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In Zürich kritisiert, international gelobt: David Chipperfield gewinnt den Pritzkerpreis

David Chipperfield at the Kunsthaus
David Chipperfield posiert bei der Einweihung des neuen Kunsthaus Zürich Gebäudes. Keystone / Walter Bieri

Noch mehr internationale Ausstrahlung für Baukunst in der Schweiz:  Der Architekt der neuesten Erweiterung des Kunsthaus Zürich erhält den Pritzkerpreis, der auch als Nobelpreis für Architekt:innen gilt. 

Der Architekt des Neubaus für das Kunsthaus Zürich steht erneut im internationalen Rampenlicht: Sir David Chipperfield CH erhält am 7. März 2023 den diesjährigen, mit 100’000 Dollar dotierten Pritzkerpreis.

Diese prominente Auszeichnung in der Baukunst wird oft mit dem Nobelpreis verglichen, allerdings greift seine Geschichte weniger weit zurück: Während der nach Alfred Nobel benannte Preis seit 1901 verliehen wird, existiert die vom Ehepaar Jay und Cindy Pritzker gestiftete Auszeichnung erst seit 1979.

Wie andere Preise folgte auch der Pritzkerpreis lange einem traditionellen Rollenbild: In seinen ersten 22 Ausgaben ging er ausschliesslich an ältere, genauer: mindestens 50 Jahre alte männliche Baukünstler. Dies waren bis ins Jahr 2000 ausschliesslich Einzelpersonen. Erst darauf wurden für die beiden ersten Schweizer Gewinner, die Basler Jacques Herzog und Pierre de Meuron, die Statuten geändert und Teams zugelassen.

Kunsthaus Zurich
Chipperfields Erweiterungsbau am Heimplatz machte das Kunsthaus Zürich 2021 zum grössten Kunstmuseum der Schweiz. Darin zu sehen sind die Sammlungen Looser, Merzbacher wie auch die umstrittene Sammlung Emil Bührle, weiter mittelgrosse Wechselausstellungen. Die frei zugängliche Eingangshalle ist als offener Ort der Kunsterfahrung konzipiert. © Keystone / Christian Beutler

Zeitgeist spiegeln

Der Zeitgeist wirkt bis heute auf die Liste der Preisträger ein: 2004 wurde mit der unterdessen verstorbenen Zaha Hadid zum ersten Mal eine Frau ausgezeichnet. Es folgten weitere, auch jüngere und sogar dreiköpfige Teams.

In den letzten drei Jahren folgte die Jury konsequent den Zeichen der Zeit und würdigte 2020 mit den Dubliner Grafton Architects ein reines Frauenteam, 2021 mit Anne Lacaton und Jean-Philippe Vassal zwei Architekten, die vor allem für Umbauten und minimale Eingriffe bekannt sind, und 2022 mit Francis Kéré erstmals einen Architekten afrikanischer Herkunft. 2023 besetzt nun erstmals wieder eine männliche Einzelfigur den Rang dieser höchsten Auszeichnung für ein architektonisches Lebenswerk.

Die Baukunst des Büros David Chipperfield Architects mit Sitzen in London, Berlin, Mailand und Shanghai zeigt viele Facetten, die Sorge um den Bestand genauso wie repräsentative Neubauten. Was das Gesamtwerk verbindet, sind Ruhe und Eleganz, formale Stringenz und die dauerhafte, oftmals steinerne Materialisierung.

Chipperfields Name, voll ausgeschrieben, beschreibt selbstredend seine Verpflichtung gegenüber seiner britischen Herkunft und der Gesellschaft als Ganze: Die Endung in «Sir David Alan Chipperfield CH» steht für den vom Vereinigten Königreich und Commonwealth gestifteten Orden der «Companions of Honour», dem er seit 2020 angehört.

Das umfangreiche Oeuvre umfasst fast alle Massstäbe und Kontinente, von kleinen Museumsbauten in England oder Mexiko bis zum spektakulär über das Wasser ausgreifende America’s Cup Building in Valencia, von einer Kapelle in Japan bis zum Hauptsitz der BBC in Schottland und anderen Hochhauskomplexen in Asien.

Dem deutschsprachigen Publikum sind wohl vor allem die James-Simon-Galerie auf der Berliner Museumsinsel und der Neubau für das Kunsthaus Zürich bekannt.

Die Causa Bührle überschattet die Kunst

Das Zürcher Publikum wird von der Pritzker-Wahl nun eventuell überrascht: Der Bau hat seit dem Wettbewerbsentscheid im Jahr 2008, und erst recht seit der Eröffnung von 2021 polarisiert.

Anfangs stand vor allem die Grösse des Baus im Vordergrund, doch dann drangen die hitzigen und heftigen Debatten tief ins Innere des Baus ein, in die kriegsgeschichtebelasteten Sammlungen genauso wie in die intransparenten Dokumentationen und Finanzierungsmodelle der privat organisierten Zürcher Kunstgesellschaft.

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Richtig hoch gingen die Wellen jedoch nicht wegen des Bauvolumens, sondern wegen der dort im obersten Geschoss untergebrachten Sammlung des einstigen Kriegsmaterialhändlers Emil Bührle, der während des Zweiten Weltkriegs nicht nur mit Waffen, sondern auch mit Raub- und Fluchtkunstkäufen ein riesiges Vermögen erwirtschaftete.

Über den mindestens so renommierten Sammlungen Merzbacher und Looser, die in modernen und hellen Räumen im vor gut einem Jahr eingeweihten Neubau untergebracht sind, hängen im obersten Geschoss auf dunkel gehaltenen Wänden viele Werke aus dem Besitz der Familie Bührle. Wie lange noch, wird zu Recht gefragt. Auf der neuen Kunsthaus-Direktorin Ann Demeester lasten grosse Erwartungen, Licht in die dunkle Geschichte zu bringen.

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Chipperfields Neubau ist nicht die erste, aber die grösste Erweiterung für das Kunsthaus ZürichExterner Link. Sie ergänzt die bisherige Ausstellungsfläche um gut 5000 Quadratmetern. Aufs Ganze bezogen allerdings verdoppelt der Neubau die Museumsfläche sogar und macht das Kunsthaus Zürich zum grösste Kunstmuseum der Schweiz – dank grosszügigen Hallen, Treppen und Umgängen, die die Idee eines Museums für das 21. Jahrhundert einlösen wollen.

Auch hier allerdings greift die Kritik scharf, denn die öffentlich zugängliche Halle, die auch ein Durchgang vom Heimplatz in den Museumsgarten und weiter zum Universitätsbau in der Alten Kantonsschule ist, wird hinter dem steinernen Schleier als zu verschlossen wahrgenommen.

So bezeichnete ETH-Professor Philipp Ursprung Chipperfields als ein «Monument der Abschottung»Externer Link. Chipperfield beabsichtigte es anders: Dank den grossen und hellen neuen Räumen werde das Kunsthaus zugänglicher für das Publikum, meinte er im kleinen Büchlein zur Eröffnung des KunsthausesExterner Link (erhältlich in D/F/E), nämlich «a place to go».

Ein graziler Klotz

So elegant die Natursteinfassade wirken mag, die Grösse des Gesamtbaus wird damit nicht aufgehoben. Das Kunsthaus ist ein graziler Klotz, an den sich viele Zürcherinnen und Zürcher noch nicht recht gewöhnt haben. Wer trotzdem einen Besuch wagt, dem sei nach dem (freien) Eintritt in die grosse Halle auch die ebenfalls von David Chipperfield Architects entworfene KunsthausbarExterner Link mit dem einst im 1934 Dancing Corso am Bellevue installierten, grossen Wandbild «Pétales et jardin de la nymphe Ancolie» von Max Ernst empfohlen.

Grösse ist auch bei den Diskussionen um die Zürcher Europaallee, wo David Chipperfield ebenfalls ein Haus gestaltete, ein Dauerbrenner. Der gemeinsam mit Max Dudler und Gigon/Guyer Architekten entworfene Block mit vier Bürohäusern behaust 14’600 Quadratmeter Fläche für eine Schweizer Grossbank.

Es zeigt im Vergleich mit anderen Bauten der David Chipperfield Architects relativ viel Glasfläche und ist in diesem Sinn nicht so einfach als ein «Chipperfield» zu identifizieren wie das Kunsthaus. Dieses trägt viel deutlicher die Handschrift des britischen Architekten – auch wenn sich dieser gegen eine solche Zuschreibung einer Handschrift bestimmt wehren würde, sieht er seine Bauten doch immer als auf einen Ort eingeschrieben und eingepasst, was auf der Berliner Museumsinsel auch sicher zutrifft.

Würdigung des Engagements für das Klima

Chipperfields Architektur sei nie Kunst um der Kunst willen, schreibt die Jury des Pritzkerpreises in ihrer Begründung. Seine Verdienste gingen weit über die Eleganz und Stringenz seiner Baukunst hinaus. Diese verfolge mit Sorgfalt, handwerklichem Können und grosser Ruhe, steht da weiter, einen «höheren Zweck und das Bemühen um das gesellschaftliche und öffentliche Wohl».

Ein weit über die Architektur hinausgehendes Engagement beweist der dieses Jahr 70-jährige Architekt mit seiner neuesten Leidenschaft, einer Stiftung in Galicien im Nordwesten Spaniens. Dort sieht er seine Aufgabe darin, neue Wege zur Verbesserung des Lebens und der Lebensbedingungen auf unserem bedrohten Planeten zu finden. Seine Fundación RIA will zum Erhalt der mannigfachen Landschaften, der Landwirtschaft, der Ökologie und der regionalen Traditionen beitragen.

Der Zeitgeist ist also auch beim Pritzkerpreis angekommen: Architekten sollen mit ihren Bauwerken weiterhin – und im besten Fall wie David Chipperfield mit «Strenge, Integrität und Relevanz» – zur Gestaltung der gebauten Umwelt beitragen. Wenn sie darüber hinaus auch soziales und ökologisches Engagement an den Tag legen, haben sie auch einen Pritzkerpreis verdient.

Giacomettis on center stage, facing the original museum building across the street
Kunsthaus Zürich: Giacomettis in der Mitte der Galerie, mit Blick auf das ursprüngliche Museumsgebäude auf der anderen Straßenseite. © Keystone / Christian Beutler

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