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Furcht vor mehr Zivilopfern in Afghanistan

Der neunjährige Nazir aus Nordwest-Pakistan wurde bei den Kämpfen verletzt, wie Tausende anderer Zivilisten auch. ICRC/J. Tanner

Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes befürchtet, dass unter der erwarteten Intensivierung des Konflikts in Afghanistan vor allem die afghanische und pakistanische Zivilbevölkerung leiden wird.

Die Warnung des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes (IKRK) kommt im Vorfeld der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Den Haag und einige Tage, nachdem US-Präsident Barack Obama seine neue Strategie gegen die Taliban vorgestellt hat.

Anfangs Woche hat das IKRK die Vereinigten Staaten, andere Länder und die Kriegsparteien gedrängt, die Notlage der Zivilbevölkerung in den beiden Ländern mit grösster Dringlichkeit zu behandeln.

IKRK: Auf beiden Konfliktseiten aktiv

Das IKRK ist eine der wenigen Organisationen, die in verfeindeten Stammesgebieten auf beiden Seiten des Konflikts tätig ist, weil sie überall langjährige Beziehungen aufgebaut hat, sogar bei den mit den Taliban verbündeten Kämpfern.

Der IKRK-Direktor der Südasien-Operationen, Jacques de Maio, sagte am Montag an einer Medienkonferenz in Genf: «Die Zahl der zivilen Opfer ist viel zu hoch». Zu viele Zivilisten seien getötet, verwundet, erniedrigt, verletzt und nicht behandelt worden.

«So etwas wie einen sauberen Krieg gibt es nicht», so de Maio, «was zur Zeit in Afghanistan und Pakistan abläuft, ist ein Beweis dafür.»

Doppelte Anzahl von Verletzten

In den vom IKRK unterhaltenen medizinischen Einrichtungen habe sich die Zahl der Verletzten verdoppelt. Auf pakistanischer Seite hätten bereits viele Leute ihre Häuser verlassen und seien geflohen.

Die Anzahl verletzter Zivilisten habe sich innert eines Jahres verdoppelt. Im Februar seien in den pakistanischen Städten Quetta und Peshawar 277 Kriegsverletzte eingeliefert worden. Der IKRK-Verantwortliche: «Die Waffengewalt hat ein dramatisches Niveau erreicht.»

Das IKRK habe letztes Jahr rund 40’000 von Kampfhandlungen Vertriebene an der pakistanischen Grenze betreut, 2009 würden es wohl 140’000 werden.

Das Budget wurde von 24 auf 52,6 Mio. Franken mehr als verdoppelt. In Pakistan sind rund 100 internationale und 600 lokale Mitarbeitende für das IKRK tätig. In Afghanistan sind es noch einmal so viele.

Neue umfassende Strategie

Diese IKRK-Erklärung folgt nur wenige Tage auf die Strategierede von Barack Obama im Weissen Haus. Obama umschrieb dabei die Region an der pakistanischen Grenze als eine der gefährlichsten Gegenden der Welt.

Zusätzliche 4000 US-Soldaten sollen die afghanische Armee trainieren und unterstützen. Er werde auch der Zivilbevölkerung unter die Arme greifen.

Obama hat jüngst 17’500 Soldaten nach Afghanistan beordert, um die dort bereits anwesenden 38’000 zu unterstützen. Kenner der Lage im Land befürchten, dass das nicht genug sei. Sie erwarten eine Intensivierung der Kampfhandlungen seitens der Taliban, da im August Wahlen anstehen.

Die islamistische Miliz, von der sich viele Mitglieder in den pakistanischen Stammesgebieten verschanzt haben, habe ihre Guerillaaktionen verstärkt. Die Situation sei so gravierend wie noch nie seit dem Sturz des Taliban-Regimes in Kabul im Herbst 2001, so de Maio.

Die USA gleisen ausserdem ein 8,6-Mrd.-Franken-Programm auf, um sich die «sicheren Häfen» der Taliban und der Al-Kaida vorzunehmen. Obama will aber dort nicht direkt US-Truppen einsetzen.

Sowjetunion verlor Krieg mit 100’000 Soldaten

Mohammad-Reza Djalili, Afghanistan-Pakistan-Experte an Genfer «Institut des Hautes Etudes Internationales», hat seine Zweifel an dieser neuen Politik. «Es ist nicht sicher, ob dies nun einen Wendepunkt in diesem Konflikt bedeutet», sagte er gegenüber swissinfo.

Schliesslich habe Russland (Sowjetunion) seinen Krieg in Afghanistan auch verloren, obwohl es rund 100’000 Mann stationiert hatte.

Ausserdem bezahle die USA nun den Preis für einen strategischen Fehler, den George W. Bush begangen habe. «Statt seine Position in Afghanistan auszubauen, entschied sich Bush für den Irak-Krieg.»

In gewissen Regionen im Süden sei die Stärke der Taliban beeindruckend, so der Professor des Genfer Instituts. «Sie haben sich die Schwächen der modernen Kriegsführung für ihren Guerilla-Kampf zu Nutze gemacht.»

swissinfo, Agenturen und Simon Bradley, Genf
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

An der UNO-Konferenz zu Afghanistan in Den Haag, Holland nehmen unter anderen teil: US-Verteidigungsministerin Hillary Clinton, UNO-Generalsekretär Ban Ki-moon, der afghanische Präsident Hamid Karzai sowie die Aussenminister von Holland, Japan und Australien.

90 Länder nehmen teil, auch Delegationen aus Russland, China und Pakistan.

Es wird erwartet, dass die USA Unterstützung für ihre Strategie werben, obwohl die Organisatoren sagen, beim eintägigen Anlass gehe es nicht um die Umsetzung des US-Plans.

Die Veranstalter betonen, sich in erster Linie auf die regionale Zusammenarbeit zu konzentrieren und weniger auf mehr Truppen oder mehr Geld für Afghanistan.

Die DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Aussenministeriums) ist seit 1977 in Afghanistan aktiv.

Seit 2004 wurde das Programm in eine langfristige Strategie für Entwicklung und Wiederaufbau umgeändert.

2007 engagierte sich die DEZA mit 21 Mio. Franken in diesem Land.

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