Grosser Dichter ohne Blumen: Robert Walser
"Für einen Dichter hat man nie Blumen genug" schrieb einst Robert Walser, dessen 125. Geburtstag gegenwärtig gefeiert wird.
Zeit seines Lebens erhielt Robert Walser nie genug Anerkennung, nie genug Blumen. Er starb 78-jährig im Schnee.
Alle waren sie da am letzten Sonntag, und es war eine reine Männerrunde: Peter Bichsel, Hugo Loetscher, Jörg Steiner, Peter von Matt, Urs Widmer, Peter Weber, Martin Walser, Urs Allemann und sogar Bundesrat Moritz Leuenberger.
Eingeladen hatten der Suhrkamp-Verlag, die Carl-Seelig-Stiftung und das Schauspielhaus Zürich, um dem grossen Ironiker und begnadeten Schweizer Dichter Robert Walser (1878-1956) lesend die Referenz zu erweisen.
Schnee im April
Die Lesung fing in jenem Elemente an, in dem Robert Walser verstarb: im Schnee. Peter Bichsel machte mit «Geschwister Tanner» den Auftakt und las jene Stelle, wo der junge Dichter tot und kalt im Schnee erfroren unter schönen Tannen ruht.
Zum Schluss las Urs Widmer eine Weihnachtsgeschichte, in der Walser in wunderbar ironischem Tone beschreibt, wie ein Mann (Walser?) an Weihnachten seinen Nachbar besucht, von dem er weiss, dass er eigentlich gar keinen Besuch möchte.
Auch diese Geschichte endet im Schnee, dem weissweichen und zugleich kaltfröstelnden. Gleichwohl draussen in Zürich im Jahr 2003 die Sonne schien; Robert Walser hätte seine Freue gehabt.
Schreiben, Dichten und das Bleistiftgebiet
Dazwischen bot die zweieinhalbstündige Lesung einen Einblick ins walsersche Schreiben und Dichten, das es eine Freude war. Gedichte, Kurze Prosastücke, Romane, Zitate und Gedichte aus dem «Bleistiftgebiet».
Jenes Reich, jene 526 eng beschriebenen Seiten, die Mikrogramme, die nach dem Tode des Dichters in die Hände des Journalisten Carl Seelig fielen, dem Mäzen und Spaziergang-Begleiter von Robert Walsers langen letzten Jahren.
Erst in den 70er-Jahren gelang Werner Morlang und Bernhard Echte die Entzifferung dieser mikrogrammischen Kleinschrift, die anfänglich für eine Geheimschrift gehalten wurde. Die erhaltenen Texte stammen aus der Zeit zwischen 1924 und 1932, als Walser in Bern lebte.
Herzenswunsch: Schauspieler
Am 15. April 1878 wurde Robert Otto Walser als siebtes von acht Kindern in Biel geboren. Die Mutter hatte mit den Kindern mehr als genug zu tun und litt unter Depressionen. Der Vater führte eine Papeterie.
Nach einer Banklehre und einigen Zwischenspielen versuchte sich Robert Walser als Schauspieler. Doch nach einem erfolglosen Vorsprechen in Deutschland schrieb er an seine Schwester: «Mit dem Schauspielerberuf ist es nichts. Doch, so Gott will, werde ich ein grosser Dichter werden.»
Grosser Schriftsteller und Dichter
Ein grosser, ja der grösste Schweizer Dichter der ersten Hälfte der 20. Jahrhunderts wurde Robert Walser. Doch erst posthum. Davor lag ein elend-schönes Dichterleben, wie es im Buche steht.
Einem modernen Stadtnomaden gleich wechselte er häufig die Wohnungen, die Mansarden, die Zimmer, die Anstellungen. Dies je nach finanzieller Lage, immer jedoch dem Dichter-Sein verpflichtet, dem Wunsche nachkommend, Wort für Wort seine Welt zu beschreiben.
«Nicht auf der geraden Strasse, sondern auf Umwegen findet man das Leben.» Robert Walser hat seine eigenen Worte nach- und vorgelebt. So fand er sich 1905 in Berlin wieder. Er absolvierte eine Dienerschule und schrieb drei Romane: «Geschwister Tanner» (1907), «Der Gehülfe» (1908), und «Jakob von Gunten» (1909).
«Das Dichten war ihm heilig»
Diese trugen ihm einen Achtungserfolg ein, mehr nicht. Mit dem Gefühl, gescheitert zu sein, kehrte er nach Biel zurück. In einer Mansarde schrieb er eine grosse Zahl von Kurzprosatexten. Seine Lebensbedingungen waren alles andere als rosig. Geld und Blumen waren rar, aber «Das Dichten war ihm heilig».
Ab 1921 lebte und schrieb er wieder in Bern. Die Lebensbedingungen besserten sich nicht. Zwar publizierten immer wieder einige Zeitungen (Bund, NZZ, etc.) Gedichte und Texte, doch fürs Leben, geschweige fürs gut Leben, reichte es nicht. Zu sehr war seine Sprache durch und durch eigen, unverwechselbar, individuell, als dass sie eine grosse Anhängerschaft gefunden hätte.
Waldau und Herisau
So schrieb er, der ewige Junggeselle, weiter einsam. Die Pein wurde grösser. Walser litt unter Angstzuständen und landete schliesslich – gegen seinen Willen – in der Psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern.
Den Rest seines Lebens verbrachte Robert Walser in der Psychiatrie. 1933 kam er in die Heil- und Pfleganstalt des Kantons Appenzell-Ausserrhoden. Das Schreiben gab er auf. «Es ist ein Unsinn und eine Rohheit; an mich den Anspruch zu stellen, auch in der Anstalt zu schriftstellern. Der einzige Boden, auf dem ein Dichter produzieren kann, ist die Freiheit», sprach er zu Carl Seelig auf einem ihrer Spaziergänge.
Kaltes Ende im Schnee
Am Weihnachtstag 1956 erfror Robert Walser im Schnee. Vergessen und verloren. Er, der einst schrieb: «Ich finde mich veranlasst, Sie daran zu mahnen, dass Sie einen besitzen, der Ihrer gedenkt und der wünscht, dass Ihnen das Leben in seiner sanftesten Form begegne.»
swissinfo, Brigitta Javurek
Robert Walser wird am 15. April 1878 in Biel geboren
1892-95 Banklehre
1898 Erste Gedichte
Aufenthalte in Stuttgart, Zürich, Berlin, München, Solothurn, Basel, Bern
1905 Umzug nach Berlin, schreibt drei Romane
1913 Rückkehr in die Schweiz, schreibt viel Kurzprosa
1921 wieder in Bern. Ab 1929 gegen seinen Willen in der Psychiatrischen Klinik Waldau. Diagnose: Schizophrenie. Schreibt mit immer kleiner werdenden Schrift. Die sogenannten Mikrogramme werden erst nach seinem Tod gefunden und erst später entschlüsselt.
Ab 1933 in der Heilanstalt Herisau. Schreibt nicht mehr
1956 Tod durch Erfrieren auf einem Spaziergang im Schnee
Robert Walser erhält zeitlebens einen einzigen unbedeutenden Literaturpreis.
Bücher zum 125. Geburtstag von Robert Walser:
Feuer. Unbekannte Texte aus drei Jahrzehnten. Hg. von Bernhard Echte im Suhrkamp-Verlag.
Europas schneeige Pelzboa. Texte zur Schweiz. Hg. von Bernhard Echte im Suhrkamp-Verlag.
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