Integration mit Büchern
Wissen, Magie, Unterhaltung, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: Dem Inhalt eines Buches werden keine Grenzen gesetzt. Der Verein Bücher ohne Grenzen Schweiz (VBOGS) hat ein Integrationsinstrument für Ausländer in der Schweiz geschaffen.
In der Zeit der neuen Kommunikationstechnologien könnte der Welttag des Buches als anachronistisch erscheinen.
Aber gerade jetzt, wo sich der globale Buchmarkt in einer tiefgreifenden Transformation befindet, kann so ein Gedenktag zur Sensibilisierung und Reflexion genutzt werden.
Es gehe nicht darum, sich Veränderungen zu widersetzen, sondern «die Folgen dieser Entwicklung abzuschätzen und alle Vorteile aufzugreifen, ohne dass die bewährten Werte und Ausdrucksformen aufgegeben werden», sagt Unesco-Generaldirektorin Irina Bokova in ihrer Botschaft zum Welttag des Buches 2011.
Es gehe vor allem darum, dieses Erbe der ganzen Menschheit verfügbar zu machen. «Rund 800 Millionen Menschen können immer noch nicht lesen», sagt Bokova. «Bücher sind die besten Botschafter der Toleranz, vibrierende Zeichen der Hoffnung. Bücher sind die Säulen einer freien und offenen Gesellschaft.»
Den Multikulturalismus bewerten
Genau diesem Gedankengut haben sich die VBOGS-Bibliotheken verpflichtet. Dank einer Initiative, die hauptsächlich von Eltern und Lehrpersonen ausging, wurde im Oktober 1988 in Renens, einer Lausanner Vorortsgemeinde, die erste Bibliothek der interkulturellen Schweiz eröffnet: Globlivres. In der Stadt am Fuss des Genfersees haben fast die Hälfte der rund 20’000 Einwohner keinen Schweizer Pass.
Die Idee von Bibliotheken, die ein breites Angebot von Publikationen in allen in der Gegend präsenten Sprachen zur Verfügung stellen, breitet sich seither stetig aus. Heute gibt es im ganzen Land über zwanzig solche Institutionen. Die jüngste wurde in diesem Jahr in Lugano eingeweiht.
Die Bibliothek von Bellinzona, die bisher einzige in der italienischen Schweiz, wurde vor sieben Jahren in Dienst genommen. Sie beherbergt über viertausend Bände in dreissig Sprachen.
«Wir haben bemerkt, dass in Lugano, das einen höheren Anteil ausländischer Bevölkerung hat als wir in Bellinzona, eine interkulturelle Bibliothek noch nötiger ist als hier», sagt Fredy Conrad, Gründer und Leiter der Bellenzer Bibliothek gegenüber swissinfo.ch.
In beiden Bibliotheken würden rund ums Lesen zahlreiche andere Aktivitäten angeboten, die «den Horizont erweitern und eine gegenseitige Befruchtung fördern», sagt Conrad.
Auf der einen Seite ermöglichten sie Ausländern, Bücher in ihrer Muttersprache zu lesen und so die eigene Kultur weiterzuentwickeln, auf der anderen Seite werde Schweizern die Möglichkeit geboten, andere Sprachen und Kulturen zu erkunden und unbekannte Welten zu erforschen.
Willkommener Nebeneffekt: Dieser Austausch nehme laut Conrad inzwischen auch zwischen den unterschiedlichen Sprachen und Kulturen der Schweiz zu.
Und der Erfolg gibt ihm recht: Das Buch ist offenbar nicht dem Untergang geweiht. «Das Aufkommen der digitalen Kultur trifft uns nicht. Wir betrachten das als Ergänzung.» Conrad fordert auf, «den Mythos, dass Kinder heute nicht mehr gerne lesen», abzubauen. «Wenn Eltern und Lehrer Kinder anleiten, sind sie mit Feuereifer dabei», fügt er hinzu.
Viel Freiwilligenarbeit, Politik steht abseits
«Im Moment ist die grösste Herausforderung, die Aufmerksamkeit der Politik zu finden», sagt Conrad. Er spricht die finanziellen Schwierigkeiten der Organisatoren an, ihr Angebot sicher zu stellen.
Die Tätigkeiten und Programme der VBOGS werden vor allem durch ehrenamtliche Tätigkeiten aufrechterhalten. Sie finanziert sich hauptsächlich durch den Verkauf gebrauchter Bücher. Die wenigen Gelder, die sonst hereinkommen, reichen kaum aus, um Fixkosten wie die Miete zu decken.
Begeisterung, Kreativität und Engagement der Freiwilligen hätten Wunder bewirkt. Aber der Geldmangel hänge immer wie ein Damoklesschwert über der Institution. So seien zum Bespiel jetzt, wegen Krankheit eines der Verantwortlichen, die Öffnungszeiten der Filiale Lugano reduziert worden, sagt Conrad.
Um einen Bücherprofi wie Conrad, der die Bibliothek in Bellinzona in Teilzeitarbeit leitet und viel Freizeit für die Promotion des Wissens und der Kultur verwendet, braucht es aber mehr, um aufzugeben.
Dank der Lehrerin Laura Raia, die einen grossen Teil ihrer Freizeit in die neue Bibliothek von Lugano investiert, hat die Institution einen Raum für Kleinkinder-Aktivitäten integrieren können. «In Bellinzona gibt es kein solches Angebot für diese Altersgruppe», sagt Conrad.
Die Bibliothek in Bellinzona ist UNAL (Unesco-Netzwerk der assoziierten Bibliotheken) angeschlossen. Dies bringt nicht nur Prestige, sondern bedeutet auch internationalen Austausch. So finden zurzeit Vorbereitungen statt für einen Bücheraustausch mit einem Gymnasium in Rumänien, sagt Conrad.
Zwar habe jede Bibliothek ihre Besonderheiten. Gemeinsam aber hätten alle ihre Lebendigkeit und Offenheit. Es seien Orte der Begegnung und des Austausches, wo das Buch ein Stück eines grossen sozialen und kulturellen Mosaiks sei.
1955 wurde der erste Unesco-Welttag des Buches und der Autorenrechte proklamiert.
Bezogen auf eine katalanische Tradition wurde der 23. April gewählt. In dieser spanischen Region wurde jedem, der am St. Georg-Tag ein Buch kaufte, eine Rose geschenkt.
Der 23. April ist der Todestag von Miguel Cervantes, William Shakespeare und Garcilaso de la Vega. Er fällt auch zusammen mit dem Geburtstag von Wladimir Nabokow und Halldor Laxness.
Ziel dieses Feiertages ist die Förderung des Lesens, der Verlagsbranche und des Schutzes des geistigen Eigentums.
In der Schweiz hat die Buchlobby Schweiz ihre Aktivitäten am Weltbuchtag aufgenommen. Von den Autorinnen und Autoren über Verlage und Buchhandlungen bis zu den Bibliotheken haben sich erstmals alle Beteiligten des Buchsektors zusammengeschlossen.
In der Schweiz veröffentlichen die rund 500 Verlage jährlich etwa 10’000 Bücher in allen Landessprachen.
Mit einem Umsatz von 2 Mrd. Franken ist der Bücher- und Literaturmarkt (ohne Druckereigewerbe) der wichtigsteSektorderKulturwirtschaft der Schweiz.
Die Buchhandlungen in der Schweiz verkaufen pro Jahr rund 40 Mio. Bücher und setzen damit rund 1 Mrd. Franken um. 80% der verkauften Bücher werden importiert.
Im Land gibt es rund 2500 Autorinnen und Autoren, die rund 1500 Bücher pro Jahr veröffentlichen.
Die über 5000 Bibliotheken des Landes stellen der Öffentlichkeit mehr als 50 Mio. Bücher zur Verfügung.
Forschungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass gut 40% der Erwachsenen in der Schweiz keine Bücher lesen.
(Quelle: Buchlobby Schweiz)
(Übersetzung und Adaption aus dem Italienischen: Etienne Strebel)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch