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Herzog, de Meuron & Co wagen sich an einen Comic

Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo, die Helden des Films "A bout de souffle", erhalten eine neue Rolle. Sie sind die Protagonisten in einem Comic zur Stadtentwicklung von Basel, Regie führt das ETH-Studio Basel, inspiriert von den Architekten Herzog & de Meuron. Ein Bestseller.

Ein grossartiger Comic! Auf 300 überraschenden Seiten bietet er eine Gesamtschau von Ideen und Projekten.

Der Band erscheint gleichzeitig in deutsch, französisch und englisch und bald auch in chinesisch.

Der Grosserfolg, auch in den Deutschschweizer Buchläden, liegt wohl am moderaten Preis von 12 – 15 Franken.

«MetroBasel – ein Modell einer europäischen Metropolitanregion» – schon der Titel verweist auf einen eigenwilligen, besonderen Comic.

Das ETH-Studio Basel «Stadt der Gegenwart» und die Autoren und Architekten Jacques Herzog, Pierre de Meuron und Manuel Herz entführen uns in eine Welt ausserhalb des «klassischen» Comic, eine Welt ohne Roboter oder Superman.

Vermittelt wird nämlich eine «städtebauliche Studie» über Basel und seine Region. Gleichzeitig ist das Buch aber auch eine Ode an die Stadt am Rhein, «eine Stadt, die mit ihrer tri-nationalen Agglomeration ein regelrechtes Labor für Ideen zur städtebaulichen Entwicklung darstellt», so Manuel Herz, Mit-Autor des Werks.

Ein legendäres Paar

Doch weshalb ein Comic? «Wir wollten die Analysen des ETH-Studio Basel einem breiteren Publikum zugänglich machen», erklärt der Architekt. «Am Anfang dachten wir an einen Film. Während wir das Storyboard für das Drehbuch anfertigten, kam uns plötzlich die Idee eines Comics.»

Eine überraschende Trouvaille im «wissenschaftlichen Comic» ist das legendäre Paar Jean Seberg und Jean-Paul Belmondo, die Protagonisten des Films «A bout de souffle» von Jean-Luc Godard (1960), das durch die Geschichte führt.

Michel und Patricia – sie heissen gleich wie im Film – sind optisch den Filmfiguren und –szenen nachempfunden. «Wir brauchten ein erzählerisches Element», erklärt Manuel Herz. «Zudem vermittelt ‹A bout de souffle› auch den Lebensraum Stadt in einer neuen, modernen Art.»

Zusätzlich markiert Jean-Paul «Bébel» Belmondo in gewissen Episoden den Spielverderber, der es mit der Political correctness nicht so ernst nimmt. «Wir wollten auch ein etwas provokatives Element in der Geschichte», so der Autor weiter. Michel, oder eben Belmondo, verkörpert dieses Element, sowohl im Film wie im Comic.

Sein Blick auf Basel ist etwas naiv und frei von Sachverstand. Die Lektüre mag nach einigen Seiten zu fesseln, nachdem man sich an den ersten Eindruck gewöhnt hat, wie Belmondo in leicht gekünsteltem Ton und für einmal ganz brav, erklärt: «Wow!… Ich bin beeindruckt. Diese tri-nationale Situation der Stadt macht sie interessant.»

Visionäre Modelle in Hülle und Fülle

Das Werk beginnt mit einer allgemeinen, jedoch sehr detaillierten Übersicht. Man entdeckt, dass visionäre Modelle zur Stadtentwicklung schon immer die Geschichte Basels geprägt haben. Mit ihrer geographischen Lage am Rhein nimmt die Stadt in Europa eine Schlüsselposition ein.

In den folgenden sechs Kapiteln begleiten uns Michel und Patricia eine Woche lang durch Basel. Jeder Tag ist einem bestimmten Thema gewidmet: Wohnen, Arbeit, Mobilität, Konsum, Bildung, Freizeit und Vergnügen.

Die Gäste sind zahlreich – und real. So beispielsweise Christoph Koellreuter, Gründer des BAK Basel Economics und Direktor der Plattform und des Think Tanks MetroBasel, der die wirtschaftlichen Trümpfe mit Nachdruck, Zahlen und internationalen Vergleichen aufzeigt.

Der Friedhof als Wohnraum?

Vor allem die Fülle an Ideen zur Stadtentwicklung hebt den Comic über den Charakter einer blossen Gesamtschau hinaus. Vielmehr entdeckt der Leser ein Werkzeug zur Reflexion, gespickt mit ein paar Provokationen. Zuerst die Grünzonen anlegen und dann die Häuser bauen? Warum nicht?

Die vier Häfen Basels zusammenlegen und gut gelegenes Bauland gewinnen? Die Gräber des Zentralfriedhofs von 1932 auslagern und Platz schaffen für Wohnraum? Ideen über Ideen…

Augenzwinkern

Durch das Übereinanderlegen der Zeichnungen auf weitwinklige Luftaufnahmen entstehen Momentaufnahmen und erlauben auf anschauliche und verständliche Weise Einsichten in die Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart.

Auch sehr intellektuelle Theorien haben ihren Platz, wie das «urban stitching»: Städte, geteilt durch grosse Transportachsen, werden wieder «zusammengenäht».

Mit einem Augenzwinkern zitieren sich Herzog & de Meuron sogar selbst. Zwischen verschiedenen Kulturstätten taucht auch das Schaulager auf, das von den Architekten konzipierte Gebäude zwischen Lagerhaus und Museum.

Die Autoren lassen es sich nicht nehmen, für ein zeitgenössisches Museumsprojekt ins benachbarte St. Louis zu reisen, oder sogar im fernen Zürich den Containerturm zu inspizieren, wo der Laden mit den Freitagtaschen untergebracht ist.

Schliesslich der Clou der Geschichte: Die Protagonisten des Comics leben weiter und enden nicht wie im Film «à bout de souffle». MetroBasel mit seinem binationalen Central Park, den Hochhäusern am Rheinufer, der Moschee, der neuen Oper und dem See… vielleicht werden sie eines Tages für die Kinder von Patricia und Michel Wirklichkeit sein…

Ariane Gigon, Zürich, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Christine Fuhrer)

«MetroBasel, ein Modell einer europäischen Metropolitanregion», ein Comic von Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Manuel Herz. Das Buch (303 Seiten) wurde vom ETH-Studio Basel herausgegeben. Der Comic-Band erscheint in französisch (ISBN 978-3-909386-89-5), deutsch (978-3-909386-88-8) und englisch (978-3-909386-90-1). Eine chinesische Ausgabe wird in den nächsten Monaten erscheinen.

«MetroBasel ist die Identität, unter der die tri-nationale Metropolitan-Region Basel eine Einheit bildet», künden die Autoren in ihrem Vorwort an. Das Buch fasst die Studien zur Region des ETH Studio Basel zusammen. Szenen beschreiben die sechs Themen: Wohnen, Arbeit, Mobilität, Einkauf, Bildung, Freizeit und Vergnügen.

Es wird dargestellt, wie es durch die Zusammenlegung der fünf Häfen am Rheinufer möglich wäre, Boden für Wohnraum zu schaffen. Denn am linken Rheinufer beträgt der Wohnraum aktuell 7,5 km, die Industrie nimmt 11,7 km Raum ein. Am rechten Ufer besetzt der Wohnraum 10,1 km und die Industrie 9,1 km.

Die Autoren wollten nicht bloss Fakten anhäufen. «Basel dient in unserer Präsentation als Mittel um aufzuzeigen, wie sich heute die Städte entwickeln können», so der Co-Autor Manuel Herz. «Doch wir reklamieren keineswegs ein Copyright für diese Art Comic: wenn wir andere damit inspirieren, umso besser!»

Gründung. Das 1999 geschaffene ETH Studio Basel gehört zum Departement für Architektur der ETH Zürich und ist ein Forschungsinstitut für «städtebauliche Veränderungen». Es wurde von den Architekten Roger Diener, Jacques Herzog, Marcel Meili und Pierre de Meuron gegründet.

Forschung. Das Institut mit seinem Standort Basel beschäftigt sich mit der Forschung zum Städtebau und veröffentlicht vor allem Studien zur Region Basel, doch auch zu andern Städten wie Casablanca, Nairobi, Neapel oder zu Regionen wie dem Niltal, dem Thurgau oder zur Schweiz.

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