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Gurlitt-Erbe: Spürarbeit der Bilder-Detektive

Provenienzforschung im Kunstbereich ist Detektivarbeit. Keystone

Die Entscheidung über das Gurlitt-Erbe ist gefallen: Nun muss die "Taskforce Schwabinger Kunstfund" in Deutschland ihre Arbeit fortsetzen, um die an Bern vererbten Werke weiter auf Raubkunst-Verdacht zu untersuchen. Keine leichte Aufgabe für die sogenannten Provenienzforscher.


Das Team aus internationalen Experten analysiert seit Mai 2013 die Herkunft des Nachlasses von Cornelius Gurlitt. Sie benötigen dafür kunsthistorischen Sachverstand, Akribie und Hartnäckigkeit. Christoph Schäublin, Präsident des Stiftungsrats des Berner Kunstmuseums, hat recht: Man stehe im Fall Gurlitt «nicht am Ende, sondern am Anfang eines langen Weges», sagte er in Berlin. Kurzum: Die politischen Würfel sind gefallen – aber die eigentliche Arbeit ist noch lange nicht getan. 

Wenn Deutschland seiner Verantwortung gerecht werden will, müssen die Provenienzforscher herausfinden, ob sich unter Gurlitts Nachlass Raubkunst befindet – und auf welchem Weg die Bilder in den Besitz seines Vaters, des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt, gelangten.

Im Sinne der angekündigten Transparenz macht das Kunstmuseum Bern die Listen der Werke publik, die in der Wohnung von Cornelius Gurlitt in München Schwabing sowie in dessen Haus in Salzburg gefunden wurden.

«Wir haben uns der Transparenz verpflichtet und handeln nun auch entsprechend. Wir freuen uns deshalb, bereits drei Tage nach dem Annahmeentscheid jene Informationen freigeben zu können, über die wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt verfügen», sagt der Direktor des Kunstmuseums, Matthias Frehner.

«Die weitergehende Kategorisierung ist noch nicht vollständig abgeschlossen. Wir werden zudem weitere Anstrengungen unternehmen, um die Listen schrittweise, zum Beispiel bezüglich der Zuordnung zu Künstlern oder Vervollständigung und Qualität der Abbildungen, zu verbessern. Neue, gesicherte Erkenntnisse werden umgehend veröffentlicht

Ein langer und steiniger Weg

Wie mühsam die Arbeit der Forscher ist, zeigen auch die noch recht übersichtlichen Erfolge des Gremiums:  An 499 der 1258 Kunstobjekten aus dem Gurlitt-Erbe haftet ein Raubkunst-Verdacht. Das heisst, sie könnten jüdischen Eigentümern zur Zeit des Nationalsozialismus weggenommen oder zu einem lächerlichen Preis abgekauft worden sein.

Diese Werke bleiben zunächst in Deutschland, bis ihre Herkunft einwandfrei geklärt ist. Sie wurden auf lostart.deExterner Link, einer digitalen Datenbank für Raubkunst, eingestellt. Erst drei Werke – ein Liebermann, ein Matisse und ein Spitzweg – konnten bereits ihrem rechtmässigen Besitzer zugesprochen werden. Für die Hälfte der Bilder haben die Wissenschaftler überhaupt Vorgutachten erarbeitet.

Es ist also fraglich, wie die Taskforce wie angekündigt bis Ende 2015 den gesamten Gurlitt-Bestand bearbeitet haben will. Erst dann weiss Bern, wie viele Bilder von dem Raubkunst Verdacht befreit letztlich in die Schweiz wandern werden. Welche Rolle eine angekündigte Schweizer Forschungsstelle in diesem Klärungsprozess spielen wird, ist noch nicht klar.

Offene Fragen werden bleiben

Provenienzforschung ist Detektivarbeit, erläutert Professor Gilbert Lupfer, oberster Provenienzforscher der renommierten Staatlichen Kunstsammlung Dresden, gegenüber swissinfo.ch. Die Experten – meist Kunsthistoriker und Historiker – erfassen zunächst offensichtliche Informationen, wie Motiv, Künstlername und Datierung, die sie meist auf der Vorderseite finden. Das allein sagt aber noch nichts darüber aus, durch welche Hände ein Bild gewandert ist. Wann wurde das Werk verkauft, aus welchem Grund und an wen? Wichtige Hinweise kann ein Blick auf die Rückseite einer Leinwand liefern. «Dort findet man häufig Spuren, Klebezettel oder Aufschriften mit Kreide, die auf Vorbesitzer, eine Auktion oder Ausstellung schliessen lassen. Das sind wichtige Anhaltspunkte», sagt Gilbert Lupfer.

Er dämpft zugleich die Erwartung, dass die Taskforce alle Fälle aus der Gruppe potentieller Raubkunst löst und ihre Herkunft einwandfrei herleitet. «Aus meiner Erfahrung bleiben immer Bilder übrig, bei denen man einfach nicht weiter kommt», warnt der Experte. Besonders im Fall von Grafiken, die keine Unikate sind, sondern in einer bestimmten Auflage produziert wurden, sei dies sehr schwierig.

Archiv-Forschung

Stammt das Bild aus einer Auktion, suchen die Wissenschaftler nach den entsprechenden Auktionskatalogen, auch in den Archiven der Kunsthäuser, welche die Werke einst unter den Hammer brachten. Kunsthäuser waren in Zusammenarbeit mit Kunsthändlern wie Cornelius Gurlitts Vater ein wichtiger Umschlagplatz für Kunst in den 30er- und 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Entsprechend lagern in ihren Archiven wichtige Unterlagen, anhand derer die ursprünglichen Besitzer ausfindig gemacht werden könnten.

Bei Herkunftsforschern läuten rasch die Alarmglocken, wenn sie auf den Hinweis auf eine Auktion zwischen 1933 und 1945 stossen. Viele dienten  speziell dem Verkauf jüdischen Eigentums. Ein Blick in alte Melderegister kann ebenfalls Aufschluss darüber geben, ob der Verkauf eines Werkes verfolgungsbedingt war, zum Beispiel wenn der Eigentümer nach dem Verkauf seinen Wohnort aufgegeben hat. Falls für den Kauf eine sogenannte «Judenvermögensabgabe» direkt an das Finanzamt floss, ist der Fall ohnehin eindeutig.

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Auch für die Kunsthändler interessieren sich die Wissenschaftler: Über Cornelius Gurlitts Vater Hildebrand liegt nach wie vor Vieles im Dunkeln. «Zu seiner Person würde ich mir weitere Forschung wünschen», sagt Gilbert Lupfer «Wie hat er genau gearbeitet?» Denn schliesslich war er es, der den so umstrittenen Kunstschatz sammelte und an seinen Sohn vererbte.

Herausforderung für Herkunftsforscher

In den nächsten Monaten und Jahren muss die deutsche Provenienzforschung nun beweisen, dass sie aus ihren Kinderschuhen entwächst. Jahrzehntelang zeigte der deutsche Kunstbetrieb wenig Interesse daran, ins Wespennest zu stossen und die eigenen Verfehlungen während des Nationalsozialismus aufzuarbeiten. Erst 1998 bekannte sich Deutschland mit der Unterzeichnung der Washingtoner Verträge dazu, Raub und Beutekunst ihren Eigentümern oder deren Erben zurückzugeben.

Damit kam spürbar Bewegung in ein bis dato völlig vernachlässigtes Forschungsfeld. Einer der Vorreiter der deutschen Provenienzforschung ist die Staatliche Kunstsammlung Dresden, mit 1,5 Millionen Kunstwerken der zweitgrösste Museumsverbund Deutschlands. Hier wird seit 2008 eine Datenbank namens Daphne aufbaut: Mit ihr können Herkunft und Geschichte der umfangreichen Museumsbestände in Dresden analysiert werden. 

«In den letzten Jahren hat sich viel getan», freut sich der Dresdner Experte Lupfer. «Noch 2005 waren es nur eine Handvoll Museen, die intensiv und professionell Provenienzforschung betreiben konnten. Inzwischen ist auch kleineren Museen klar, dass sie sich mit dem Thema beschäftigen müssen. Da hat sich ein Bewusstseinswandel vollzogen.» 

Datenbanken wie Daphne in Dresden sind für Provenienzforscher eines ihrer wichtigsten Werkzeuge. Hier suchen sie im Zweifelsfall als erstes nach Informationen.

Für Wissenschaftler, die sich mit entarteter Kunst beschäftigen, wird derzeit an der gleichnamigen Forschungsstelle der Freien Universität (FU) Berlin eine Datenbank mit Werken aus dieser Kategorie erstellt. 

In Magdeburg wiederum ist die Magdeburger Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste ansässig. Sie betreut die Datenbank Lostart, in der Internet-Nutzer sich 29’000 verdächtige Werke aus öffentlichem Besitz anschauen können. 2015 soll ebenfalls in Magdeburg das lang diskutierte Deutsche Zentrum Kulturgutverluste – German Lost Art Foundation entstehen, eine von Bund, Ländern und Kommunen getragene Einrichtung zur Herkunftsforschung.  

Die 2008 gegründete Arbeitsstelle für Provenienzforschung am Institut für Museumsforschung der Staatlichen Museen zu Berlin hat sich innerhalb weniger Jahre zu einer zentralen Einrichtung auf dem Gebiet entwickelt.

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