Leipziger Buchmesse im Zeichen des weissen Kreuzes
Für ihre Banken ist sie bekannt, mit roten Bänken sorgt die Schweiz in Leipzig für Aufmerksamkeit: 40 Stück stehen in der Innenstadt und laden zum Verweilen ein. Und durch die kürzliche Einwanderungs-Abstimmung hat der Schweizer Auftritt grosses Interesse geweckt. Eine Reportage vom ersten Messetag.
Die erste literarische Veranstaltung beim «Auftritt Schweiz» auf der Leipziger Buchmesse fällt aus. «Martin Walker und Anica Jonas erklären die Schweiz», stand auf dem Programm.
In Schriftdeutsch und Mundart wollten der Schweizer Autor und die deutsche Germanistin über Vorurteile diskutieren. Aber Martin Walker hat verschlafen. «Das erste Vorurteil, Pünktlichkeit, ist damit widerlegt», sagt Anica Jonas.
Die Trägerschaft besteht aus den wichtigsten beteiligten Geldgebern: Pro Helvetia, Präsenz Schweiz/Schweizer Botschaft in Berlin sowie dem Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband SBVV.
Projektpartner sind ausserdem Schweiz Tourismus, die Bildagentur Keystone sowie die «Leipziger Volkszeitung» und das Leipziger Magazin «Kreuzer». Die Projektleitung obliegt dem SBVV.
Die Planung und Organisation des «Auftritts Schweiz» liegt in der Hand einer Konzeptgruppe, bestehend aus SBVV-Geschäftsführer Dani Landolf (Leitung, Gesamtkoordination), Thomas Böhm (Kurator, 2011 verantwortlich für Island-Gastauftritt an der Buchmesse Frankfurt, zur Zeit Programmleiter des Internationalen Literaturfestivals Berlin), Franziska Schläpfer (Kuratorin des Literatur-Programms), Annemarie Hürlimann (Kuratorin Ausstellungen), SBVV-Präsidentin Marianne Sax sowie dem SBVV-Messeteam (Myriam Lang und Nathalie Widmer).
Typisch Schweiz
Das wartende Publikum wird mit Schokolade vertröstet. Am rot-leuchtenden Stand der Schweiz in der Eingangshalle der Messe gibt es typisch schweizerische Bonbons tütenweise, die Polster auf den Sitzbänken sind mit Armeedecken bezogen, in einer Glasvitrine stehen Alphorn-Bläser aus Holz.
Sogar die Verbindungsstücke der Teile, aus denen der Messestand zusammengebaut ist, zieren Schweizer Kreuze. Ein dezentes mattrotes Kreuz auf glänzend-rotem Grund. Als zwischen zwei Lesungen das Musiker-Duo «Doppelbock» auftritt, sagt eine Schweizer Besucherin: «Na klar, jetzt gibt es Jodler.»
Das Corporate Design der Schweiz – geplant und ausgeführt bis ins kleinste Detail, um die Schweiz als das traditionsbewusste wie liberale Land zu zeigen, das es auch nach dem Ja des Schweizer Stimmvolks zur Initiative «gegen Masseneinwanderung» vor sechs Wochen sein will.
Ein anderes Schweiz-Bild
«Den Besuchern der Messe geht es in erster Linie um Bücher», sagt Dani Landolf. Als Geschäftsführer des Schweizer Buchhändler- und Verlegerverbandes (SBVV) war er an der Planung des Messeauftritts massgeblich beteiligt.
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«Auftritt Schweiz» in Bildern
«Aber das Votum vom 9. Februar ist überall Thema, alle deutschen Medien fragen danach. Das wiederum schafft natürlich auch Aufmerksamkeit», sagt er. «Was uns eine Chance gibt, in Leipzig ein anderes Bild der Schweiz zu zeigen.»
Nach der Volksabstimmung haben er und seine Kollegen einige zusätzliche Veranstaltungen zum Thema organisiert. Am ersten Messetag zum Beispiel diskutiert Landolf mit den Autoren Lukas Bärfuss und Jonas Lüscher, der deutschen Verlegerin Sabine Dörlemann und Wolfgang Koydl, dem Schweiz-Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung, über das «Unbehagen im Kleinstaat». Die Veranstaltung ist gut besucht, die Diskussion wenig kontrovers. Fragen aus dem Publikum gibt es nicht.
Auch am Gemeinschaftsstand der Schweizer Verlage ist es immer voll. Hier arbeitet die Literaturwissenschaftlerin Gabriela Bader aus Bern. Sie erzählt, was sie eine deutsche Besucherin zu ihrer Begleiterin hat sagen hören. «Ihre Bücher wollen sie uns verkaufen. Aber sonst wollen sie uns nicht.» Gabriela Bader ist sichtlich betroffen.
Ein interessiertes Publikum
Doch sie erzählt auch, wie viel Interesse das Publikum an Schweizer Literatur habe. «Ich bin beeindruckt, wie gut informiert die Leute sind», sagt sie. «Viele haben Zettel dabei und wissen genau, welche Bücher sie sehen möchten.» Die Besucher der Messe wüssten offensichtlich, dass die Schweizer aus Kunst und Kultur anders denken, meint Bader.
Diesen Eindruck hat auch Oliver Bolanz, Verlagsleiter beim Christoph Merian Verlag in Basel. «Als ich am ersten Tag mittags meine Schicht begann, war meine erste Frage an die Kollegen: ‹Und, werdet Ihr gross auf das Votum angesprochen?›.» Nein, beim Publikum spiele es kaum eine Rolle, antworteten ihm seine Kollegen. Die Besucher des Schweizer Standes sind ein dankbares und interessiertes Publikum, hat inzwischen auch Bolanz erfahren.
Die Leipziger ist nach der Frankfurter die zweitgrösste deutsche Buchmesse und findet jedes Jahr im März statt, dieses Jahr vom 13.-16. März.
Als erster Branchentreff des Jahres gilt sie als wichtiger Impulsgeber für den Büchermarkt. Mehr als 2000 Aussteller aus 43 Ländern präsentieren sich dieses Jahr, 2013 kamen knapp 170’000 Besucher. Im Fokus der Messe steht die Begegnung zwischen Autoren und Publikum, was unter anderem über das Lesefestival «Leipzig liest» mit mehr als 2800 Veranstaltungen an 365 Orten in der Stadt verwirklicht wird.
Wie ein Messekatalog aus dem Jahr 1595 belegt, war die Schweiz bereits im 16. Jahrhundert mit 12 Büchern auf der Leipziger Buchmesse vertreten.
So eine ist Irmtraut Hügl. «Ich möchte wissen, was die Schweiz an Literatur zu bieten hat», sagt die Musik-Fachberaterin. Aus dem Leipziger Umland kommt sie regelmässig an die Buchmesse.
«Das Abstimmungsergebnis ist Fakt, aber ich habe es nicht im Kopf, wenn ich mir die Bücher aus der Schweiz ansehe. Mir geht es nur um Literatur.» Den vom Atelier Oї entworfenen Stand und vor allem die roten Schweizer Lesebänke, die sowohl auf der Messe als auch in der Leipziger Innenstadt aufgestellt sind, finde sie toll.
Christoph von Radowitz wiederum gefällt, dass der Stand mit Büchern nicht so überladen sei. Einige kleine Schweizer Verlage findet der Leipziger «erfrischend anders». Das Abstimmungsergebnis vom 9. Februar, sagt er, habe sein Bild von der Schweiz nicht verändert. «Für die Schweizer ist das sicher problematisch. Aber das Land hat so viele positive Aspekte, die werden doch jetzt nicht alle in die Tonne getreten.»
Viersprachigkeit und Vielfalt
Für die Literaturwissenschaftlerin Gabriela Bader sind solche positiven Aspekte ihres Heimatlandes auf der Leipziger Buchmesse sehr präsent. «Das andere Bild der Schweiz sieht man an der Vielfalt an Büchern, der verschiedenen Sprachen, der Übersetzungskultur und unserem Bewusstsein für Vielfalt», sagt sie. «Das ist es, was uns ausmacht.»
In der Veranstaltungsreihe «3 Sprachen um 3» liest am ersten Messetag der Bündner Autor Arno Camenisch – auf Deutsch und Rätoromanisch. Alle Plätze am Schweizer Stand sind besetzt, viele Leute bleiben stehen, als sie Camenischs klangvolle Sprache hören. Viele von ihnen hören Rätoromanisch wahrscheinlich zum ersten Mal.
Die junge Übersetzerin Lydia Dimitrow hatte wohl noch ganz anderes über die Schweiz gehört. Ein Stipendium ermöglichte ihre erste Übersetzung vom Französischen ins Deutsche: den Roman «Bestseller» von Isabelle Flükiger.
«Als ich wegen der Übersetzung zum ersten Mal in die Schweiz reiste, dachte ich, alle Schweizer sprächen fliessend Deutsch, Französisch und Italienisch», sagt Dimitrow. Offensichtlich gibt es über die Schweiz noch eine ganze Menge zu erklären.
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