Im arabischen Comic dauert der Frühling an
Arabische Comics finden in Europa immer mehr Beachtung. Die Künstler thematisieren aber nicht nur die politischen Umwälzungen, wie die Ausstellung "Al-Comix Al-Arabi" am Fumetto-Festival zeigte. swissinfo.ch hat in Luzern zwei Künstler getroffen.
Blaue Augen, fröhliches Lachen, ansteckender Humor: Lena Merhej und Mohamed Shennawy sind bestens gelaunt. Beide waren von klein auf fasziniert von «Comix», wie die Bildergeschichten in den arabischen Ländern genannt werden. Bis heute aber ist dort die so genannte neunte Kunst wenig verbreitet, was auch mit den fehlenden finanziellen Mitteln zu tun hat.
Die 36-jährige deutsch-libanesische Illustratorin und Grafikerin und der 34-jährige Zeichner und Grafiker aus Ägypten weilten im Rahmen der Ausstellung «Al-Comix Al-Arabi» in Luzern. Die Sonderschau des Internationalen Comix-Festivals ermöglichte einen Überblick über die aktuelle neunte Kunst von Algerien, Marokko über Libyen bis Libanon, Jordanien und Ägypten.
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Feld der Emanzpation
Sowohl Lena Merhej als auch Mohamed Shennawy haben sich in ihren Ländern mit Comics für Erwachsene einen Namen geschaffen. Die Libanesin gründete 2007 mit fünf Künstlerkollegen Samandal, ein dreisprachige Magazin mit Texten auf Arabisch, Französisch und Englisch, das in Beirut erscheint.
Shennawy gibt seit dem 25. Januar 2011, also wenige Tage vor Ausbruch der Revolution, die Zeitschrift Tok Tok heraus. Heute haben beide Magazine bei Künstlern und Fans ihren festen Platz erobert – dank Mut, hoher Qualität und einer bunten Vielfalt an Themen.
«Dank zahlreicher Festivals sind arabische Comics heute in Europa besser bekannt», stellt Lena Merhej fest. Dies auch, weil sich die arabischen Künstlerinnen und Künstler, deren Werke in den letzten zwei Jahren gezeigten wurden, nicht nur auf Themen rund um die Aufstände beschränkten.
Kuratiert hat die Fumetto-Ausstellung «Al-Comix Al-Arabi» Anna Gabai. Die Italienerin gehört zu den wenigen europäischen Spezialistinnen und Spezialisten, die sich vertieft mit der arabischen Comic-Szene auseinandersetzen.
«Die Revolutionen haben das Scheinwerferlicht auf die arabische Welt gerichtet. Comix sind Teil dieser Welt mit ihren neuen kulturellen Realitäten und Ausdruckformen, die der Westen plötzlich entdeckt hat», so Gabai. Zu diesen neuen Ausdrucksformen gehören auch die Graffitis, die junge Künstler am Vorabend der Aufstände in den Städten auf Mauern gesprayt hatten.
«Nach dem 25. Januar 2011 war die visuelle Kunst nicht mehr zu übersehen», bestätigt Mohamed Shennawy. «Alle haben ihre Talente bemüht, um ihre tiefsten Gedanken und Empfindungen auszudrücken. Und viele Menschen haben begonnen, die Fotos, Videos und Zeichnungen anzuschauen, die auf Facebook und Twitter gepostet wurden.»
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Zwischen zwei Welten
Ihre Kindheit hat Lena Merhej im bürgerkriegs-geplagten Beirut verbracht. Kein Wunder, dass einige ihrer Werken Erinnerungen aus dieser Zeit darstellen. Mit der Gründung von Samandal, zu Deutsch der Salamander, hat sie sich einen Kindheitstraum erfüllt.
Der Titel ist nicht zufällig, ist doch der Salamander ein Wesen, das in zwei Welten lebt, zu Land und zu Wasser. So auch das Magazin, das zwischen «Text und Bild, bildender Kunst und Volkskunst, Tradition und Experiment» liegt, wie der Salamander auf der ebenfalls dreisprachigen Internetseite des Magazins erklärt.
Programmatisch ist auch der Untertitel «Bildergeschichten von hier und anderswo». Damit signalisieren die Macherinnen und Machern die Überwindung von geographischen und sprachlichen Grenzen, die Vermischung von Stilelementen wie Ironie und Poesie oder Themen wie Politik, Religion und Sexualität. Merhej verhehlt aber keineswegs, dass dabei stets auch der Faktor Selbstzensur im Spiel sei.
Um den Erfahrungsaustausch zu fördern, steht Samandal als Plattform bewusst auch Künstlern über den arabischen Raum hinaus offen. Der Brasilianer Flab, Andy Warner aus den USA und das belgische Magazin L’Employé du moi gehörten zu den ersten, die davon Gebrauch machten.
Zwar ist Politik in Samandal sehr präsent. Dennoch nimmt der libanesische Bürgerkrieg keine dominante Stellung ein. «Wir weigern uns sogar, über den Krieg zu schreiben, weil uns das Thema wütend macht», erklärt Merhej.
Tok Tok und die Schubladen
Lena Mehrej und Mohamed Shennawy verwenden den Begriff Comix nicht gern. Die Libanesin spricht lieber von «serieller Kunst», während ihr ägyptischer Kollege den Ausdruck «illustrierte Geschichten» bevorzugt.
Sein Magazin Tok Tok sieht Shennawys als ein Medikament, das es von Kindern fernzuhalten gilt. In der Tat kann der Inhalt schockieren. Etwa beim Thema sexuelle Belästigung.
Unter Lachen erzählt Shennawy, wie er auf den Namen des Magazins gestossen sei. «Tok Tok erinnert an die dreirädrigen Transportfahrräder. Sie sind zwar wie gemacht für die engen Gassen Kairos, im Verkehr aber stellen sie ein Hindernis dar. Unser Magazin ist wie dieses Dreirad: effizient, aber störend mit seinem ironischen Ton.»
An Tabus rütteln
Auch die Autoren von Tok Tok üben Selbstzensur, wenn es um Religion oder Sexualität geht. «Es kommt sogar vor, dass Leser uns schreiben, wir sollten uns deswegen schämen «, berichtet Shennawy. Umgekehrt drückten Leser auch ihre Bewunderung aus, wenn eine Publikation «die Realität reflektiert».
Auch Tok Tok versteht sich als internationale Plattform, die zudem explizit neuen Strömungen der visuellen Kunst offen steht. Die Europäische Union (EU) hat dies im letzten Jahr mit einem finanziellen Beitrag honoriert. Samandal und Tok Tok: Zwei angriffige Publikationen, in denen der arabische Frühling andauert.
Comics verbreiteten sich in den arabischen Ländern während der 1930er-Jahre überwiegend in Form englischer oder französischer Hefte.
Seit den 1950er-Jahren wurden Geschichten auf Arabisch gezeichnet, geschrieben und veröffentlicht.
Diese Art von Publikation schien besonders geeignet, um nationale Identitäten zu prägen.
Micky Mouse hatte seine ägyptische Zeitschrift Miky, die ihn als Protagonist vieler Episoden in den Strassen von Kairo zeigte.
Im Libanon wurden die Abenteuer von Superman auf Arabisch übersetzt und in der ganzen arabischen Welt vertrieben.
Comics sind nicht negativ konnotiert, gelten aber vorwiegend als Kinderlektüre.
In den letzten zehn Jahren wurden jedoch mehr und mehr Geschichten für Erwachsene gezeichnet.
Seit 2007 erscheint in Beirut das Magazin Samandal. Mit La Furie des Glandeurs besteht seit ein paar Jahren eine weitere Plattform für die neunte Kunst im Libanon.
Auch die jetzige turbulente Zeit, welche die arabischen Länder erleben, findet ihren Platz in der Sprechblase. So berichtet der Kater Willi From Tunis seit Januar 2011 auf Facebook über die Geschehnisse in Tunesien.
Der bekannteste arabische Comic in Europa ist Metro von Magdy El-Shafee, der seit letztem Jahr auch auf Deutsch zu lesen ist. Die Geschichte spielt zur Zeit des ägyptischen Ex-Präsidenten Mubarak und gibt die Frustration der ägyptischen Bevölkerung wieder.
(Quelle: Anna Gabai, Fumetto)
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