Warum der König von Tonga ans Schwingfest reist
Wenn am Sonntag ein neuer Schwingerkönig aus dem Ring steigt, wird ein echter König applaudieren: Tupou VI. vom Königreich Tonga im Südpazifik. Der Monarch ist der Schweiz durch eine Freundschaft eng verbunden. Die Geschichte dahinter geht 130 Jahre zurück.
Hunderttausende werden an diesem Wochenende in Zug die Kämpfe verfolgen, die auf den sieben Kreisen mit Sägemehl geführt werden. Mit aufgerollten Ärmeln versuchen 276 Schwinger, den Gegner auf den Rücken zu zwingen, indem sie an die kurze Hose des Gegners greifen und ihn hochschwingen. Am Ende wird ein Schwingerkönig bestimmt.
Dieses Spektakel wird sich auch ein echter König anschauen: Tupou VI. vom Königreich Tonga in Polynesien auf der anderen Seite der Erde. Der Grund dafür liegt in einer Freundschaft zwischen zwei Familien, jener des Königs von Tonga und einer Familie Müller in Zug.
Gegangen und nie zurückgekehrt
«Im Jahr 1885 reiste mein Urgrossvater Philipp Gotthard Müller von Zug auf die Insel Tonga», sagt Luka Müller. «Er ging auf die Suche nach seinem Bruder, der auf eine Abenteuerreise gegangen und nie zurückgekehrt war.»
Auch Philipp Müllers Reise ist gefährlich, zu einer Zeit, als die Schiffsreise mehrere Monate dauerte. Als er auf der Insel ankommt, findet er von seinem vermissten Bruder keine Spur. Auch er wird von Tonga nicht mehr in die Schweiz zurückkehren.
Zuerst verliert er das Schiff, das ihn hätte nach Hause bringen sollen – das nächste würde erst drei Monate später eintreffen -, und dann verliebt er sich in eine Einheimische, Philomena Lauitiiti oder Manono Luatutu, die er 1889 heiratet. Das Paar wird zwölf Kinder haben.
Tonga in Kürze
Das Königreich Tonga ist ein Inselstaat im südlichen Pazifik, in Polynesien, der aus etwa 170 Inseln unterschiedlicher Grösse besteht.
Bevölkerung: 106’000 (97% sind Tongaer, gemäss Schätzung von 2015). 13 Schweizer Bürgerinnen und Bürger wohnten Ende 2012 in Tonga.
Bilaterale Beziehungen: Die Schweiz nahm 1985 diplomatische Beziehungen zum Königreich Tonga auf. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) fördert keine Projekte in Tonga. Die Botschaft in Wellington unterstützt jedoch regelmässig kleine Initiativen.
«Anfang des 20. Jahrhunderts wird einer der Söhne – mein Grossvater Robert Müller – vom Vater für das Studium in die Schweiz geschickt», so Luka Müller. «An der Universität Zürich trifft er eine Studentin aus Belgrad. Sie ist eine der ersten Medizinstudentinnen aus dem Ausland.»
Nach der Heirat kehren sie etwa um das Jahr 1920 herum auf die Insel Polynesien zurück. «Mein Grossvater kümmert sich um Kokosnuss-, Bananen- und Vanilleplantagen, während meine Grossmutter, eine Ärztin, sich um die Kranken und die Menschen kümmert, die ihre Hilfe brauchen», erklärt der Enkel.
«1928 wird mein Vater, Andrew Philipp Müller, geboren. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs kehrt mein Grossvater mit seiner ganzen Familie in die Schweiz zurück.»
Die Verwandten in Tonga nicht vergessen
Die anderen Söhne und Töchter des 1913 verstorbenen Philipp Gotthard Müller bleiben auf der Insel und so tragen heute, mehr als 130 Jahre nach dessen Abreise aus Zug, zwischen 80 und 100 Menschen den Nachnamen Müller in Tonga, weitere 20 bis 30 leben auf Fidschi.
Diejenigen, die in die Schweiz zurückgekehrt sind, haben ihre entfernten Verwandten nie vergessen. «Unsere Familie fördert seit Jahrzehnten Entwicklungsprojekte auf der Insel», erklärt Luka Müller, der seit Jahren für die Koordination der Initiativen verantwortlich ist.
Ein- bis zweimal im Jahr fliegt er von Zürich nach Nuku’alofa, der Hauptstadt des Königreichs Tonga. Er besucht Verwandte, überprüft den Fortschritt der Programme und trifft immer wieder den derzeitigen König George Tupou VI., mit dem er fast eine freundschaftliche Beziehung unterhält.
«1980 verbrachte Prinz Ulukalala Lavaka Alta drei Monate im Haus meiner Eltern. Sein Vater wollte, dass er Deutsch lernt». Luka Müller
«Wir unterstützen derzeit vier Initiativen in den Bereichen nachhaltiger Tourismus, erneuerbare Energien, landwirtschaftliche Produktion und finanzieren den Wiederaufbau einiger durch den Zyklon Gita im Jahr 2018 zerstörter Gebäude», erklärt er.
Bei einer seiner Reisen an den polynesischen Archipel, im Jahr 2017, wurde Müller vom damaligen Bürgermeister von Baar, Andreas Hotz, sowie dem damaligen Schweizer Botschafter in Wellington (Neuseeland), David Vogelsanger, begleitet.
Die Schweizer Delegation übergab persönlich ein wichtiges Schreiben an den König. «Am 5. November 2017 wurden wir von Tupou VI. empfangen. Wir übergaben ihm die Einladung der Zuger Regierung und des Organisationskomitees zur Teilnahme am Eidgenössischen Schwingfest», erinnert sich Andreas Hotz.
Seine Majestät, König Tupou der Vierte von Tonga, nahm an.
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Zuger Blockchain-Technologie für Tonga
Der Besuch von Tupou VI. in der Schweiz ist für Luka Müller eine Gelegenheit, ein weiteres wichtiges Projekt zur Förderung der Entwicklung des Königreichs Tonga umzusetzen. Wegen der schlechten Wirtschaftslage und fehlender Berufsaussichten verdient fast die Hälfte der Tongaer ihren Lebensunterhalt im Ausland, vor allem in Neuseeland, Australien oder den Vereinigten Staaten.
Von ihren Wohnsitzländern aus senden sie Überweisungen an Verwandte zu Hause. Diese machen mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts von Tonga aus. «Wir wollen gemeinsam mit dem König eine Lösung finden, um die Kosten von Überweisungsvorgängen mit Hilfe der Blockchain-Technologie zu senken», erklärt Luka Müller mit Begeisterung.
Zudem möchte Müller eine Handelskammer Schweiz-Tonga eröffnen, um Schweizer Investitionen in Polynesien zu fördern. Dies wäre eine weitere Initiative zur Stärkung der jahrhundertealten Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
(Übertragung aus dem Italienischen: Sibilla Bondolfi)
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