Geliebt, gehasst, gefeiert: Le Corbusiers Schweizer Pavillon in Paris
Das 1933 von Le Corbusier erbaute und von den Anhänger:innen des Akademismus verschmähte Schweizer Haus in der Cité internationale universitaire in Paris stellt seine turbulente Vergangenheit zur Schau.
Man muss ein bisschen Zickzack laufen durch die Labyrinthe der Cité internationale universitaire de Paris, am Indien- und am Japanhaus vorbei, um schliesslich den Schweizer Pavillon zu finden.
Umgeben vom Dänischen, Schwedischen und Norwegischen Haus kann man nicht sagen, dass er besonders auffällt. Man muss schon ein:e Kenner:in sein, um zu wissen, dass er von Le Corbusier erbaut wurde, dem berühmtesten Architekten des 20. Jahrhunderts.
«Bevor ich hier wohnte, wusste ich nicht, wer Le Corbusier war», gesteht Laura, eine belgische Kommunikationswissenschaftlerin. Inzwischen hat sie sich informiert. «Mein Zimmer ist mit 16 m2 ziemlich gross und für Pariser Verhältnisse gut durchdacht», sagt sie.
Wer das «Musterzimmer» im Pavillon betritt, das für Besuchende offen ist, hat dennoch den Eindruck, eine Klosterzelle zu besichtigen. Das Bett, das wie die meisten Möbel von der berühmten französischen Designerin Charlotte Perriand entworfen wurde, ist klein.
Monica Corrado, Direktorin der Fondation suisse / Pavillon Le CorbusierExterner Link beruhigt allerdings: «In den anderen Zimmern haben wir es durch grössere Betten ersetzt.»
In einer Ecke befinden sich eine kleine Dusche und ein Waschbecken. Der grösste Teil des Raums ist fürs Studium reserviert: Regale und ein Tisch mit Blick auf eine nach Süden ausgerichtete Fensterfront.
Die Studierenden blicken auf ein Stadion und weiter hinten auf die berühmte Ringautobahn. Sie wird bald von neuen Pavillons verdeckt werden, die gerade im Bau sind, wie Corrado verspricht.
Vor hundert Jahren konnte man von derselben Stelle aus die Armenviertel der südlichen Vorstädte sehen, die von den «Zonards» bewohnt wurden, wie man sie damals nannte.
Nach dem Krieg von 1914-1918 träumte Senator André Honnorat davon, auf dem 28 Hektar grossen Gelände eine riesige internationale Studentenstadt zu errichten, eine Art Laboratorium für den Weltfrieden.
Ein Schweizer Chalet?
Es gab nur wenige Schweizer, die das Projekt unterstützten, darunter der Mathematiker Rudolf Fueter, Professor in Zürich. Doch welches Bild sollte die Eidgenossenschaft von sich selbst zeichnen?
Griechenland baute Anfang der 1930er-Jahre in der neu entstehenden Universitätsstadt einen Quasi-Tempel mit Säulen und Giebel. Und Armenien liess sich von seinen religiösen Traditionen inspirieren. Ein Schweizer Chalet also?
Die Wahl des Architekten würde entscheidend sein. Eine kleine Gruppe von Akademikern unter der Leitung von Fueter setzte sich dafür ein, einen Landsmann zu engagieren, was bei den Anhänger:innen des Akademismus einen Skandal auslöste: Le Corbusier.
Der Berner Hans Fehr argumentierte 1930 vor dem Rat des Schweizer Hauses: «Es gibt zwei Möglichkeiten: die Mittelmässigkeit oder das Genie zu unterstützen. Im ersten Fall müssen wir einen Wettbewerb organisieren. Wir haben das Glück, Le Corbusier zu haben. Das dürfen wir nicht zugunsten eines demokratischeren Wettbewerbs verschenken.»
Mit sechzehn zu drei Stimmen, so erzählt Corrado, die an einem Buch über den Schweizer Pavillon arbeitet, entschied der Rat, Le Corbusier um eine erste unverbindliche Skizze zu bitten.
«Nachdem diese Skizze eingegangen und diskutiert worden war, gab es keine Diskussion mehr über das Verfahren, und der Auftrag für den Bau wurde an Le Corbusier vergeben», fasst sie zusammen.
Stelzen und eine Glasfassade
So viel zur Demokraie – jetzt war Modernismus angesagt! Zu dieser Zeit erholte sich Charles-Édouard Jeanneret aus La Chaux-de-Fonds, der spätere Le Corbusier, noch immer von seiner Niederlage beim Projekt des Völkerbundes in Genf. Er verklagte den Völkerbund sogar. Der Vorwurf: Man habe seinen abgelehnten Plan plagiiert.
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War es ein Trost für ihn, dass Fueter und seine Freunde ihn mit dem Bau des Schweizer Pavillons beauftragten? Auf jeden Fall hatte Le Corbusier hier freie Hand.
Das Gebäude wurde auf Stelzen errichtet. Im ursprünglichen Entwurf waren es nur drei, erzählt Ivan Zaknic in seinem Buch «Le Corbusier, Pavillon suisse, biographie d’un bâtiment». Das alarmierte die Schweizer Verantwortlichen, die um die Stabilität des Gebäudes fürchteten.
«Menschen ohne Vorstellungskraft stellen immer noch häufig die Frage: Wozu dienen die Pfähle?», sagte Le Corbusier verzweifelt.
Für den Architekten und seinen Cousin Pierre Jeanneret, der den Pavillon mitentworfen hatte, war dies eine Gelegenheit, die Prinzipien der sozialen Architektur festzulegen, die in seinen späteren Cités radieuses in Marseille, Firminy oder Berlin zum Tragen kommen sollten: Stelzen, um das Erdgeschoss freizugeben, Dachterrasse, Glasfassade und ein gebogenes Wohnzimmer, das er mit einem Mosaik aus selbst entworfenen Fotos dekorierte.
«Hoffnungslose Uniformität»
Ein Monument, «das zu den hundert bemerkenswertesten Gebäuden der Welt zählt», nennt Zaknic das Gebäude. Die Schweizer:innen von damals waren weniger überzeugt.
«Wir müssen reagieren, wenn wir nicht wollen, dass die Freiheit und die Fantasie, die den Charme unseres Lebens ausmachen, sich in eine abscheuliche und hoffnungslose Gleichförmigkeit verwandeln», schimpfte die Gazette de Lausanne.
«Le Corbusier hat sich nicht damit begnügt, zu verkünden, dass es keine nationale Kunst mehr gibt, jeglicher Tradition den Krieg zu erklären (…), auf alles zu spucken, was die Menschheit an Schönem hervorgebracht hat», ereiferte sich das Journal de Genève und prangerte einen «bolschewistischen» Stil an.
Heute kann man feststellen: Das Gebäude ist recht gut gealtert. Während des Kriegs beherbergte es die deutsche Armee, die mit den Räumlichkeiten nicht gerade zimperlich umging. Nachdem das Mosaik beschädigt worden war, malte Le Corbusier, der sich immer sehr um sein «Baby» sorgte, ein riesiges Gemälde an Ort und Stelle.
Im Schweizer Pavillon wohnten einige Studierende, denen eine grosse Zukunft beschieden war. Darunter Jean-François Bergier. Er lebte hier 1956, als er die École nationale des Chartes besuchte.
Der bekannte Wirtschaftshistoriker leitete in den Neuzigerjahren die Kommission, welche die Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Dritten Reich aufarbeitete.
Doch da war auch der Mai ’68. Niklaus Meienberg und andere Studenten versuchten, den Direktor aus dem Haus zu drängen, forderten Selbstverwaltung und die Öffnung des Pavillons für Frauen.
Dem Studenten und Journalisten Meienberg, der die offizielle Schweiz immer wieder aufs Korn nahm, wurde sein Antrag auf Wiederzulassung verweigert. Aber der Geist von ’68 drang in das Haus ein. Frauen wurden zugelassen, Studierende beteiligten sich an der Verwaltung.
Heute, mit 90 Jahren, benötigt das Gebäude einige Zuwendung. «Die Erkerfenster haben die Zimmer im Sommer fast unbewohnbar gemacht», sagt Corrado, also wurden sie um die Hälfte verkleinert.
«Vor kurzem habe ich mich mit den Verantwortlichen der Cité du Refuge getroffen, die zur gleichen Zeit von Le Corbusier gebaut wurde, und wir haben vor allem über Wasserschäden gesprochen», sagt die Direktorin schmunzelnd. Das hindert den Pavillon jedoch nicht daran, weiterhin viele Neugierige und «Pilgerinnen und Pilger» anzuziehen.
Die Ausstellung «La Fondation suisse à travers ses archives»Externer Link ist noch bis am 14. Mai 2023 in der Cité internationale universitaire in Paris zu sehen.
Aus dem Französischen übertragen von Marc Leutenegger
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