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Historisches Fotomuseum erschliesst die Welt

Abtränken der Elefanten im Zürchersee 1885. Fotografie aus der Ausstellung "Fernschau. Global". Staatsarchiv Aargau

Eine wirtschaftlich ausgerichtete fotografische Gesellschaft in Aarau wollte Ende des 19. Jahrhundert die globalen Märkte erschliessen - durch Bilder aus aller Welt.

Die Ausstellung «Fernschau. Global. Ein Fotomuseum (1885-1905) erklärt die Welt» präsentiert im Forum am Schlossplatz in Aarau den historischen Bilderschatz.

Die Ruinen des vom Erdbeben zerstörten Hotels Central auf Ischia erscheinen auf der Fotografie von 1890 schier surreal. Der in Italien lebende deutsche Fotograf Giorgio Sommer hat das Bild – und später viele mehr – an die «Mittelschweizerische Geographisch-commercielle Gesellschaft» nach Aarau geschickt.

«Eine Bilderflut gab es bereits vor 120 Jahren», sagt der Fotografie-Historiker Markus Schürpf gegenüber swissinfo. Er muss es wissen, hat er doch auf dem Estrich des Regierungsgebäudes in Aarau eine Sammlung von rund 2000 Fotografien aus aller Welt gefunden.

Etwa 5000 seien es ursprünglich gewesen. 110 der Fotos sind gegenwärtig im Forum Schlossplatz in Aarau zu sehen: Darunter ein Indianer im Kriegsschmuck, die Eröffnung des Suez-Kanals, indische Buchhalter, Japanerinnen im Bad, eine Herde Elefanten beim Abtränken am Zürichsee.

Mit der Ausstellung dokumentiert Markus Schürpf nicht nur das durch diese Fotografien vermittelte Weltbild in der Schweiz um 1900, sondern auch die Geschichte der Initianten dieser Fotosammlung.

Weltweites Korrespondentennetz

«Der Unterschied zwischen der 1884 gegründeten ‹Mittelschweizerischen Geographisch-commerciellen Gesellschaft› und anderen geografischen Gesellschaften war ihre klar wirtschaftliche Ausrichtung», erklärt Schürpf.

«Das Ziel dieser Gesellschaft war, sich wirtschaftlich neue Gebiete zu erschliessen, als neue Absatzmärkte oder zum billigeren Einkauf von Rohstoffen.»

In kürzester Zeit bildete die Gesellschaft ein weltumspannendes Netz von Korrespondenten, die ihre Fotografien aus aller Welt nach Aarau sandten. Den ortsansässigen Kaufleuten sollten so die globalen Märkte näher gebracht und dem breiten Publikum die Welt erklärt werden.

Die in Aarau gegründete Gesellschaft bestand aus Industriellen, Handeltreibenden und Gelehrten. Unter ihnen der Verleger Sauerländer und der Schuhfabrikant Bally. Die rasch wachsende Sammlung wurde schon bald als Fotomuseum bezeichnet.

Augen wie Pflugräder

In zahlreichen Ausstellungen wurden die Bilder der Öffentlichkeit präsentiert – mit überwältigendem Erfolg. Sie liessen die Augen des Publikums «pflugrädergross» aufgehen, schrieb ein Journalist 1894 in der NZZ und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass dieser «Bilderregen» niemals aufhören möge.

Dennoch liess das Interesse bereits nach zehn Jahren nach, die Sammlung wurde aufgegeben und die Gesellschaft 1905 aufgelöst.

Wie Schürpf diesen Bilderschatz entdeckt hat? «In einer fotografie-historischen Zeitschrift sah ich einen Artikel über dieses einstige Fotomuseum in Aarau und den Hinweis, dass das Material noch irgendwo existiere.»

Dank seiner zahlreichen Verbindungen fand der in Aarau aufgewachsene Fotohistoriker bald heraus, wo die Fotos zu finden waren.

«Doch dann begann eine Odyssee», sagt er über die langsame Realisierung des Projekts. «Lange Zeit blieb ungeklärt, wer im Kanton Aargau für die Fotosammlung verantwortlich ist.» 2005 wurde der Bestand schliesslich dem Staatsarchiv zugesprochen.

Neue Perspektiven

Dann konnte das Team um Markus Schürpf an die Arbeit gehen. Mit Latex-Schwamm und Gummipinsel entfernten sie den Staub von jedem der fast 2000 Fotos und erfassten sie in einer Datenbank.

«Die Fotografie befand sich damals im Umbruch», erklärt Schürpf. «Die Fotografen begannen mit Silbergelatine-Trockenplatten zu arbeiten und wurden so unabhängig von Dunkelkammer und Labor.» Dies habe völlig neue Perspektiven eröffnet und das Medium weiter popularisiert.

Fürs heutige Publikum lassen diese Bilder nicht nur eine weite Welt, sondern insbesondere eine ferne Zeit wieder lebendig werden. Als Zeugnisse einer Wahrnehmungs- und Mentalitätsgeschichte im Schweizer Mittelland.

swissinfo, Susanne Schanda

Die Ausstellung «Fernschau. Global. Ein Fotomuseum erklärt die Welt» dauert bis 5. November 2006.
Neben öffentlichen Führungen mit dem Ausstellungsmacher Markus Schürpf gibt es mehrere Begleitveranstaltungen zum Thema Globalisierung.
Zur Ausstellung erscheint eine Publikation mit 160 Abbildungen, herausgegeben von Markus Schürpf. Hier+Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte, Fr. 78.-

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