Heidi: Weltliteratur vor grandioser Kulisse
Die Welturaufführung von "Heidi – das Musical" vor der Kulisse der Churfirsten am Walensee ist eine gelungene Symbiose von Kunst und Natur.
Einfühlsam und nicht ohne Humor werden dem Publikum die Geschichten von Heidi und seiner Schöpferin Johanna Spyri präsentiert.
Über 2000 Menschen sitzen vor der 700 m2 grossen, metallisch glänzenden Freilichtbühne, die mit ihrer Form – einer halben Halfpipe – Rollbrett- und Rollschuhfahrer zu tollen Kunststücken einzuladen vermöchte.
Gespannt wartet man auf das Heidi, das kleine Waisenkind aus dem Bündnerland, das dank seiner Schöpferin Johanna Spyri Einzug in die Weltliteratur gefunden hat. Heidis Geschichte wurde in 50 Sprachen übersetzt und unzählige Male gelesen, vorgelesen und erzählt.
Und nun kommt es als Musical daher. Aber, eignet sich die Heidi-Geschichte denn für ein Musical? Sie tut es! Grosse Gefühle, Heimatliebe, Heimweh, Leben und Tod sind die Bestandteile, die ein «rechtes» Musical haben muss.
Die Heidi-Geschichte und die Biografie von Johanna Spyri bestehen aus eben diesen Zutaten und Regisseur Stefan Huber ist die Umsetzung tatsächlich recht gut gelungen.
Grosser schauspielerischer Einsatz
Sue Mathys überzeugt als Johanna Spyri in der Rolle der eigensinnigen, von grosser Mutterliebe erfüllten Frau des Zürcher Stadtschreibers, die hin- und hergerissen ist zwischen gesellschaftlichen Verpflichtungen, früh-emanzipatorischen Ideen und der Pflege ihres kranken Sohnes Bernhard.
Der stimmgewaltige Basler Florian Schneider passt in die Rolle des eigenbrötlerischen Alpöhis. Er verkörpert Heidis Grossvater, der das Kind nicht bei sich aufnehmen will, es dann aber sehr lieb gewinnt und nur unter grössten Schmerzen nach Deutschland ziehen lässt.
Mit seiner polternden Art bereitet es ihm keine Mühe, die tratschenden Dorfweiber in alle Himmelsrichtungen zu scheuchen. Er ist aber ein (zu) rüstiger Grossvater. Seine Bewegungen sind oft nicht dem Alter angepasst, wirken gar jugendlich und zu leichtfüssig.
Heidi: Naiv, charmant, ein wenig frech
Das Heidi, Sabine Schädler, die Baslerdeutsch spricht und wie alle anderen Mitwirkenden auch Bündnerdeutsch lernen musste, geht voll auf in der Rolle des naiven Mädchens von den Bergen, das Johanna Spyri mit natürlichem Charme, Unbefangenheit, einer Fähigkeit, die Dinge beim Namen zu nennen, einer Portion Frechheit aber auch mit Verletzlichkeit und tiefer Sensibilität ausgestattet hat.
Heidis ab und zu naiver, bäuerisch-tölpelhafter Humor ist manchmal zwar ein wenig platt, etwa, wenn es zu Geissenpeters Grossmutter sagt: «Dr Peter het mir gseit, du hegsch ja gar keini Zähn me. Zeig emol!» (Peter sagte mir, du hättest ja gar keine Zähne mehr. Zeig mal her!)
Auch wenn Heidi das Geschlecht eines Kätzchens bestimmt und sich Klara, die kranke Sesemann-Tochter, verschämt abwendet, meint das Naturkind schon fast ein wenig altklug: «In den Alpen musst du das wissen, sonst würdest du ja einen Geissbock melken.»
Aber ohne diese Sprüche im Bündner Dialekt könnte ab und zu der Verdacht aufkommen, man sässe in irgendeinem der häufig austauschbaren englischen Musicals.
Raffinierte Bühne
Die 26-köpfige Darsteller-Crew agiert gekonnt auf der raffinierten, schlichten und doch sehr vielseitigen Bühne. Aus der metallenen Oberfläche wachsen je nach Bedarf das Bergdorf oder die Hütte des Alpöhis. Links bleibt Johanna Spyris Heim, rechts das Zuhause der Sesemanns in Frankfurt.
Und oben, mit dem vom Sonnenuntergang beleuchteten Walensee als Hintergrund, wächst auch schon mal aus dem Nichts ein Frankfurter Kirchturm in die Umgebung.
Die Dreiteilung der Bühne lässt denn Johanna Spyri und Heidi miteinander kommunizieren. Und dabei beeinflussen sie sich gegenseitig. Dies geht so weit, dass Spyri und Heidi miteinander zu sprechen beginnen.
Spyri projiziert ihre Ängste und Wünsche für ihren kranken Sohn in das Kind. Gleichzeitig fürchtet sich Heidi vor der fremden Welt in Frankfurt und möchte wieder heim zum Alpöhi. Und diese Rückkehr soll ihm seine Schöpferin – Johanna Spyri – ermöglichen.
Durchgehende Begeisterung
Das Premieren-Publikum zeigte sich durchaus begeistert. Praktisch alle Besucher waren von der Kulisse sehr angetan. «Die Bühne und der Hintergrund haben mir sehr gut gefallen. Ich finde diesen Ort noch besser als die Seebühne in Bregenz», sagte eine sichtlich beeindruckte Besucherin gegenüber swissinfo.
Die Parallelführung von Heidis und Spyris Geschichten habe ihr gefallen. Genauso wie dem 10-jährigen Jungen aus den USA, der erklärte: «Die Story gefiel mir, besonders der Mix der beiden Geschichten».
«Für mich war das ein unterhaltsamer Abend», sagte eine Besucherin aus der Ostschweiz. «Die Musik war für mich jedoch nicht ganz überzeugend, es war halt so ein Einheitsbrei, ein Verschnitt von verschiedenen Musicals eben.»
Auch von der Story zeigte sich die kritische Dame nicht ganz befriedigt. «Aber es war unterhaltsam – und das darf es doch auch mal sein.»
Eine andere zufriedene Besucherin meinte dazu: «Die Musik ist halt Musical-Musik, typisch. Gefehlt hat mir allerdings der Ohrwurm, ich kann nun nichts mit nach Hause nehmen.» Sie habe leider nichts im Ohr, das sie erinnere.
swissinfo, Etienne Strebel, Walenstadt
«Heidi – das Musical» wird 33 Mal auf der Bühne am See in Walenstadt aufgeführt.
Letzte Vorstellung: 3. September 2005
Sitzplätze: 2020
Budget: Rund 5 Mio. Franken
1852 heiratete Johanna Heusser den Juristen und Redaktor Bernhard Spyri, der 1868 Stadtschreiber von Zürich wurde.
Die beiden hatten einen Sohn – Bernhard. Er starb 1884, 28-jährig, an Tuberkolose. Später im Jahr starb auch der Ehemann.
Johanna Spyris 1879 während weniger Wochen geschriebenes und 1880 erschienenes Buch «Heidis Lehr- und Wanderjahre» wurde in über 50 Sprachen übersetzt und etliche Male verfilmt.
1881 erschien der Band: «Heidi kann brauchen, was es gelernt hat».
Spyri schrieb Geschichten für Kinder und auch für solche, die Kinder gern haben (insgesamt 16 Bände 1879-1895).
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