Hesses Weg durch die Hölle
Das Landesmuseum in Zürich präsentiert eine Sonder-Ausstellung über Hermann Hesse: "Höllenreise durch mich selbst".
Hermann Hesse würde heuer am 2. Juli seinen 125. Geburtstag feiern. Hermann Hesse, dessen Werk in über 60 Sprachen übersetzt wurde. Hermann Hesse, dessen Bücher 100 millionenfach über die Ladentische der Welt gingen. Hermann Hesse, Wahlschweizer und Schweizer Nobelpreisträger der Literatur, der zweite nach Carl Spitteler.
Soweit einige Fakten. Und Hermann Hesse heute? Hesses anhaltender Erfolg hat viel mit seiner Persönlichkeit zu tun. Er spürte den Zeitgeist, schrieb sich seine Nöte und Ängste von der Seele, verband östliche und westliche Kultur. Mühselig lernte er seine Zerrissenheit, seine hellen und dunklen Seiten zu akzeptieren und schrieb dabei Weltliteratur. «Hesse ist aktuell, er weisst in die Zukunft er ist eine Persönlichkeit, die in die Welt ausstrahlt. Er gehört sozusagen zum Weltkulturerbe», sagt Andres Furger, Direktor des Landesmuseums Zürich.
Harziger Start
Dabei waren Hesses Aussichten einmal in den Literaten-Olymp aufzusteigen, alles andere als gegeben. Geboren 1877 im Schwarzwaldstättchen Calw, wuchs er als Sohn strenggläubiger Pietisten auf. Seine Grosseltern verbrachten viele Jahre missionierend in Indien. Die lust- und teilweise kinderfeindlichen Erziehungsgrundsätze seiner Umgebung wurden die Grundlagen seiner lebenslangen Suche und Selbstzweifel.
Der Beginn der Ausstellung im Landesmuseum heisst «Der Kreislauf des Lebens» und beginnt mit Hesses Geburtsurkunde und seiner Totenmaske. Dahinter öffnet sich der Raum, hinter lichten hellen Vorhängen blicken die gestrengen Erzieher, Vater und Mutter herab. Im Mittelpunkt auf einem Korpus mit vielen offenen Schubladen steht eine Fotografie des vierjährigen Hermanns. Die Knie durchgedrückt, seine Botanikbüchse haltend blickt der Junge skeptisch-trotzig in die Kamera.
Tiefe Krise
Der Knabe Hermann rebelliert, gilt bald als schwer erziehbar. Mit fünfzehn flieht er aus dem Internat, er will Dichter werden. Eine Ungeheuerlichkeit, für ihn war die Theologie vorgesehen. Nach einem Selbstmordversuch – der Revolver hatte Ladehemmung – wird er in eine Nervenheilanstalt eingeliefert. Die Ausstellung nimmt diese Stimmung auf und führt durch einen langen engen Gang vorbei an harten Schulbänken, vorbei an jenem Revolver…
Hesse geht seinen Weg danach weiter. Er zieht nach Basel, später Bern, heiratet, wird Vater, schreibt. Schreibt erfolgreich. Im ersten Weltkrieg tritt er für die Völkerverständigung ein und wird als Nestbeschmutzer beschimpft. Sein Familienleben ist alles andere als harmonisch. 1916 stirbt Hesses Vater, und Hesse stürzt in eine tiefe Krise. Seine Höllenreise beginnt.
Chaos und Kosmos
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die beiden stark autobiographischen Romane «Siddharta» und «Steppenwolf». Beiden Werken ist je ein inszenierter Raum gewidmet. «Siddharta» verweist auf den spirituellen, meditativen suchenden Hesse, «Steppenwolf» auf den urbanen gleichwohl suchenden Hesse. Beide Räume bieten wundersame Assoziationsräume, die auch ohne literarische Vorkenntnisse wirken und beweisen, dass sich Literatur durchaus ausstellen lässt.
Hermann Hesse, der Suchende, der lange brauchte um seine Zerrissenheit zusammen zu fügen, der die Malerei auf Anraten seines Psychiaters C.G. Jung entdeckte, der sieben Winter in Zürich und 40 Jahre im Tessin verbrachte, der zahlreiche (Künstler)Freundschaften in der Schweiz pflegte, der Verletzliche, der Lächelnde, diesem ganzen Hesse gilt es in Zürich zu begegnen.
Brigitta Javurek
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