Hoch hinaus! Die Schweiz strebt in die Höhe
"Hochhaus – Wunsch und Wirklichkeit" heisst die Ausstellung, die das Museum für Gestaltung in Zürich bis Ende Jahr zeigt. Sie bietet eine Wanderung durch die Wolkenkratzerschluchten von New York, London, Hongkong, Shanghai und als Höhepunkt durch Zürich.
Die Ausstellungsmacher zwingen dem Besucher die Grössenverhältnisse auf, die im Hochhaus- und Wolkenkratzerbau überall auf der Welt unerbittlich gelten. Umgeben von hohen Stellwänden wandelt man tief unten durch die angedeuteten Häuserschluchten. Sofort fällt auf, wie viel Fachpublikum die Ausstellung anzieht. Es gestikuliert, zeigt, peilt über den Daumen, weiss, was gezeigt wird.
Die Ausstellung verbaut dem Betrachter immer wieder die Sichtachsen zum Horizont, so wie die Hochbauten dies in den grossen Städten in Wirklichkeit auch tun. Ausser in London, wo Planungsrichtlinien festlegen, dass die wichtigsten Sichtachsen der Stadt auf die St. Paul’s Cathedral (111 Meter) sowie auf den Westminster-Palast durch Wolkenkratzer nicht verdeckt werden dürfen.
Wolkenkratzer – zwischen Ästhetik, Lebens- und Geschäftsmaschinen
Benedikt Loderer weist im Gespräch mit swissinfo.ch auf eine Schwachstelle oder Selbstbeschränkung der Ausstellung hin. «Die Architekturschau im Museum für Gestaltung zelebriert vor allem die Ästhetik der Hochhäuser und der Wolkenkratzer, und sie verzichtet weitgehend darauf, die Probleme dieser Bauweise zu thematisieren.» Benedikt Loderer war Chefredaktor von Hochparterre, der in Zürich erscheinenden Zeitschrift für Architektur und Design.
Die Stadt Zürich als Schauplatz von Hochbauten wird in der Ausstellung zwischen Wunsch und Wirklichkeit festgezurrt. Gemessen an den Dimensionen von Weltstädten wie New York, Tokio, Mexiko Stadt, London, Hongkong oder Shanghai gibt es in Zürich keine vergleichbaren Hochhäuser.
Zürich strebt nach oben
Auf einem Panoramabild der Finanzmetropole der Schweiz zeigt die Ausstellung die wenigen hohen Fixpunkte von Zürich. Es stechen die Hardau-Hochäuser, das Swissôtel, der Mobimo-Tower, der Prime Tower, das Maag-Areal und das Migros-Haus heraus. Bis vor wenigen Jahrzehnten waren in Zürich Fabrikschlote, Ablufttürme von Verbrennungsanlagen und Futtersilos die höchsten Fixpunkte.
Benedikt Loderer weist auf den Nutzungs- und Perspektivewandel im Hochhausbau der Schweiz hin: «Die früh in Zürich gebauten Hochhäuser, wie zum Beispiel die Hardau, bewohnten Arbeiterfamilien. Heute drängen die Reichen und Schönen in die grossen und luxuriös ausgebauten Hochhäuser. Sie halten sich hoch über den Dächern von Zürich für urban.»
Bringen die Hochhäuser das Ende der «Hüsli-Schweiz»?
Die Schweiz war bis vor kurzem ein Land von Mietern und «Hüsli-Bauern», wie Benedikt Loderer die Kultur des Raum und Boden fressenden familiären Eigenheims nennt. Jetzt stösst das Land hier und dort in die Höhe.
Kann ein kleines Land wie die Schweiz mit den beschränkten Bodenreserven mutige und kühne Visionen für Hochhäuser und Wolkenkratzer überhaupt entwickeln? Benedikt Loderer traut dem Land viel, der Politik und der Wirtschaft eher wenig zu. «Das technische Know-how, Hochhäuser zu bauen, haben wir. Die Bauherrschaften können wir uns allerdings nicht auswählen. Jetzt bauen in der Schweiz vor allem Megalomanen, die an Rendite und Mehrwert, weniger an Städtebau denken.»
Jede Weltstadt hat ihre eigene Hochhaus- und Wolkenkratzer-Kultur
Neben Zürich bleibt in der Ausstellung der Blick an London hängen. Bis 1970 war die St. Paul’s Cathedral mit 111 Metern das Höchste Gebäude der britischen Hauptstadt. 42 Jahre später ist «Shared London Bridge» mit 310 Metern das höchste Gebäude von London und gleichzeitig von Europa.
New York scheint nach 9/11 kaum mehr der Ort, wo im Hochhausbau die genialen Entwürfe zu erwarten sind. So schreiben die Ausstellungsmacher: «Es scheint, dass die Investoren immer weniger Risiko einzugehen bereit sind, die es für anspruchsvolle Konzepte bräuchte.» New York hat mit den in den Himmel ragenden Machtsymbolen, den Twin Towers des World Trade Centers, apokalyptische Erfahrungen gemacht.
Die Höhen und Tiefen des Wolkenkratzerbaus
Asien schwankt im Hochhausbau zwischen traumhaft urbanen Strukturen und einem brutalistischen Pragmatismus. So sind in Hongkong in den letzten Jahrzehnten eigentliche Wolkenkratzerwälder entstanden, welche in der Stadt Identität und Zusammenhalt stiften.
Die Ausstellung im Museum für Gestaltung stellt Shanghai als Boomstadt für Wolkenkratzer und Hochbauten dar. In den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts gab es dort 120 Hochhäuser; heute sind es mehr als 12’000. 725 Bauten davon weisen mehr als 30 Etagen auf. Die Qualität der Wolkenkratzer schwankt von genial über mittelmässig bis schlecht und hässlich. Es gibt aber auch Anzeichen dafür, dass in Asien ökologische Aspekte beim Wolkenkratzerbau einen hohen Stellenwert erhalten.
Am Schluss des Rundgangs durch die Ausstellung im Museum für Gestaltung sei ein Zeitsprung gestattet. Wird die Schweiz in 100 Jahren von Wolkenkratzern überzogen sein? Benedikt Loderer winkt ab: «Unser föderativer Staat und die direkte Demokratie werden verhindern, dass es in der Schweiz je flächendeckend Hochhäuser oder Wolkenkratzer geben wird.»
Etwa die Hälfte der Hochhäuser in aller Welt wurde in den letzten zehn Jahren gebaut. Dieser Bauboom macht das Hochhaus zu einem prägenden Bestandteil der wichtigsten kollektiven Lebenswelt.
Der symbolische Gehalt des Hochhauses scheint grösser als dessen reale Dimensionen. Das trifft auch auf Wohnhäuser zu, die in der Entwicklung herausragend und mit zuweilen innovativen Konzepten vertreten sind. Für viele verkörpert das Hochhaus im 21. Jahrhundert die exemplarische Stadt.
Anhand von Fotos, Filmen, Modellen und Plänen zeigt die international ausgerichtete Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich aktuelle Bauten und Projekte in ihrem jeweiligen kulturellen und städtebaulichen Kontext.
Mit dem Sulzer-Bürohochhaus setzte der Technologie-Konzern Sulzer Mitte der 60er-Jahre ein Zeichen für den wirtschaftlichen Aufschwung. Der etwa 92 Meter hohe Bau galt lange Zeit als das höchste Gebäude der Schweiz.
Der 126 Meter hohe Prime Tower in Zürich West gilt für Schweizer Verhältnisse als Projekt der Superlative. Das neue Wahrzeichen von Zürich vereint auf 36 Etagen gute Architektur, Transparenz, Ausstrahlung und technische Perfektion.
Das Swisscom-Hochhaus in Winterthur ist 90 Meter hoch und weist 24 Geschosse auf. Es besteht aus einem dreiteiligen Gebäudekomplex und hat sich rasch zum Wahrzeichen der Stadt entwickelt.
Die Hardau-Hochhäuser
in Zürich entstanden zwischen 1976 und 1978. Es handelt sich um reine Wohnhäuser ohne Büro- oder Gewerberäume. Der grösste der vier Türme war mit 92 Metern Höhe lange Zeit das höchste Gebäude von Zürich.
Der Sunrise Tower in Oerlikon mit zwei 88 und 72,5 Meter hohen Türmen wurde im Jahr 2005 fertig gestellt.
Das 85 Meter hohe Swissôtel-Hochhaus am Bahnhof Oerlikon entstand 1972.
Das Werd-Hochhaus im gleichnamigen Quartier ist 70 Meter hoch. Der Gebäudekomplex wurde ursprünglich von einer Bank errichtet. Im Jahr 2000 wurde das Werd-Hochhaus an die Stadt verkauft. Es beherbergt einen Teil der Zürcher Stadtverwaltung.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch