Chaplin-Museum vor der Eröffnung
Endlich: Nach langen 15 Jahren der Vorbereitung soll das Museum über Charlie Chaplin, einen der grössten Komiker und Schauspieler aller Zeiten, im kommenden Frühling in Vevey die ersten Besucherinnen und Besucher empfangen. swissinfo.ch hat vor der Eröffnung einen Augenschein vor Ort genommen.
Die letzten Arbeiten laufen auf Hochtouren, der Boden um das Gebäude oberhalb der Stadt Vevey am Genfersee ist tiefer Morast.
«Chaplin’s World»Externer Link, so der Name des Museums, soll seine Pforten in Bälde öffnen. Ziel der Initianten ist es, den Besuchern eine völlig neue Museums-Erfahrung zu bieten. Chaplins Welt besteht nicht nur aus der Villa, in der der britische Weltbürger die letzten 25 Jahre seines Lebens verbrachte, sondern auch aus dem umliegenden, 14 Hektaren grossen Park mit seinen vielen prächtigen Bäumen.
«Kein anderes Museum der Schweiz wird Menschen vom anderen Ende der Welt anziehen», verkündet Yves Durand selbstbewusst. Der kanadische Kulturmäzen initiierte das Projekt im Jahr 2000 zusammen mit dem Architekten Philippe Meylan.
Durand betritt sein provisorisches Büro in einer Scheune im Dorf Corsier hemdsärmlig – und das im Winter. Die Distanz zum Le Manoir de Ban, wie das neoklassizistische Gebäude heisst, in dem Chaplin mit seiner Familie gelebt hatte, beträgt weniger als einen Kilometer.
Le Manoir de Ban ist noch eine Baustelle. Das Gebäude wurde komplett ausgehöhlt, um Platz für neue Innenräume zu schaffen, einschliesslich der Dienstleistungsbereiche. Gerade sind Arbeiter mit letzten Handgriffen am neuen Studio-Gebäude beschäftigt. Es verfügt unter anderem über einen Kinosaal mit 150 Plätzen, in dem sich das Publikum dereinst die Chaplin-Filme, allesamt Klassiker der Filmgeschichte, zu Gemüte führen kann.
In Durands provisorischem Büro türmen sich Gegenstände aus Charlies Besitz meterhoch und warten darauf, wieder ihren angestammten Platz in Le Manoir einzunehmen, sobald die Umbauarbeiten beendet sind.
Ledereinbände von «Punch and Judy» stehen in schier endloser Reihe über dem Koffer, der den «Tramp» auf seinen Reisen stets begleitet hatte.
In einen Spiegel mit prächtigem Goldrahmen erscheinen kitschige Möbel und Einrichtungsgegenstände. Sie warten der Auffrischung durch Restauratoren, bevor sie dann ihren Auftritt im neuen Museum haben werden.
Es sind Zeugen des überraschend bürgerlichen Interieurs des Heims von Chaplin, dem Sohn britischer Vaudeville-Artisten, und seiner letzten Frau Oona, geborene O’Neill, Tochter eines amerikanischen Bühnenautors. Die Einrichtung würde gut als Requisiten zu einem Theaterstück aus dem späten 19. Jahrhundert passen.
«Chaplin’s World»
Um die Person Chaplin als Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller, Komponist und Produzent im richtigen Licht zu würdigen, werteten die Gestalter der neuen Museumsanlage 81 Filme aus, dazu 15’000 Fotografien aus dem Elysée Museum in Lausanne sowie 200’000 Dokumente aus dem Archiv von Montreux.
Familiensitz
Chaplin entschied sich zum Wohnsitz in der Schweiz, nachdem ihm 1952 die USA die Wiedereinreise verweigert hatten – es herrschte die Antikommunismus-Psychose der McCarthy-Ära.
Bis zu seinem Tod am Weihnachtstag 1977 im Alter von 88 Jahren lebte der Star in Corsier. Mit der um 35 Jahre jüngeren Oona, die 1991 verstarb, hatte Chaplin acht Kinder. Zwei von ihnen, Eugene und Michael, wohnten noch dort, als Durand die Familie im Jahr 2000 erstmals kontaktierte. «Wir versprachen Chaplins Kindern, dass wir nie versuchen würden, ihren Vater zu interpretieren, sondern ihn für sich selbst sprechen zu lassen», sagt der Kanadier.
Am Ende gaben die Erben ihm und seinen Partnern nicht nur die exklusiven Lizenzrechte, sondern öffneten ihm auch die Schätze ihrer persönlichen Kindheitserinnerungen – festgehalten in Fotoalben und Familienfilmen, die ebenfalls Teil der Ausstellung sein werden.
Wand aus Widerstand
Durands Enthusiasmus verleiht ihm einen jugendlichen Eifer, als er erklärt, warum er seinen Traum trotz unzähliger Hindernisse nie aufgegeben hat.
Nachdem die Familie Chaplin bereit war, die Villa zu verkaufen, kam schon der erste Dämpfer: Als Durand sein Projekt den lokalen Behörden vorstellte, erntete er erst einmal eine geballte Ladung an Skepsis und Zweifel. Es dominierte die Angst, der Ort würde zu einer Art Disneyworld verkommen, der das Erbe von Chaplin und den Ruf des Ortes beschädigen könnte. Auch Durands Business Plan wurde in Zweifel gezogen.
Doch schliesslich liefen die Verhandlungen über die unmittelbare Umgebung und das Verkehrsaufkommen überraschend glatt ab. Es blieb aber ein Nachbar, der seine Ablehnung aufrecht hielt. Alleine sieben der insgesamt 15 Jahre nahmen laut Schätzungen des Initianten Rechtsstreitigkeiten in Anspruch.»Das war gar nicht unbedingt mal so schlecht», sinniert er. «Die Rückschläge erlaubten uns, mit einem verbesserten Projekt wieder zu kommen.»
Über den Ausgang hegt er keinerlei Zweifel. «Ich stamme aus Nordamerika, ich bin ein Träumer», sagt er. Dort, wo er herkomme, sei dies etwas Positives. Neue Investoren sorgten für eine Aufstockung des Etats von 20 auf 60 Mio. Schweizer Franken.
Von den rund 1000 Museen in der Schweiz seien nur gerade 15% privat finanziert, so Durand. Die Geldgeber für Chaplin’s World stammen hauptsächlich aus der Schweiz, Luxemburg und Kanada.
Der Museumskomplex
Das Konzept sieht eine räumliche Trennung vor in Chaplin als Mensch und als Künstler. Manoir de Ban ist dem Leben Chaplins gewidmet. «Wir verstecken nichts, auch nicht die Probleme, die daraus erwuchsen, dass er ein Frauenheld war», gibt er sich entwaffnend.
Der erwähnte Studio-Neubau, mit 16 Metern Höhe ein stolzer Bau, ist dem Künstler Charlie Chaplin gewidmet. Neben dem Filmerlebnis auf Kinoleinwand werden die Besucher auf ihrem Gang auch viel Multimedia und virtuelle Technologie geboten.
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Charlie Chaplin in Hochform
Riesiger Optimismus
Beteiligt ist auch das französische Unternehmen Grévin, das in Paris ein Wachsfiguren-Museum unterhält. Von Grévin stammt Jean-Pierre Pigeon, kanadisch-schweizerischer Doppelbürger und Generaldirektor des Chaplin-Museums. Sein Optimismus ist mindestens so gross wie jener Durands, rechnet Pigeon doch mit über 300’000 Besuchern jährlich.
Nicht fehlen darf natürlich «Chaplin’s Café Restaurant». Dieses ist in einem alten Bauernhaus am Eingang des Grundstücks untergebracht. Tagsüber können die Besucher Gerichte essen, die von «Chaplin inspiriert» sind. Abends verwandelt sich der Ort dann in einen Ess-Ort mit gehobener Küche. Unter dem Dach, wo zuletzt die beiden Chaplin-Söhne gewohnt hatten, entstand ein 250 Quadratmeter grosser Empfangsraum, der für Anlässe – ebenfalls der gehobeneren Art – gemietet werden kann.
Pigeon betont, dass 90% von «Chaplin’s World» durch Handwerker aus der Region erstellt worden seien. Tatsächlich weisen die Dutzenden von Fahrzeugen, welche die Baustellen säumen, Waadtländer Nummernschilder auf. Der Betrieb des Museums wird 25 neue Stellen schaffen, Restaurant, Park und Sicherheit nicht eingerechnet.
Aber wann öffnet nun die Anlage endlich ihre Pforten? Das genaue Datum wird an einer Medienkonferenz verkündet, die Anfang 2016 stattfinden soll.
«Wir wollen ‹Chaplin’s World› zu einer der wichtigsten kulturellen Stätte der Schweiz machen», unterstreicht Durand zum Schluss.
Charlie Chaplin – eine Jahrhundertfigur
Sir Charles Spencer Chaplin wurde 1889 in East Lane, London, geboren. Seine Eltern waren Variété-Künstler.
Chaplin war Regisseur, Drehbuchautor, Produzent, Cutter seiner Filme und hat auch die Musik zu seinen Filmen komponiert. In 50 Jahren hat er 80 Kurzfilme und Spielfilme gedreht, davon mehr als 70 mit der Hauptperson «Charlot», die er 1914 erfunden hatte.
1903 begann seine Karriere im Theater, 1908 startete sie im Film in den USA.
Seine Figur des «Tramp», des liebenswürdigen, herzensguten und mausarmen Vaganten, machte ihn zum Star Hollywoods. Er schaffte zudem den Sprung vom Stumm- zum Tonfilm, was nicht allen Stars gelang.
Filmklassiker wurden u. a. The Kid (1921), The Gold Rush (1925), The Circus (1928), City Lights (1931), Modern Times (1936), The Great Dictator (1940) und Limelight (1952).
1953 wurde er als Kommunist aus den USA verjagt. Er liess sich in Manoir de Ban bei Vevey nieder.
«A Countess from Hong Kong» von 1966 wurde sein letzter Film. Chaplin kehrte 1973 triumphal nach Hollywood zurück, wo er mit einem Spezial-Oscar geehrt wurde. 1975 wurde er von der britischen Königin geadelt.
Chaplin starb am 25. Dezember 1977 in Vevey.
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