Hommage an Christo und Jeanne-Claude
Erstmals gibt es in Europa eine Retrospektive zum Werk des Künstlerpaares Christo und Jeanne-Claude zu sehen – im Museum für moderne Kunst in Lugano.
Sie werden häufig als «Verhüllungskünstler» bezeichnet. Der Gebrauch von Stoff und Gewebe sowie das Vergängliche kennzeichnen ihre Kunstwerke.
Das schrille Künstlerpaar aus New York ist im Tessin omnipräsent. Jean-Claude mit ihren knallroten und Christo mit seinen weissen Haaren prangen überall auf Werbeplakaten für die Ausstellung von Lugano – abgelichtet vor dem safranfarbenen Stoffen im Central Park aus ihrer Installation «Gates» in New York aus dem Jahr 2005.
«Christo und Jeanne-Claude»: Das ist nicht nur ein Markenzeichen, sondern auch Symbol für eine symbiotische Künstlerbeziehung. «Es gibt nur drei Dinge, die wir nicht zusammen machen», sagte Jeanne-Claude in Lugano im Gespräch mit Journalisten: «Gemeinsam fliegen, gemeinsam zeichnen (nur Christo zeichnet) und die Steuererklärung.»
Auch ansonsten gab sich das 70-jährige Ehepaar sehr gesprächig und angriffslustig. Fragen zu anderen Künstlern und Religionen wollten sie aber nicht beantworten. Warum? «Weil wir eben absolute Egoisten sind», lachte Christo, der neben seiner dominierenden Frau Jean-Claude kaum zu Wort kam.
Ephemere Kunst
Die Ausstellung in Lugano führt chronologisch durch das reichhaltige Werk der Künstler, das in Wirklichkeit und realen Dimensionen immer nur für einige Tage zu sehen ist. Der Reichstag 1995 war beispielsweise nur 14 Tage verhüllt, die 178 Bäume in Riehen bei Basel (Wrapped tries) waren 1998 für einen Monat unter einer transparent-weissen Hülle.
Angefangen haben die Künstler mit kleinen Gegenständen, die sie mit Stoff und Schnur Ende der 1950er-Jahre verpackten. Sie wollten jedoch den Menschen auch die Möglichkeit geben, sich der Kunst durch intensive Erfahrungen im Freien anzunähern.
Die temporäre Qualität der Projekte ist eine ästhetische Entscheidung, um den Kunstwerken das Gefühl zu geben, gesehen werden zu müssen. Nur die Erinnerung bleibt. Nach einem Event wird alles komplett beseitigt und die Materialien möglichst vollständig recycelt.
Keine Sponsoren akzeptiert
Jedes Projekt braucht jahrelange Vorbereitung. Die Skizzen und massstabgetreuen Modelle in der Ausstellung von Lugano spiegeln diese Periode. Dazu kommen eine Reihe von Fotos von den vollendeten Werken.
Christo und Jeanne-Claude akzeptieren keine Gelder und Sponsoren für ihre Projekte, um in ihren künstlerischen Entscheidungen vollständig frei zu sein. Im Gegenteil: Zur Umsetzung ihrer Projekte müssen sie selber tief in die Tasche greifen. Für die Verpackung des Reichstags beispielsweise mussten sie 150’000 Dollar als Gebühr bezahlen.
Sie finanzieren sich hauptsächlich durch den Verkauf der Zeichnungen von Christo. Dieser gibt an, 17 Stunden pro Tag an 365 Tagen im Jahr zu arbeiten. Jeanne-Claude etwas weniger: Nur 15 Stunden am Tag. Ferien und Freizeit? Kennen die beiden angeblich nicht.
Blick in die Zukunft
Eines ihrer grössten Projekte haben die beiden Künstler noch nicht verwirklicht: In Colorado soll der Fluss Arkansas auf einer Länge von 10,7 Kilometern mit Stoffbahnen abgedeckt werden. Christo hofft, die Bewilligungen für «On the river» bis Ende Jahr eingeholt zu haben.
In der Ausstellung von Lugano sind etliche Skizzen zu diesem Projekt zu sehen, mit dem Christo und Jeanne-Claude sich seit 1992 beschäftigen. Die Stoffbahnen sollen auf einer Höhe von drei bis sieben Meter über dem Flussbett verlaufen.
Christo und Jeanne-Claude haben stets nur eigene Ideen verwirklicht. Wer ihnen Vorschläge für Verhüllungsaktionen schickt, kann sich das Porto gleich sparen. «Die beste Art und Weise, eine Idee zu verhindern, ist es, sie uns vorzuschlagen», so Jeanne-Claude.
swissinfo, Gerhard Lob, Lugano
Christo und Jeanne-Claude verwirklichen temporäre Grossraumprojekte in städtischer und ländlicher Umgebung. Die Kunstwerke enthalten Elemente der Malerei, Skulptur, Architektur und Stadtplanung.
Christo und Jeanne-Claude haben in ihrer Karriere nur drei öffentliche Gebäude eingehüllt: Die Kunsthalle in Bern 1968, das Museum of Contemporary Art in Chicago im Jahr 1969 und das Reichstagsgebäude in Berlin 1995.
Der gemeinsame Nenner der Projekte ist nicht das «Verhüllen», sondern vielmehr der Gebrauch von Stoff und Gewebe. Ein empfindliches, sinnliches und temporäres Material, das den zeitlich begrenzten Charakter der Kunstwerke widerspiegelt.
13. Juni 1935: Die beiden Künstler Christo und Jeanne-Claude werden am gleichen Tag geboren; Christo in Gabrovo, Bulgarien, Jeanne-Claude in Casablanca, Marokko.
1968: Die erste Gebäude-Verhüllungsaktion; in Bern wird die Kunsthalle eingepackt.
2005: «Gates»; die letzte, Aufsehen erregende Installation im Central Park von New York. 7503 Tore mit safranfarbenen Stoffen werden auf einem Weg von 37 Kilometern für 16 Tage aufgestellt.
1995: Um den deutschen Reichstag in Berlin einhüllen zu dürfen, mussten Christo und Jeanne-Claude 150’000 Dollar an Deutschland bezahlen.
12. März 2006 bis 18. Juni 2006: Ausstellung «Christo e Jeanne-Claude» im Museum für Moderne Kunst in Lugano (Retrospektive).
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch