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Inszenierungen des Alltags

Daniel Spoerri: Chambre n. 13 de l'Hotel Carcassonne, Paris 1959-65. (Bild: http://www.danielspoerri.org) Keystone

Das Museum Jean Tinguely in Basel zeigt vom 16. Mai bis 9. September 2001 eine umfassende Daniel Spoerri Ausstellung mit vielen Leihgaben aus öffentlichem und privatem Besitz. Spoerri gehört zu den Wegbereitern der Alltags-Kunst der 60- und 70er Jahre.

Daniel Spoerri animierte vor allem während den 60er und 70er Jahren die Diskussion über das Verhältnis zwischen Kunst und Gesellschaft. Er setzte sich auf eine ironische Art und Weise mit Alltags-Gegenständen auseinander und hinterfragte derart deren Bedeutung.

Spoerri wurde 1930 in Rumänien geboren, kam jedoch mit zwölf Jahren in die Schweiz, wo er bei seinem Onkel, dem damaligen Direktor der Universität Zürich, lebte. In Zürich lernte er spätere Künstlerkollegen wie Jean Tinguely und Eva Aeppli kennen. Obwohl Spoerri zunächst Ballet studierte, wandet er sich bald der Inszenierung und schliesslich der bildenden Kunst zu.

Zusammenarbeit zwischen Künstler und Museum

Die Ausstellung im Basler Tinguely-Museum entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler und basiert auf dem Konzept, das vorsieht, sein Werk von den Anfängen der Sechzigerjahre bis heute aus dem Blickwinkel der Erfindungen und Werkentwicklungen zu erfassen. Dabei wird auch der grosse Material- und Objektfundus des Künstlers aufgezeigt werden können, dem die intensive Auseinandersetzung mit dem kulturellen Erbe seiner Zeit zu Grunde liegt. Seine ersten Zeugnisse sind Texte und Gedichte, die bereits auf sein bildnerisches Schaffen verweisen.

Die Ausstellung versucht in thematischen «Strängen» wichtige Arbeiten zu gruppieren, denen Spoerri individuelle Bezeichnungen gibt. Bereits 1958/59 initiierte er die erste Edition MAT, die auf die Idee der Multiplikation von veränderbarer Kunst zurückgeht. 1960 folgen die Fallenbilder (Tableau-Piège). Es sind Objekte, vom Zufall auf einem Tisch oder in einer Schublade vereint, die der Künstler fixiert und als Kunstwerk an die Wand hängt. Die «Détrompe-l’oeil» entlarven Wahrnehmungsgewohnheiten und zielen auf Irritationen von Täuschungseffekten. Auch die Eat-Art, Ethnosynkretismen, Künstlerpaletten, «Corps en morceaux, «Carneval des Animaux», «Krimskramsmagie» oder das «Musée sentimental» bilden Themenkreise, welche stets auch existentielle Fragen aufwerfen.

Fundobjekte inspirieren zum Kunstwerk

Ausgehend von banalen Fundobjekten und ihrer Herkunft schafft Spoerri in vom Zufall gelenkten oder auch komponierten Inszenierungen neue ironische und subversive Welten. Als «Choreograph des Zufalls» transponiert er den Alltag zu Kunst und bringt die Kunst in den Alltag. Dabei werden die Grenzen verwischt, das Feld der Kunst uferlos und die Freiheit des Kunstschaffenden total, ein Axiom der Künstlergeneration der «Nouveaux Réalistes». Dies verbindet Spoerri auch mit Jean Tinguely. Als Freund und Mitstreiter der ersten Pariser Jahre und als Wegbegleiter ist er zu einem intimen Zeugen von Tinguelys Schaffen geworden, nach seinen Worten: «Wer mich kennt, kann sich vorstellen, dass es mir eine grosse Freude bereitet, mein Werk neben das seine zu stellen; – hat doch unsere Freundschaft schon 1950 begonnen und steht sie doch in dialektischem Widerspruch: hier Fixierung, dort Bewegung – und darum sich bedingend.»

Die Rekonstruktion des berühmten «Chambre No 13», Hotel Carcassonne, erlaubt es den Besucherinnen und Besuchern, in der Ausstellung eine Spoerri-Welt zu betreten. Sie können sein Studio der ersten Pariser Jahre sehen, das Arbeitsplatz, Schauraum und Lagerraum zugleich war, ein Tatort, wie er wohl kaum so authentisch wiedererlebt werden kann. Die Entgrenzung von Kunst und Alltag findet hier nicht auf der Strasse oder in der Industrie statt, sondern in der Künstlerkammer.
Der ewige Inszenator

Finden und Erfinden, Sammeln und Komponieren, Inszenieren und Fixieren sind Spoerris Vokabularien. Er bezeichnet sich selbst als «Metteur en scène de l’objet». Wenn er als Tänzer, Regisseur und Poet seine Laufbahn begonnen hat, so verlässt er die Bühne nie, nur verlegt er sie nach draussen. Seine Welten verfremden und transformieren die Dinge, stellen Fallen und schaffen zugleich neue Obsessionen. Fundorte, Wohnorte, Tatorte sind wichtige Voraussetzungen für sein Werk. Seit zehn Jahren lebt er in der Toskana und errichtet in Seggiano einen, dem Publikum zugänglichen «Giardino». Die Natur selbst wird hier zur Bühne für seine Interventionen und erfährt dadurch eine Neubestimmung wie der gedeckte Tisch an der Wand.

Zur Ausstellung erscheint ein Buch mit einer Auswahl von Originaltexten des Künstlers, einem farbigen Abbildungsteil, Erläuterungen zu den Werkgruppen und einem Anhang mit Biographie, schwarz/weiss Abbildungen, Dokumenten und ausgewählter Bibliographie seiner Schriften. Umfang ca. 200 Seiten.

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