Gruppendynamik in der Masoala-Halle
Die Regenwaldanlage im Zürcher Zoo ist ein fragiles Ökosystem. Nur mit ständiger Kontrolle und Pflege kann das Gleichgewicht aufrecht erhalten werden. Die Tiere in der Masaola-Halle haben sich 5 Jahre nach der Eröffnung aneinander und an die Besucher gewöhnt.
Im Ökosystem Masoala-Halle kommen sich Freund und Feind des Tierreichs ganz nahe – deshalb muss der Mensch das von ihm selbst erschaffene Tropenparadies streng kontrollieren.
«Alle unsere Tiere sind bechipt, die Vögel beringt», sagt Stefan Wettstein, Hallenleiter im künstlichen Regenwald des Zürcher Zoos. «Wir überwachen ständig ihr Gewicht und den Gesundheitszustand.»
Bei den Weibchen der Roten Varis, der grössten Halbaffenart in der Masoala-Halle, sorgt die künstliche Verhütung mittels Hormonimplantaten dafür, dass sie sich nicht zu schnell vermehren. Von den gut gedeihenden Webervögeln müssen jährlich 20 Vögel aussortiert werden.
Zoodirektor Alex Rübel hatte die 11’000 Quadratmeter grosse und 52 Millionen Franken teure Halle im Juni 2003 eröffnet. Die Masoala-Halle ist ein einzigartiges Experiment, zumindest im europäischen Massstab. Hier haben die Schöpfer einen Fleck Urwald nachgebaut, wie er sich auf der Masoala-Halbinsel in Madagaskar befindet.
Im Gegenzug unterstützt der Zürcher Zoo den gleichnamigen Nationalpark in dem vor Entwaldung bedrohten Inselstaat vor der ostafrikanischen Küste. Im Jahre 2007 hat die Unesco der Masoala-Halbinsel den Status des Weltnaturerbes anerkannt.
Biologische Schädlingsbekämpfung
Auch das Modell in Zürich ist ein sensibles Ökosystem. «Dank der Grösse der Halle gelingt es langsam, ein Gleichgewicht herzustellen», sagt Alex Rübel. Ohne menschliches Zutun könnte dieses aber nicht aufrecht erhalten werden. Über 500 Pflanzenarten, 40 Tierarten – ohne Fische, Insekten und andere Kleintiere – und 130 Pilzarten leben hier zusammen.
Nicht nur Temperatur und Luftfeuchtigkeit müssen den tropischen Verhältnissen entsprechen. Im ersten Betriebsjahr wurden rund 110 Millionen Nützlinge wie Käfer und Fadenwürmer eingebracht, um Pflanzen fressende Insekten in Schach zu halten.
Manchmal machen den Zoobetreibern die eigens geschaffenen Bedingungen einen Strich durch die Rechnung. «Die Luft war im Winter zu feucht, einige Pflanzen sind wegen Pilzbefall zu Grunde gegangen», erklärt Stefan Wettstein.
Diesen Winter wurden neue Lüftungsdüsen installiert, die einen intensiveren Luftstrom von der einen Seite der Halle auf die andere blasen. Die Pflanzen können so besser abtrocknen.
Auch hat sich eine Ameisenart, die mit einer Pflanze eingeschleppt wurde, unkontrolliert vermehrt. Die Ameisen mussten mit einem Frassgift bekämpft werden. «Jetzt haben wir sie soweit im Griff, dass sie nur noch an gewissen Stellen auftreten», freut sich Wettstein.
Streit unter den Halbaffen
Die in der Halle lebenden Tiere mussten lernen, miteinander umzugehen. 25 Vogelarten und sechs pelzige Säugetierarten, darunter vier Halbaffenarten, leben hier – plus einige Frösche, Schildkröten, Chamäleons und Geckos. Sie alle teilen sich auch in Madagaskar den Lebensraum. «Aber natürlich haben sie hier weniger Platz und müssen sich arrangieren», sagt Alex Rübel.
Und das tun sie auch. Plötzlich hallt ohrenbetäubendes Geschrei durch den grünen Dschungel. Weit hinten im Blätterwald streiten sich die Roten Varis lautstark mit den etwas kleineren Bambus-Lemuren. Es geht wohl ums Futter – eine der leckeren Bananen oder die Frucht eines Schraubenbaums.
Während in Madagaskar die Varis den Ton angeben, sind die Bambus-Lemuren in der Masoala-Halle die Chefs. Denn 2007 wurde von dieser Art ein Weibchen mit einem Jungtier einquartiert. Und diese Dame war von Beginn weg sehr aggressiv und verteidigte sich und ihre Tochter auch gegen die grösseren Varis.
Seither hat die Bambus-Lemuren-Familie – das Elternpaar, die Tochter und ein 2008 geborener Sohn – im mittleren Baumbereich die Oberhand. Die rotpelzigen Varis dagegen ziehen sich im Konfliktfall in den oberen Bereich zurück, und klettern auch eifrig über das Gestänge im Hallendach.
Zoobesucher, die Tiere mitbringen
«Auch die Besucher beeinflussen das Gleichgewicht», sagt Hallenleiter Stefan Wettstein. Einmal hat jemand sogar eine Spitzmaus ausgesetzt. «Doch wir fanden sie schnell», sagt Wettstein, «weil sie als Haustier keine Scheu vor uns hatte.»
Vor grossen Krankheiten wie etwa Virusinfektionen sind die Bewohner der Halle bisher verschont geblieben. Zwar leidet dann und wann ein Tier an Wurmbefall oder zieht sich Verletzungen zu – und manchmal bleibt eines tot liegen. Doch wenn sie nicht die Tierpfleger finden, räumt das Igeltanrek – ein madagassischer Aasfresser – endgültig auf.
swissinfo, Matthias Meili
Nicht die Wärme oder die Luftfeuchtigkeit sind im Winter das grösste Problem für die Bewohner der Masoala-Halle, sondern das Licht.
Im Moment erhalten die Pflanzen und Tiere viel weniger davon, als sie es zu dieser Jahreszeit gewohnt sind – es wird früher dunkel und später hell als am Originalschauplatz im tropischen Madagaskar.
Das Licht-Defizit wird vor allem mit der Beregnung kompensiert. Trotzdem leiden manche Pflanzen am Lichtstress.
Einzelne Bäume in der Masoala-Halle zeigen bereits ein saisonales Verhalten, legen eine Ruhepause ein und werfen im Winter gar die Blätter ab.
Fläche: 11’000 Quadratmeter
Volumen: 200’000 Kubikmeter
Temperatur: 20 – 30 Grad Celsius
Luftfeuchtigkeit: mindestens 65 Prozent, meistens über 80 Prozent
Niederschlag pro Jahr: 2200 Millimeter
Täglich bis zu 80’000 Liter
Fläche Foliendach: 14’000 Quadratmeter
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