Galeristen und Sammler entdecken Künstler-Filme
Die Art Basel, deren 45. Ausgabe am Donnerstag beginnt, ist die Kunstmesse, an der Aussteller und Besucher die neuesten Trends in Sachen Gegenwartskunst aufspüren. Schon mehr als ein Trend sind Künstler-Filme. Mittlerweile setzen viele Galerien auf dieses Format.
Video hielt in den späten 1960ern Einzug in die bildende Kunst, als Pioniere wie Nam June Paik und Bruce Nauman bewegte Bilder in ihre Installationen integrierten.
In den 1970er-Jahren war dann der Amerikaner Bill Viola der erste, der ausschliesslich auf Videos als Kunstform setzte.
Heute interpretieren jüngere Künstler das Medium neu. Sie zählen zur Generation, die mit MTV aufgewachsen ist (Musik-TV-Sender, der sich an ein junges Publikum richtet, die Red.), und in deren Welt das digitale Bild regiert.
Die Art Basel öffnete sich zwar schon 1999 dem Film. Damit würdigten die Organisatoren die Bedeutung des bewegten Bildes in der Ikonographie der Gegenwart. Mit der strategischen Erweiterung wollten sie aber auch eine neue Generation von Sammlern ansprechen, die stark auf die aktuellen Medien Video, Film, Audio sowie auf die computergestützten Technologien setzen.
Die Art Basel wurde vor 45 Jahren von drei Galeristen, u. a. Ernst Beyeler, gegründet. Damit gehört sie zu den ersten Kunstmessen weltweit.
Jedes Jahr wirkt sie als Magnet für die wichtigsten Kunstgalerien der Welt, die in ihrem Schlepptau Sammler, Kuratoren, Künstler und andere Prominente mitbringen.
Ursprünglich zum Verkauf moderner Kunst gedacht, wurde die Messe mehr und mehr zum Schaufenster für Gegenwartskunst. Die Organisatoren können nur ein Drittel aller Interessenten berücksichtigen.
Vom 19. bis 22. Juni werden in Basel 300 führende Galerien aus Nord- und Lateinamerika, Europa, Asien und Afrika ausstellen. Erwartet werden auch Zehntausende von Besucherinnen und Besuchern.
Global präsent, regional ausgeprägt
Die Filmsektion der Art Basel, die auf Einzelprojektionen beruht, ist mittlerweile auch fester Bestandteil der Franchisen Art Miami und Art Hong Kong. Die persönlichen Vorlieben der jeweiligen Kuratoren aber sorgt dafür, dass jede der drei Kunstmessen ihre ganz spezifische Prägung aufweist.
Für die Miami Art Basel von kommendem Dezember plant David Gryn, Direktor des Artprojx in London, Film-Events mit hohem Unterhaltungsfaktor unter freiem Himmel. Diese sollen dem Glimmer und Glamour der Hauptstadt des Sonnenstaates Florida alle Ehre machen. In Basel und Hong Kong dagegen finden Vorführungen von Kunstwerken im Medium Film meistens in herkömmlichen Kinosälen statt.
Li Zhenhua, Kurator der Art Basel in Hong Kong, der zwischen Zürich und Peking pendelt, ist ein anerkannter Künstler, Produzent und Kurator im Bereich Medienkunst (Media Art), einem Oberbegriff für künstlerische Arbeiten im Zusammenhang mit neuen Technologien, auch Digitale Kunst genannt.
«Künstler aus dem Bereich Medienkunst wollen heute als Gegenwartskünstler wahrgenommen werden», sagt Zhenhua.
In Basel hat in den letzten sieben Jahren der Berliner Film-Experte Marc Glöde den Bereich kuratiert. Dies zusammen mit Sammler This Brunner. Als Wissenschaftler, der sich für die Auswirkung der bewegten Bilder interessiert, bevorzugt Glöde Werke von hoher Komplexität.
Befragt, nach welchen Kriterien er Filmwerke von Künstlern auswähle, nennt der Kurator deren Irritations-Potenzial. «In meiner Zeit in den USA begann ich mich mehr und mehr für Irritation zu interessieren», hält er lakonisch fest. «Während es für die Meisten etwas negatives war, regte Irritation mein Denken an. Meine Fähigkeit, überrascht zu sein, ist grösser, wenn ich nicht entspannt bin.»
Der Deutsche macht in seinem Tätigkeitsgebiet eine neue Energie aus. «Künstler haben immer versucht, die Einschränkungen des Bildschirms zu überwinden. Mit Beamern kann man Bilder mehr oder weniger überall projizieren.»
Um die Zauberei zu demonstrieren, die mit dem Beamer möglich werden, hat Pionier Bill Viola die Architektur des Münsters, der Berner Grosskathedrale, und diejenige des Kunstmuseums Bern mit fantastischen Bildern transzendiert.
Kunstfilme haben laut Glöde eine neue Generation von jüngeren Künstlerinnen und Künstlern, welche die bewegten Bilder gewissermassen mit der Muttermilch aufgesogen haben, inspiriert.
Einer dieser jungen Wilden ist Ryan Trecartin, der als neuer Komet am Kunsthimmel bejubelt wird. Zusammen mit seiner Partnerin Lizzie Fitch transformiert der 33-Jährige bonbonfarbene Video-Bilder von ihren Camping-Freunden in ein ausschweifendes Kaleidoskop.
Wie viele seiner Kollegen veröffentlicht Trecartin seine Werke auf der Internet-Plattform Vimeo. So kann er riesiges Publikum erreichen, zugleich aber auch das traditionelle Geschäftsmodell der Galerien unterlaufen.
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Der «Rembrandt» des digitalen Zeitalters
Boost durch technologische Entwicklung
Zeitgenössische Kunst war noch nie der absolute Renner, wird aber immer gesuchter. Kunstmessen sind für die Galerien die beste Plattform, ihre Künstler zu präsentieren. Obwohl einige an allen drei Ausgaben der Art Basel präsent sind, stellen sie nie den gleichen Künstler zweimal aus.
Hauser & Wirth, die führende Schweizer Galerie mit Filialen in London und New York, stellte in Hong Kong die gewinnenden «Aktions-Skulpturen» des Schweizer Künstlers Roman Signer aus. In Basel dagegen werden Hauser & Wirth den aufsehenerregenden Sterling Ruby sowie Rashid Johnson präsentieren, der sich stark mit Spiritualität auseinandersetzt.
Als Gründer gilt der 2006 verstorbene Koreaner Nam June Paik.
Doug Aitken verwendete grosse Bildschirme in Innen- und Aussenräumen und sprach von «flüssiger Architektur». In seinem Schaffen erkundet er die Wurzeln der Kreativität.
Dan Graham baute ab 1969 Videobilder in Performances ein und lotete so insbesondere die Beziehung zwischen Körpern und Sprache aus
Der Amerikaner Matthew Barney schafft skulpturale Installationen, die er mit Performance und Video kombiniert.
Bill Viola gehört zu den Pionieren, der mit dem Medium Video grundlegenden und existentiellen Lebenserfahrungen wie Bewusstlosigkeit erforscht. Mit Aitken einer der wenigen, die ausschliesslich mit dem bewegten Bild arbeiten.
US-Künstler Bruce Nauman ist ein Multimedia-Künstler, dessen Videos oft auf den menschlichen Körper fokussieren und sehr verstörend wirken können.
Die Schweizerin Pipilotti Rist zählt zu den international ganz Grossen der visuellen Künste. Ihre Werke zeichnen sich durch eine ansteckende Heiterkeit und Ausgelassenheit aus. Diese werden durch farbige Bilder transportiert, die hauptsächlich um das Thema des Frauseins kreisen.
Kunst mit bewegten Bildern sei schon seit langer Zeit Teil des Kunstangebots und habe stets zum Verkaufsprogramm der Galerien gehört, sagt Florian Berktold, Leiter von Hauser & Wirth.
«In den letzten fünf Jahren aber haben sich die technologischen Möglichkeiten stark verändert: die erweiterte Infrastruktur für eine bessere Bildqualität, die Grösse der Kameras, die Bearbeitung von Bild am Computer, von Tönen auf dem iPhone und die fortgeschrittenen technischen Standards», zählt Berktold auf.
Kunstfilme/Filmkunst
Während 50 Jahren wurde Film als Kunst vorwiegend konzeptuell eingesetzt oder als Teil von Performances oder Installationen. Das wegweisende Schaulager in Basel hat in einer Folge vier Künstler von Weltformat präsentiert, alles Männer: Matthey Barney, Francis Alÿs, Steve McQueen und Paul Chan.
Pipilotti Rist aus der Schweiz und Gillian Wearing aus Grossbritannien gehören in diesem männerdominierten Bereich zu den grossen Ausnahmen.
In der Bildschirm-orientierten Domäne schaffen die Künstler neue Blickwinkel auf die Welt.
In den letzten beiden Jahren ging der prestigeträchtige Turner Preis an Frauen: Die Britin Elizabeth Price hob die Videokunst in neue Dimensionen, während 2013 die Französin Laure Prouvost die Auszeichnung für ihre Installation «Wantee» erhielt. Sie versteht ihr Schaffen als eine Erfahrung, ähnlich jenes Gefühls, wenn die Sonne auf die Haut scheint, wie sie es in einer ihrer jüngsten Arbeiten umsetzt.
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Kuenzi)
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