Im Garten Eden auf dem Holzweg
Das Zentrum Paul Klee in Bern holt das Paradies auf Erden. Aber auch die Hölle. Die grosse Ausstellung "Jenseits von Eden. Eine Gartenschau" thematisiert Tod und Vergänglichkeit, Gewalt und Schönheit.
Wer diesen Sommer um den idyllischen Egelsee in der Nähe des Zentrums Paul Klee (ZPK) spaziert, hört plötzlich aus dem Rauschen der Blätter im Wind einen Klang heraus, der eben noch nicht da war. Ein Glockenspiel, das sich nach kurzer Zeit wieder verflüchtigt.
Die Klanginstallation des in Paris lebenden Künstlers Pierre Huyghe ist der zarteste Beitrag zur Garten-Ausstellung, der überdimensionierte Kunststoff-Kothaufen des Amerikaners Paul McCarthy hinter dem Klee-Zentrum der deftigste. Dennoch wurde letzterer jetzt von einer Windböe fortgerissen, während das Glockenspiel noch immer klingt.
«Die stärksten Reaktionen hat allerdings die Installation von Thomas Hirschhorn ausgelöst, obwohl sie im Wald versteckt und gar nicht so leicht zu erreichen ist», sagt Juri Steiner, ZPK-Direktor und Ko-Kurator der Ausstellung, gegenüber swissinfo.
Der in Paris lebende Schweizer Künstler, der 2003 bei der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat erklärte, nicht mehr in der Schweiz ausstellen zu wollen, solange Blocher in der Regierung sei, hat den «Holzweg» beim Steinbruch in Ostermundigen vor den Toren Berns eigens für diese Ausstellung geschaffen.
Am Tag der Abwahl Blochers habe er am Konzept von «Jenseits von Eden» gearbeitet, erzählt Steiner. Da sei ihm Thomas Hirschhorn eingefallen. Er fragte den Künstler noch am gleichen Tag für eine Teilnahme am Projekt an. So ist der «Holzweg» Hirschhorns erste Installation in der Schweiz nach seinem fünfjährigen Boykott.
Schauplatz einer Katastrophe
Das zentrale Objekt ist ein weisses Auto mit platten Pneus und einer offenen Fahrertüre – wie nach einem Unfall. Das Innere des Autos ist mit künstlichen Holzscheiten aus Karton, Holzfolie und Klebeband gefüllt, auf dem Dach ist ein ebensolcher Holzstamm befestigt.
An echten Baumstämmen im Wald kleben mit philosophischen Texten beschriebene Blätter und Sträusse roter Plastikrosen. Da ist nichts von Paradies oder Idylle. Man fühlt sich an den Schauplatz einer Katastrophe versetzt. Diese Wirkung erreicht Hirschhorn mit einfachsten Mitteln, ohne billige Schockeffekte.
Der «Holzweg» führt einen zu einer Begegnung mit Gewalt und Zerstörung, die wie das Paradies zur Welt gehören und dem man sich laut dem Künstler nicht entziehen kann.
Einfache Reaktionen
Eine andere Art von Provokation schafft der «Wellness Skull» des niederländischen Künstlers Joep van Lieshout in der Wiese nahe des Klee-Zentrums. Der riesige Schädel aus Kunststoff enthält im Innern eine Wellness-Anlage mit Sauna und Bad, aussen ist eine Dusche befestigt. Eine Leiter führt hinauf in den Hinterkopf.
«Der Totenkopf ist ein Signal, das die Vergänglichkeit evoziert», erklärt Kurator Juri Steiner. Dieses Objekt ebenso wie der Würfel von Sol LeWitt und der Kothaufen seien emblematische Werke, die einfache Reaktionen provozierten, entweder spontane Freude oder spontane Ablehnung.
Juri Steiner liebt die Provokation. 2005 rief er die Aktion «Agent-provocateur.ch» ins Leben. Doch er differenziert: «Provokation im Sinn, dass sie Denkprozesse auslösen soll, aber nicht jemanden verärgern.» Die Zeit des Bürgerschrecks sei längst vorbei.
«Die Kunst ist ein gutes Medium, etwas in Gang zu setzen, vom Alltäglichen in philosophische Bereiche zu verweisen. Doch Kunst sagt nicht, was man denken soll, sie ist keine Propaganda-Maschine», betont Steiner.
Mehr als eine Klee-Sammlung
«Jenseits von Eden. Eine Gartenschau» ist eine dreiteilige Ausstellung. Dem lichten, frohen, paradiesischen Teil «In Paul Klees Zaubergarten» steht im Untergeschoss des Zentrums «Lost Paradise» gegenüber, ein Katastrophenpanorama des 20. Jahrhunderts, das von Klees «Angelus Novus» ausgeht.
In den Augen dieses als «Engel der Geschichte» berühmt gewordenen Bildes fokussieren sich laut dem Geschichtsphilosophen Walter Benjamin alle Katastrophen der Menschheitsgeschichte.
Dem stummen Blick des «Angelus Novus» entsprechen die Blicke afghanischer Kinder auf Fotos von Fazal Sheikh. Der Film «Hiroshima mon amour» thematisiert die Unmöglichkeit, das Grauen zu vermitteln.
Im Aussenraum ums ZPK und im Wald ausserhalb der Stadt schliesslich stehen zwölf teils riesige Objekte, die von weitem sichtbar sind und zum Flanieren einladen. «Wir wollten uns drei Jahre nach der Eröffnung noch einmal positionieren und zeigen, dass wir mehr sind als eine Sammlung Paul Klee», sagt Steiner.
swissinfo, Susanne Schanda
Das Zentrum Paul Klee (ZPK) wurde im Juni 2005 im Schöngrün-Areal im Osten von Bern eröffnet.
Mit einer Schenkung von 30 Mio. Franken gab das Berner Mäzenaten-Paar Maurice E. und Martha Müller den Anstoss zum ZPK und wählten den italienischen Stararchitekten Renzo Piano für den Bau aus.
Das ZPK ist eines der wenigen Museen der Schweiz, das monografisch ausgerichtet ist, also ganz einem einzigen Künstler gewidmet.
Es enthält rund 4000 Werke von Paul Klee (40% seines Lebenswerks) und ist damit die weltweit bedeutendste Sammlung von Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen des Künstlers.
2006 wurde Juri Steiner zum neuen Direktor des Zentrums gewählt. Sein Credo: «Wir wollen die Tradition und das Erbe von Paul Klee fruchtbar machen und ins 21. Jahrhundert herüberholen.»
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