Grenzblockade für Schweizer Filme
Der Ausschluss der Schweiz aus dem europäischen Filmförderungsprogramm MEDIA nach der Annahme der SVP-Masseneinwanderungsinitiative stellt für den Verleih von Schweizer Filmen im Ausland ein gewaltiges Problem dar. Die vorgesehenen Ersatz-Fördermassnahmen der Schweiz sind ungenügend und ein Ende des Streitfalls mit der EU ist nicht absehbar.
Die Schweiz gehört sicherlich nicht zu den der Ländern, die einem in den Sinn kommen, wenn vom europäischen Film die Rede ist. Und doch ist es Regisseuren wie Jean-Stéphane Bron, Ursula Meier oder Markus Imhoof – um nur einige zu nennen – gelungen, sich international einen Namen zu machen und einen kleinen Marktanteil zu erobern.
Die Qualität und internationale Dimension dieser Filme trägt sicherlich zu ihrem Erfolg bei. Doch die öffentliche Wahrnehmung verdankt sich teilweise auch auf der finanziellen Unterstützung durch das europäische Filmförderungsprogramm MEDIA. Nur: Auf diese Unterstützung kann der Schweizer Film nicht mehr zählen.
«Seit Anfang Jahr gilt die Schweiz in diesem Programm als Drittland, auf einer Ebene mit Ghana, Libanon und Albanien. Europäische Filmverleiher erhalten genauso wie Filmverkäufer keinerlei finanzielle Anreize mehr, um Filme aus der Schweiz zu promoten. Schweizer Filme laufen so Gefahr, ganz aus den Kinos der EU-Länder zu verschwinden», meint ein besorgter Ivo Kummer, Leiter der Abteilung Film im Bundesamt für KulturExterner Link (BAK).
Bremse für die Zuwanderung
Am 9.Februar 2014 hat das Schweizer Stimmvolk mit 50,3 Prozent der Stimmen der Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» zugestimmt. Diese war von der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei SVP lanciert worden. Der angenommene Verfassungsartikel sieht die Wiedereinführung von Kontingenten, jährliche Höchstzahlen für die Einwanderung von Ausländern und einen Inländervorrang auf dem Arbeitsmarkt vor. Da diese Massnahmen mit der gültigen Personenfreizügigkeit mit der EU nicht vereinbar sind, hat die Schweizer Regierung die EU gebeten, das bilaterale Abkommen neu auszuhandeln. Im Juli hat Brüssel das Schweizer Anliegen abgewiesen.
Der Grund für diese Entwicklung: Nach der Annahme der SVP-Initiative am 9.Februar, mit der die Wiedereinführung von Kontingenten für Ausländer beschlossen wurde, hat die Europäischen Union (EU) entschieden, die Schweizer Beteiligung am Filmförderungsprogramm MEDIAExterner Link, an Erasmus Plus und Horizon 2020 auszusetzen. Denn für die EU verstossen Kontingente gegen das Prinzip der Personenfreizügigkeit. BAK-Vizedirektor Yves Fischer spricht in von einem politischen Entscheid, der nun zu Unrecht die Kultur getroffen habe.
Ein Euro pro Zuschauer
Der Ausschluss aus dem EU-Förderprogramm ist bereits konkret spürbar. «Wir berücksichtigen Schweizer Filme sehr selten, weil wir wissen, dass die Verleiher äusserst zurückhaltend sind», sagt Jean-Christophe Simon, Direktor der «Films BoutiqueExterner Link«. Die auf internationale Filme spezialisierte Agentur in Berlin hat sich unter anderem um die Promotion von «More than Honey» (2012) des Regisseurs Markus Imhoof gekümmert – der erfolgreichste Schweizer Dokumentarfilm aller Zeiten – oder des Films «Les Grandes ondes (à l’ouest)» von Lionel Baier.
«Die europäischen Filmverleiher erhalten zwischen 70 Cent und einem Euro für jeden Kinobesucher, der einen europäischen Film anschaut. Ohne diese Unterstützung wäre selbst ein Film wie «More than Honey» wohl nie in den Kinos von rund dreissig Ländern gelaufen. Von einem weniger bekannten Dokumentarfilm wie «Hiver Nomade» von Manuel von Stürler wollen wir schon gar nicht reden. Dieser wäre überhaupt nicht wahrgenommen worden», meint Jean-Christophe Simon.
Die Konkurrenz ist hart. Dies macht sich insbesondere für die Schweizer Filme bemerkbar, die häufig nicht auf bekannte Schauspieler oder ein grosses Budget zählen können. Die Filmagentur von Jean-Christophe Simon begutachtet jedes Jahr 400 Filme. Ausgewählt werden aber nur ein Dutzend.
Das Problem existiert im Übrigen auch in der Gegenrichtung: Der Ausschluss aus dem MEDIA-Programm macht sich ganz analog bei der Präsenz von europäischen Filmen in Schweizer Kinos bemerkbar. Dabei machten im Jahr 2013 Filme aus Europa rund einen Drittel der Schweizer Kinoeinnahmen aus.
Ungenügende Ersatz-Massnahmen
Das europäische Filmförderprogramm MEDIA war Anfang der 1990er-Jahre gegründet worden, um ein kleines Gegengewicht gegen die Dominanz von US-Filmen zu setzen. Garantiert werden Fördermittel auf ganz unterschiedlichen Ebenen des Filmschaffens: Ausbildung, Produktion, Verleih, Präsenz an Festivals. Die Schweiz ist dem Programm als Nichtmitgliedsland der EU im Jahr 2006 beigetreten – im Rahmen der Bilateralen Verträge II – und erhielt seither rund vier Millionen Franken jährlich an direkten oder indirekten Subventionen.
Um den Ausfall dieser Subventionen auszugleichen, hat der Bund einen Kredit von fünf Millionen Franken gesprochen, der 2015 erneuert werden kann. Doch diese Ersatz-Fördermassnahmen gelten nur für den inländischen Markt, insbesondere für die Ausstrahlung von europäischen Filmen. «Für uns war es ganz entscheidend, dass wir so eine Vielfalt im kulturellen Angebot sichern können», hält BAK-Filmchef Ivo Kummer fest.
In Bezug auf den Export an eigenen Produktionen sind der Schweiz die Hände gebunden. Gesetzlich ist es nicht erlaubt, Zuschüsse an Verleiher im Ausland zu bezahlen. Die einzige Möglichkeit besteht in einer Zuwendung in Höhe von 250‘000 Euro aus dem Koproduktionsfonds Eurimages, mit dem der Europarat das europäische Filmschaffen unterstützt.
«Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die Schweiz geht aus dieser Situation als Verliererin hervor, auch weil abgesehen vom Förderprogramm Media und der Promotionsagentur Swissfilms kein nationales Konzept für den Export von Schweizer Filmen existiert», meint Roberto Olla, Geschäftsführer von Eurimages. «Länder wie Frankreich unterstützen ihre Filmindustrie auch aktiv im Ausland, weil Filme als Teil des Standortsmarketings für Kultur, Handel und Tourismus gesehen werden.»
Das Programm MEDIA
MEDIA (Mesures pour Encourager le Développement de l´Industrie Audiovisuelle) ist ein Programm der Europäischen Union zur Förderung der Entwicklung der audiovisuellen Industrie. Es wurde Anfang der 1990er-Jahre lanciert. Ziel ist es, das europäische Filmschaffen und den Verleih zu fördern, der wegen der grossen Sprachvielfalt unter kleinen Märkten leidet. MEDIA ist ein Baustein gegen die Dominanz des US-amerikanischen Filmschaffens in Europa. Die Schweiz ist dem Programm 2006 beigetreten – im Rahmen der Bilateralen Verträge II mit der EU. Im Januar 2014 wurde MEDIA ins Programm «Creative Europe» integriert.
Die Filmexperten sind sich zudem einig, dass es kurzsichtig wäre, das Filmförderungsprogramm MEDIA nur unter finanziellen Aspekten zu betrachten. Das Programm stellt eine wichtige Gelegenheit zum interkulturellen Austausch dar, die sich nicht einfach durch Kompensationsmassnahmen ersetzen lässt.
«Für eine Verhandlung braucht es zwei»
Am Rande des Filmfestivals LocarnoExterner Link betonten Behörden- und Branchenvertreter die Notwendigkeit, den Streitfall mit der EU so schnell wie möglich zu beenden, um nicht die gesamte Filmindustrie zu gefährden. Doch die Lösung des Problems ist alles andere als einfach. Schon vor dem 9.Februar gab es Verhandlungen mit der EU zu ungelösten rechtlichen Problemen. Nun sind noch institutionelle Fragen hinzugekommen.
«Die Verhandlungen werden schwierig werden. Aus EU-Sicht sind die Programme Erasmus Plus und MEDIA direkt mit dem Dossier der institutionellen Probleme verbunden, genauso wie mit dem Prinzip der Personenfreizügigkeit. Deshalb steht Brüssel jetzt auf die Bremse», meint Ivo Kummer. Für die Teilnahme der Schweiz an Horizon2020 (EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation)wurde eine Lösung gefunden, welche zumindest teilweise eine erneute Beteiligung der Schweiz möglich macht.
Die nächsten Schritte werden im Herbst erwartet, wenn Brüssel offiziell ein Verhandlungsmandat erhalten sollte. Während der traditionellen Medienkonferenz des Bundesamts für Kultur am Filmfestival Locarno hat Kulturminister Alain Berset erneut betont, dass die Schweizer Regierung eine Wiedereingliederung der Schweiz in das Programm MEDIA in den ersten Monaten des Jahres 2015 anstrebt. «Aber um verhandeln zu können, muss man zu zweit sein», so Berset. Der Ball liegt nun also in Brüssel.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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