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Theater im Wald: Wie funktioniert das Experiment mit der grünen Botschaft?

Paysages partagés Szene
Sieben Stücke werden im Rahmen des Projekts "Paysages partagés" aufgeführt, das vom 14. Mai bis 18. Juni 2023 auf den Anhöhen von Lausanne stattfindet. © Léonard Rossi - Tous Droits Réservés/all Rights Reserved

In den Hügeln von Lausanne verbindet sich Kunst mit Natur. Ein Waldgebiet wird zur lebendigen Bühne einer Theaterreihe mit politischem Statement – was sich die Macher:innen davon versprechen.

Land Art ist eine Kunstform, die in den späten 1960er-Jahren entstand. Sie zeichnet sich durch die Verwendung von Landschaften wie Gewässern oder Wüsten sowie Materialen wie Felsen oder Bäumen aus, um gross angelegte Installationen und Skulpturen zu erschaffen.

Im Zuge der Pandemie hat die Kunstrichtung an Bedeutung gewonnen. Die Kunstschaffende verliessen geschlossene Räume, um ihre Werke in der Natur auszustellen und dem Publikum eindrucksvolle Kulissen zu bieten. Der ökologische Gedanke spielt dabei eine grosse Rolle.

Nun erobert Land Art auch die Theaterwelt. «Paysages partagés», also «Geteilte Landschaften» auf Deutsch, ist der Titel eines bedeutenden Projekts, das vom Lausanner Théâtre de Vidy ins Leben gerufen wurde. Seit dem 14. Mai werden auf den Anhöhen von Lausanne, im grossen Waldgebiet des Chalet à Gobet, sieben Stücke von sieben Schweizer und internationalen Künstler:innen aufgeführt.

Die Darbietungen, die insgesamt sieben Stunden dauern, hinterfragen die menschliche Beziehung zur Natur, enthüllen die Schönheit der Natur oder zeigen die von Menschen verursachten Schäden auf.

Schauspielerinnen und Schauspieler bei der Arbeit in einer ungewöhnlichen Kulisse, dem grössten Wald des Schweizer Tieflandes.
Schauspielerinnen und Schauspieler bei der Arbeit in einer ungewöhnlichen Kulisse. © Sarah Imsand

Die Macher:innen sind der deutschsprachige Regisseur und Gründer der Theatergruppe Rimini Protokoll, Stefan Kaegi, sowie Caroline Barneaud, eine erfahrene Produzentin am Théâtre de Vidy. Gemeinsam haben sie mehr als zwei Jahre an «Paysages partagés» gearbeitet, das zum Teil durch das EU-Förderprogramm «Kreatives Europa» finanziert wird.

Inszenierung am Stadtrand

Der Umweltgedanke ist eine treibende Kraft des Vorhabens. «Die sieben Stücke sollen das Publikum dazu anregen, über die Umwelt im Allgemeinen und den spezifischen Aufführungsort im Besonderen nachzudenken», sagt Caroline Barneaud. «Bei unserer Auswahl haben wir uns gezielt auf Stadtrandgebiete konzentriert, in denen die Landwirtschaft immer mehr Raum einnimmt und das Zusammenleben von Menschen, Tieren und Pflanzen unmittelbar erlebbar wird.»

Das Chalet à Gobet, das von einer Hauptstrasse durchzogen wird, beherbergt unter anderem den Komplex der Hotelfachschule Lausanne und ein Reitzentrum. «Hier leben und arbeiten verschiedene Bevölkerungsgruppen, die nicht unbedingt ins Theater gehen und wohl nur selten die wunderschöne Natur, die ihnen hier geboten wird, aus der Nähe betrachten», sagt Barneaud.

Caroline Barneaud und Stefan Kaegi blicken in die Kamera.
Die beiden Designer des Projekts, Caroline Barneaud und Stefan Kaegi. © Sarah Imsand

Das Publikum soll durch das Projekt sensibilisiert werden. Barneaud und Kaegi möchten auch Theatergruppen, Kunstinstitutionen und mehrere europäische Länder in ihr Vorhaben einbeziehen. «Unser Ziel ist es, verschiedene Partner auf lokaler und internationaler Ebene zu vernetzen und eine kulturelle Verbindung zwischen den Gastgeberländern herzustellen», erklärt Barneaud.

«Paysages partagés» soll bis am 18. Juni in Chalet à Gobet aufgeführt werden, im Juli ziehen die Künstler:innen nach Frankreich ans Festival von Avignon. Auch dort wird das Stück auf dem Land, nur wenige Kilometer von Avignon entfernt, gezeigt. Anschliessend geht es nach Deutschland, genauer gesagt in das waldreiche Bundesland Brandenburg, in der Nähe von Berlin. 2024 folgt eine Tournee durch Slowenien, Portugal, Österreich, Spanien und Italien.

Natur und Beeinträchtigung

Die Schauspieler:innen wechseln von Ortschaft zu Ortschaft, sodass die Darbietungen in der jeweiligen Landessprache aufgeführt werden können. «Wir haben den Regisseur:innen keine Vorgaben gemacht, sondern alle bringen ihre eigene Beziehung zum Land und ihre persönliche Sicht auf die Ökologie ein», sagt Stefan Kaegi.

Ein Beispiel dafür sind die beiden Italiener:innen Marco D’Agostin und Chiara Bersani. Bersani ist beeinträchtigt, deshalb geht es in ihrem Stück um die Frage, wie man den Wald erleben kann, wenn man im Rollstuhl sitzt. Die Beeinträchtigung zwingt sie dazu, die Natur auf eine andere Art und Weise wahrzunehmen.

Person im Grünen.
In den Stücken, die in der Natur gespielt werden, kommt auch die Musik zum Einsatz. © Sarah Imsand

Kaegi ist selbst Autor eines der Stücke und interessiert sich für besondere Blickwinkel. In seinem Werk erlebt das Publikum die Aufführung, indem es auf dem Boden liegt, Kopfhörer auf den Ohren hat und den vorab aufgenommenen Gesprächen zwischen einem Förster, einem Meteorologen, einem Psychoanalytiker und anderen lauscht.

Die Zuschauer:innen sehen ihre Nachbar:innen nicht wie in einem gewöhnlichen Saal, stattdessen richten sie ihren Blick auf den Himmel und die Baumkronen, während sie dem Gesprochenen zuhören. «Sprache und Bilder verschmelzen zu einer unerwarteten Landschaft», sagt Kaegi.

Die Revolte des Planeten

Ein weiteres Beispiel ist das Stück der spanisch-schweizerischen Kompanie El Conde de Torrefiel, das von der Tessinerin Tanya Beyeler mitgeleitet wird. Gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Pablo Gisbert hat sie einen Text geschrieben, der auf eine grosse LED-Leinwand projiziert wird, die mitten in einer Ebene aufgestellt ist.

Die Natur steht hier im Mittelpunkt und richtet einen zunächst ruhigen, dann immer leidenschaftlicher werdenden Monolog an eine glücklose Menschheit. In diesem ist die Menschheit auf einem grosszügigen Planeten geboren worden und hat diesen ohne jegliche Dankbarkeit ausgebeutet.

Tanya Beyeler erwartet, dass die Reaktionen des Publikums auf diese Revolte des Planeten von Land zu Land unterschiedlich ausfallen werden. Sie kennt die Schweiz und Spanien, wo sie seit 20 Jahren lebt, sehr gut. «Die Schweizer:innen haben eine liebevolle Beziehung zur Natur, die Spanier:innen eher eine brutale. Die einen reichen ihr die Hände, während die anderen ihr den Rücken zukehren», sagt Beyeler, «Obwohl sich die Dinge ändern, bleibt in der iberischen Mentalität das Land ein Ort, an dem nur die Armen leben. Der reiche Mann lebt in der Stadt.»

Neues Umweltbewusstsein

Welche Auswirkungen werden die «Paysages partagés » auf das Publikum haben? «Wir erheben nicht den Anspruch, alle unsere Zuschauer:innen zu überzeugen», sagt Caroline Barneaud. «Wir glauben aber, dass dieses Projekt zu einer Veränderung beitragen kann, indem es ein neues Bewusstsein für die Umwelt schafft und Verhaltensänderungen anregt.»

Editiert von Samuel Jaberg. Übertragung aus dem Französischen: Christoph Kummer

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