen ist. Das IBE wurde Mitte 20. Jahrhundert vom Genfer Jean Piaget geleitet und befasst sich vor allem mit pädagogischen Methoden, Strukturen und Inhalten.

«Die letzte Generalversammlung hat das IBE als Kompetenzzentrum in Sachen Bildung und Erziehung bestätigt», erklärt Eric Falt. Das Erziehungsbüro werde von den Sparmassnahmen der Unesco nicht mehr und nicht weniger betroffen als die anderen Sektoren.

Die Maschine läuft

Eie Maschine läuft also weiter. An der 6. Tagung des Unesco-Komitees zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes auf der indonesischen Insel Bali, die am 29. November zu Ende ging, wurden 19 Elemente neu auf die Listen des immateriellen Kulturerbes gesetzt.

Darunter findet sich etwa der Saman-Tanz aus Indonesien oder die traditionelle Webkunst Al Sadu aus den Vereinigten Arabischen Emiraten – Bräuche und Traditionen, die vom Verschwinden bedroht sind und welche die Unsesco erhalten will.

Zu den Zielen der Unesco (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) gehört der Schutz von Kultur- und Naturerben, die über einen «ausserordentlichen universellen Wert» verfügen.
 
1972 verabschiedeten die Mitglieder der Unesco eine internationale Konvention, welche die Schaffung einer Liste des Welterbes der Menschheit vorsieht.
 
Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich, die Standorte auf ihrem Gebiet zu schützen. Gegenwärtig sind dies rund 900 in etwa 140 Ländern.
 
In der Schweiz befinden sich 8 Standorte auf der Liste des Weltkulturerbes und 3 auf jener des Weltnaturerbes.

Die Schweiz hat 2008 die Konvention zur Bewahrung des immateriellen Kulturerbes ratifiziert, worauf der Bund die Kantone aufgefordert hat, im Hinblick auf die Erstellung einer Kulturerbe-Liste «lebendige Traditionen» in ihren Hoheitsgebieten zu inventarisieren.

Die Kantone haben rund 400 Vorschläge eingereicht, das Bundesamt für Kultur (BAK) hat 167 davon berücksichtigt, darunter den Chalandamarz (Kanton Graubünden), «Schlittschuhlaufen auf dem Doubs» (Kanton Neuenburg), die Waadtländer «Fête des Vignerons» oder Fasnachtsbräuche.

«Das Inventar wird 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt», sagt David Vitali vom BAK. Bern wird danach den Zeitplan und das Selektionsverfahren für die Kandidaturen bestimmen, die der Unesco vorgeschlagen werden sollen.

Die Schweiz dürfte die Budget-Restriktionen nicht zu spüren bekommen. «Für die Stätten des Weltkulturerbes kommen die Mitgliedstaaten auf», sagt David Vitali.

(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)

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