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«Ich bin genauso Schweizer wie Herr Meier»

Eveline Bachmann/NLZ

Vor 20 Jahren kam er als Teenager von Sri Lanka nach Luzern. Er sprach kein Wort Deutsch. Heute engagiert sich der Politiker Lathan Suntharalingam für eine progressive Migrationspolitik - ohne Schwarz-Weiss-Malerei.

Leichtfüssig nimmt er die Stufen zu seiner Dachwohnung. Das Haus, in dem er wohnt, hat Lathan Suntharalingam zusammen mit seinen Eltern und seinem Bruder gekauft. Die Wohnung ist modern, hell und schlicht eingerichtet: Ein grosses rotes Sofa, ein Glastisch, darauf Dutzende «Schoggeli» in rotem Papier mit Schweizerkreuz .

Er stellt sich als Lathan vor. Gut so, denn den komplizierten Nachnamen kann man sich unmöglich merken.

Lathan entspricht ganz und gar nicht dem gängigen Bild des Tamilen in der Schweiz, der fleissig und unauffällig einer Arbeit im Gastgewerbe nachgeht, schlecht Deutsch spricht, sich in der Freizeit in die tamilische Gemeinschaft zurückzieht und wenig mit Schweizern zu tun hat.

Auch wenn Lathan wenig Kontakt hat zu Sri Lanka und nur noch ein Onkel dort lebt, ist er sich seiner Wurzeln bewusst. Dass dort Krieg herrscht und die Menschen leiden, macht ihn traurig. «Die Bindung ist stark, ich kann und will meine Herkunft nicht wegstecken.»

Mit Leistung punkten

Als er im Alter von 14 Jahren aus Sri Lanka nach Luzern kam, sprach er kein Wort Deutsch. Er besuchte eine Übergangsklasse für ausländische Jugendliche, lernte schnell und schaffte den Übertritt in die Sekundarschule. Er war der einzige Tamile an der Schule.

«Ich war extrem auf der Suche nach Identität. Schon mit 15 wollte ich wie ein Schweizer sein und nicht mehr auffallen.» In den 80er-Jahren galten die Tamilen als Sündenböcke und Schmarotzer. «Ich fühlte mich angesprochen. Diese Ablehnung war keine einfache Zeit für mich.»

Mit Leistung wollte Lathan dem schlechten Image der Tamilen entgegenwirken und der Welt beweisen, dass er was kann. Sein Deutsch sei damals noch einfach und fehlerhaft gewesen. «Ich musste zuerst mein Tamilisch vertiefen, um mir die deutsche Sprache besser anzueignen.»

Wie viele Tamilen mussten auch die Suntharalingams mit hängigem Asylverfahren viele Jahre in Unsicherheit leben. Sollten sie weiterreisen? Nach Kanada, England? Indien, wo Verwandte lebten? Erst Jahre später wurden sie aus humanitären Gründen aufgenommen.

Partizipieren dank rotem Pass

1997 liess sich Lathan als einer der ersten Jugendlichen in Luzern einbürgern und besuchte ein Jahr später die Rekrutenschule. «Ich habe meine Pflicht getan.»

Er liess sich zum Krankenpfleger und später zum Intensivpfleger ausbilden. Zusammen mit Freunden aus verschiedenen Ländern engagierte er sich an Integrationsprojekten. «Wir wollten zeigen, dass es kein Feind-Freund-Bild gibt, sondern einen gemeinsamen Weg.»

Lathans Ziel war eine progressive Migrationspolitik, er hatte genug von linken Kreisen, die wegschauten, und von anderen, die in den Migranten nur Sündenböcke sahen. Er wurde von einem tatkräftigen Team gefördert und aufgebaut: 2004 schaffte er auf Anhieb den Sprung ins Stadtparlament, drei Jahre später ins Kantonsparlament..

«Dank dem Schweizer Pass kann ich in der Politik mitwirken, sonst hätte ich keine Chance.» Er befürwortet das Basler Integrations-Modell «Fordern und fördern». Dazu brauche es aber vom Staat die erforderlichen Rahmenbedingungen, wie Sprachkurse mit anerkannten Diplomen.

«Es muss im Interesse des Staates sein, alle Bevölkerungsgruppen von Anfang an zu fördern und die dazu nötige Infrastruktur aufzubauen. Das würde sich auch volkswirtschaftlich auszahlen», so Lathan.

Rückzug in eigene Welt

Mangelnde Integration und ungenügende Sprachkenntnisse seien mit ein Grund, dass sich ein Grossteil der Tamilen in die eigene Kultur zurückzögen. «Sie fühlen sich wohl in der Isolation, es ist auch bequem. In ihrem Kreis können sie sich verwirklichen, was sie in der Arbeitswelt nicht können, weil ihnen die Sprache fehlt.»

Er prangert auch das teils patriarchalische Verhalten in den tamilischen Familien an, in dem die Mädchen streng kontrolliert würden und Zwangsheiraten noch immer Realität seien.

«Hier sind die Behörden zu wenig sensibilisiert. Sie begreifen nicht, wie gross der psychische Druck für diese jungen Frauen ist. Der Rechtsstaat muss diese Menschen schützen, wenn sie sich emanzipieren wollen.»

Lathan kommt in Fahrt: Lieber heute als morgen möchte er seine Vision einer gerechten Gesellschaft verwirklichen, in der Chancengleichheit herrscht und alle friedlich zusammenleben.

Kritik von hier und dort

Dass sich der energische Jungpolitiker mit seinen Voten nicht nur in gewissen bürgerlichen Kreisen, sondern auch bei traditionellen Tamilen unbeliebt macht, liegt auf der Hand.

«Ich bin auch schon von den eigenen Leuten beleidigt worden. Und sogar die Luzerner Fasnachtszeitung witzelt über mich.» Eine Partei habe behauptet, er wolle im ganzen Kanton Hindu-Tempel bauen. Er, der sich als konfessionslos bezeichnet und Zen-Meditation macht.

Bremsen lässt sich der junge Mann bestimmt nicht. Er wird sich weiter exponieren und mit negativen Reaktionen leben müssen.

«Ich passe nicht in das Schema des Ausländers. Wenn jemand rassistisch behandelt wird, reagiere ich. Ich fühle mich genauso als Schweizer wie Herr Meier und lasse mich wegen meines Namens oder meiner Hautfarbe nicht als Zweitklassbürger behandeln.»

swissinfo, Gaby Ochsenbein, Luzern

In der Woche vom 7.-13. April nimmt die SRG SSR idée suisse das Thema «Integration» in ihren Programmen auf.

Unter dem Titel «Wir anderen – nous autres – noi altri – nus auters» bietet die SRG dem Publikum eine umfangreiche Palette an Beiträgen in der Information, der Dokumentation und der Fiktion.

Auch swissinfo greift das Thema «Integration» in allen 9 Sprachen auf.

19. Dezember 1974: Geboren in Jaffna, im Norden Sri Lankas.
1988 kam er mit Mutter und zwei Geschwistern in die Schweiz, der Vater war bereits hier.
Besuchte in Luzern eine Integrationsklasse für Migrantenkinder, dann die Sekundarschule.

1998 erhielt er das Schweizer Bürgerrecht.
1999 absolvierte er die RS bei der Fliegertruppe in Payerne.

1993-1996: Ausbildung zum Pflegefachmann
1998-2000: Weiterbildung zum Intensivpfleger
2003: Nachdiplomstudium «Interkulturelle Kommunikation» an der Uni Luzern.
2007: Abschluss als Sozialarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit, Luzern.
Zur Zeit studiert er an der Uni Luzern im zweiten Semester Jus und arbeitet zu 90% am Kantonsspital Luzern.

2004: schaffte der Sozialdemokrat den Sprung ins Luzerner Stadtparlament.
2007: Wahl in den Grossen Rat, Kantonsparlament.

Lathan Suntharalingam ist in zweiter Ehe mit einer Inderin verheiratet und Vater einer 2-jährigen Tocher.

In der Schweiz leben rund 43’000 Menschen aus Sri Lanka. Der grösste Teil von ihnen gehört der tamilischen Minderheit an.

10’000 haben inzwischen einen Schweizer Pass.

Über 90% der Nichteingebürgerten haben eine Aufenthalts- oder Niederlassungs-Bewilligung.

Der Zustrom von Tamilen aus dem Bürgerkriegsland begann Mitte der 80er-Jahre.

Die Schweizer Bevölkerung reagierte zu Beginn mit Befremden. Die Tamilen, meist junge Männer, wurden als Dealer und Schmarotzer beschimpft.

Heute geben die Tamilien kaum mehr zu reden. In der Arbeitswelt gelten sie als integriert, kulturell und sozial sind sie jedoch eher isoliert und leben in ihren Kreisen.

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