«Heute gibt es nicht mehr so viele Spinner»
Er ist längst eine Ikone des deutschsprachigen Theaters: Der Schweizer Regisseur Werner Düggelin ist 75 Jahre alt.
Düggelin war bereits in den 50er-Jahren ein Regie-Star, leitete von 1968 bis 1975 erfolgreich das Basler Theater und ist seither freier Regisseur.
Wir treffen uns beim Schauspielhaus in Zürich. Werner Düggelin steckt mitten in der Arbeit. Von Pensionierung will der 75-Jährige nichts wissen. «Ich war noch nie pensioniert und bekomme auch keine Pension. Ich arbeite soviel und so lange es mir Spass macht.»
Zum Geburtstag will er keine Feier. «Ich habe an meinem Geburtstag noch nie ein Fest gemacht, als Kind nervte ich mich, dass ich so nahe am Nikolaus bin.»
Als er «für kurze Zeit und ohne Erfolg» in Zürich an der Universität Germanistik und Romanistik studierte, musste er Geld verdienen. «Am Schauspielhaus hat man einen Beleuchter gesucht. Da bin ich Beleuchter geworden.»
Vom Beleuchter zum Regie-Star
Düggelin wurde Assistent des Regisseurs Leopold Lindtberg. Dieser riet ihm 1951, nach Paris zu gehen. Der Rest ist europäische Theater-Geschichte.
In den 50er-Jahren inszenierte er an praktisch allen grossen Bühnen und arbeitete mit den bedeutenden Autoren dieser Zeit zusammen. «Ich wurde nicht entdeckt, ich habe mich selber entdeckt. Das heisst, dass ich mir gesagt habe: Ich will nichts anderes machen, das ist mein Beruf.»
Werner Düggelin sagt, er wisse nicht, ob heute eine Karriere vom Beleuchter zum Star-Regisseur so noch möglich wäre. «Wir hatten es damals noch einfacher. Heute gibt es nicht mehr so viele Spinner, die Theater leiten. Und das ist schade.»
Schauspielerinnen und Schauspieler reden mit Respekt und mit Bewunderung über den Regie-Altmeister. Es gelinge Düggelin immer wieder, das Beste aus ihnen herauszuholen.
Wie er das macht, bleibt sein Geheimnis: «Wenn ich Ihnen das sagen könnte, dann wüssten es auch die Schauspieler. Ich weiss schon, wie ich das mache, aber das sind Dinge, die blöd tönen, wenn man sie formuliert. Darum formuliere ich sie eben nicht.»
Reduziert und minimalistisch
Als die spannendste Zeit seines Lebens bezeichnet er die Jahre 1968 bis 1975, als er Direktor des Basler Theaters war und dieses zu einem Haus von europäischem Rang machte. «In Basel haben wir alle geglaubt, dass wir die Welt verändern können. Nur dann kann man politisches Theater machen. Zuerst mussten wir Kommunisten, Pornografen und Jugendverderber werden. Das ist jetzt hinter mir, aber deswegen bin ich nicht zahm geworden, aber ich habe meinen Stil gefunden.»
Die Theaterkritik lobt Düggelins Inszenierungen und seinen auf das Wesentliche, nämlich auf die Aussage reduzierten, minimalistischen Stil. «Ich habe nichts gegen Videoinstallationen im Theater, aber ich brauche das nicht. Moden haben mich noch nie interessiert.»
Dass er heute vor allem Klassiker inszeniert, habe damit zu tun, dass er wahrscheinlich andere Inhalte suche, als die, über welche die zeitgenössischen Autoren schreiben, sagt er.
Vom unmittelbaren Reagieren auf Ereignisse hält er nichts. «Ich nenne es nicht, auf politische Vorgänge reagieren, wenn man eine Woche nach dem Attentat auf das World Trade Center schon ein Stück schreibt. Das ist einfach Quatsch, das ist Journalismus. Da hat man zu wenig Distanz.»
Bewahren, statt Abenteuer
Werner Düggelin glaubt nicht mehr daran, dass er die Welt verändern könne. Sein Nein ist dezidiert und er will es nicht seinem Alter zuschreiben.
«Auf der Welt ist eine ungeheuerliche Stagnation eingetreten. 1968 haben viele an eine Veränderung geglaubt. Seit diesem Reagan hat sich das geändert. Heute ist man nicht mehr neugierig auf ein Abenteuer. Man schaut eher, dass man das, was man hat, bewahren kann. Und das ist natürlich eine schlechte Zeit für das Theater.»
Im kommenden Frühjahr bringt Düggelin Molières «Der Geizige» auf die Bühne des Schauspielhauses Zürich. «Das tönt jetzt furchtbar pathetisch, aber es ist trotzdem wahr: Das Theater war und ist mein Leben. Das Theater ist ja auch der Grund, wieso ich nie ein richtiges Privatleben und eine eigene Familie hatte.»
«Ich wollte kein Beamter werden»
Keine Familie, kein Privatleben und keine Pensionskasse? «Das stimmt, ich habe keine Pensionskasse. Als ich am Basler Theater meine erste Lohnabrechnung erhielt, fragte ich mich, wieso ich sowenig Geld erhielt. Der kaufmännische Direktor erklärte mir die Abzüge und sagte: ‹Das ist das und das da ist die PPBK, die Pensionskasse›.
Ich sagte: ‹Spinnst du? Ich gehe doch nicht in die Pensionskasse.› Er sagte: ‹Du spinnst, die Stadt hat Dich da für 120’000 Franken eingekauft, weil du schon 35 bist. Sie hat Dir das Geld geschenkt.›
Ich wollte kein Beamter sein. Schlussendlich musste mich die Regierung wieder aus dem Beamtenstatus nehmen. Ich finde jetzt nicht, dass das damals das Klügste war. Aber ich bereue es nicht.»
Werner Düggelin hat auch mit 75 seinen Schalk und seine Begeisterung fürs Theater nicht verloren. «Wenn ich ein weiser Mann geworden wäre, würde ich jetzt nicht hier sitzen. Ich sässe irgendwo auf einem Hügel und würde vor mich hinträumen,» sagt er und verschwindet an die Arbeit.
swissinfo, Andreas Keiser, Zürich
Werner Düggelin wurde am 7. Dezember 1929 in Siebnen, im Kanton Schwyz als Sohn eines Schreiners geboren.
Während seines Universitätsstudiums in Zürich entdeckte er, als Beleuchter am Schauspielhaus tätig, die Theaterwelt, die fortan sein Leben bedeutete.
1952 gründete er im Vorstadttheater Asnières in Paris eine eigene Theatercompagnie.
Mit 25 wurde Düggelin Regisseur in Darmstadt; es folgten Theater- und Opern-Inszenierungen an allen grossen Bühnen, vor allem am Zürcher Schauspielhaus.
Von 1968 bis 1975 war er Direktor am Stadttheater Basel.
Seit 1975 arbeitet er als freier Regisseur.
Ab 1987 leitete er zudem vier Jahre das Schweizer Kulturzentrum in Paris.
Werner Düggelin wurde mit dem Hans-Reinhart-Ring und dem Basler Kunstpreis ausgezeichnet.
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