«Italienisch UND Französisch unter Druck»
Die italienische und französische Sprache bekunden Mühe, sich in der Bundesverwaltung zu behaupten. Der Bund versucht zwar, die Minderheitensprachen zu stärken, doch Fortschritte brauchen Zeit. Diese Entwicklung spiegelt die Gesamtsituation der Schweiz. Die viel beschworene Mehrsprachigkeit durchlebt Krisenzeiten.
Nicoletta Mariolini ist Delegierte für Mehrsprachigkeit in der Bundesverwaltung. Und in dieser Position ist sie privilegiert, die Sprachensituation beim Bundespersonal zu beurteilen. Ihr Urteil ist keineswegs beruhigend: «Angesichts der Dominanz der deutschen Sprache ist nicht nur das Italienische in der Bundesverwaltung unter Druck, sondern auch das Französische.»
Mariolini kommt zu diesem Schluss, obwohl die Erhebungen für das Jahr 2013, die am 14.März publiziert wurden, aufzeigen, dass der Anteil der französischsprachigen Bundesangestellten erstmals 21,5 Prozent erreicht hat und damit in der vorgegeben Spanne liegt, die von 21,5 bis 23,5 Prozent reicht.
Das neue Italienisch-Lehrbuch Capito? Comprendere l’italiano in Svizzera (Capito? Italienisch verstehen in der Schweiz) wurde von Elena Maria Pandolfi, Sabine Christopher und Barbara Somenzi verfasst.
Elena Maria Pandolfi und Sabine Christopher sind Mitarbeiterinnen des Sprachobservatoriums der italienischen Schweiz (OLSI).
Barbara Somenzi ist Dozentin an der Pädagogischen Hochschule Zürich. Der Band ist in sieben Kapital aufgeteilt. Dabei legen die Autoren besonderen Wert auf alltägliche und kulturelle Themen mit Blick auf die italienische Schweiz.
Bevor das Italienisch-Lehrbuch definitiv publiziert wurde (Januar 2014), wurde es durch Mitarbeitende des Eidgenössischen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) getestet.
Das Lehrbuch wendet sich insbesondere an Erwachsene mit Französischkenntnissen.
Der Band kann zum Selbststudium, aber auch für Sprachkurse eingesetzt werden. Entwickelt wurde das Lehrbuch vom Wissenschaftlichen Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit in Freiburg (KFM).
Die Bundesangestellten italiensicher Sprache erreichen 6,8 Prozent. Die vorgegebene Quote liegt zwischen 6,5 und 8,5 Prozent. «Wir stellen fest, dass im Eidgenössischen Finanzdepartement der Anteil Italienischsprachiger 10,6 Prozent beträgt, doch dies erklärt sich mit dem hohen Anteil von Bediensteten italienischer Sprache in der eidgenössischen Zollverwaltung.» In den Sprachendiensten der Bundeskanzlei erreicht der Anteil Italienischsprachiger sogar 20 Prozent.
«Wenn wir alle Daten der Bundesverwaltung anschauen, können wir feststellen, dass die Entwicklung – wenn auch langsam – in die richtige Richtung geht», sagt Mariolini. Noch seien die Sprachminderheiten aber in vielen Bereichen untervertreten. Die Revision der Sprachenverordnung sei ein willkommenes Element, um Gegensteuer zu geben.
«Generell ist aber festzuhalten, dass sich die Bundesverwaltung nicht von der gesamtschweizerischen Realität unterscheidet. Es liegt an unserem Land, der Mehrsprachigkeit Rechnung zu tragen. Es bräuchte mehr Austausch und Offenheit gegenüber anderen Sprachen!», sagt die Sprachendelegierte.
Lernen von Sprache und Kultur
Trotzdem sollte gerade die Bundesverwaltung in Bezug auf Mehrsprachigkeit und die Förderung von Fremdsprachen mit gutem Beispiel vorangehen.
Gemäss der Linguistin Elena Maria Pandolfi vom Sprachobservatorium der italienischen Schweiz (OLSI), Co-Autorin des neuen Italienisch-Lehrbuchs Capito? Comprendere l’italiano in Svizzera (Italienisch verstehen in der Schweiz) sollte die Verwendung der drei Landessprachen in der Bundesverwaltung eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. «In Wirklichkeit ist das leider nicht der Fall», sagt sie. Und dies, obwohl die Mehrsprachigkeit seit 2010 durch das neue Sprachengesetz geschützt wird.
Das neue Lehrbuch könne einen Beitrag zur Verbesserung der Situation leisten, ist sie überzeugt. «Dieses Lehrbuch ist ein hilfreiches Instrument, um Italienisch in unterschiedlichen Alltagssituationen einzusetzen, und gleichzeitig einen Beitrag für die sprachliche Vielfalt der Schweiz», sagt Pandolfi. Die Schweizer Sprachvielfalt sei etwas Aussergewöhnliches und müsse unbedingt erhalten bleiben.
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Schmelztiegel
Italienisch für Bundesangestellte
Das neue Lehrbuch wurde von Paolo Malinverno mit Bundesangestellten versuchsweise eingesetzt, bevor die definitive Version in Druck ging. Malinverno ist Übersetzer und Italienischlehrer beim Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation in Bern (UVEK). In Bezug auf Italienischunterricht für die Spitzen der Bundesverwaltung ist er ein Pionier. «Wir führen jedes Jahr Kurse durch – 70 Prozent des Personals nimmt teil», erzählt er.
Es war seine Idee, am UVEK eigene Italienischkurse anzubieten. Diese Idee kam ihm, als vor einigen Jahren Moritz Leuenberger diesem Departement vorstand. «Er sprach eigentlich gut Italienisch, war aber zu scheu, diese Sprache in der Praxis einzusetzen», so Malinverno.
Im vergangenen August testete er das neue Lehrbuch. «Es ist für Personen gedacht, die gut Französisch können, und es wurde sehr geschätzt», bilanziert er.
Die Italienischkurse bei der Bundesverwaltung wurden vom Wissenschaftlichen Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit in Freiburg (KFM) in Zusammenarbeit mit der Universität der italienischen Schweiz konzipiert. Diese Kurse sind Teil einer Strategie, um die Sprachkompetenzen bei den Bundesangestellten zu erhöhen.
Italienisch und Französisch verlieren kontinuierlich an Bedeutung in der deutschen Schweiz. Noch gravierender ist die Situation für das Rätoromanische, das auch in seinen eigenen Stammlanden bedroht ist.
Um die rätoromanische Sprache zu stärken, soll nun – analog zum Italienischen – ein Lehrbuch erscheinen. Im Gegensatz dazu wird Rumantsch receptiv nicht als gedrucktes Buch publiziert werden, sondern einzig in einer Online-Version verfügbar sein.
Es soll ab Ende 2014 gratis zur Verfügung stehen, wie Projektleiterin Amelia Lambelet vom Kompetenzzentrum für Mehrsprachigkeit erklärt. Das Projekt entsteht unter Federführung des KFM in Zusammenarbeit mit der Pädagogischen Hochschule Graubünden.
Schweizer Mehrsprachigkeit in der Krise
Der Tessiner Erziehungsdirektor Manuele Bertoli, der das «Forum zur Verteidigung der italienischen Sprache in der Schweiz» präsidiert, ist trotz dieser Anstrengungen überzeugt, «dass sich nicht nur die italienische Sprache, sondern die Mehrsprachigkeit als solche in einer Krise befindet». Die Schweiz habe vor Jahrhunderten entschieden, aus mehreren Sprachregionen eine politische Einheit zu bilden, doch bekunde sie heute Mühe, diese Mehrsprachigkeit konkret umzusetzen.
Bertoli ist überzeugt, dass das Italienische unter den jüngsten Entwicklungen am meisten leidet. Das zeigen seiner Meinung nach Entscheide einiger Gymnasien und Kantonalschulen, beispielsweise in den Kantonen Aargau und Graubünden, an denen Englisch oder auch Spanisch im Lehrangebot dem Italienischen vorgezogen werden.
«Auch die Westschweizer haben verstanden, dass es ein Problem gibt und der Kampf für die mehrsprachige Schweiz schwierig ist», betont der Tessiner Erziehungsdirektor. «Aber leider redet sogar die Konferenz der Schweizerischen Erziehungsdirektoren diese Entwicklung klein.»
Bertoli ist der Auffassung, dass es Instrumente gibt, um die Minderheitensprachen in der Schweiz, insbesondere das Italienische, stärker zu schützen und zu fördern: «Das Forum für die Verteidigung des Italienischen in der Schweiz hat sich konkrete Ziele gesetzt. Und wir arbeiten daran, diese zu erreichen.»
Er versucht insbesondere, seine Kollegen in anderen Kantonen davon zu überzeugen, Italienisch als Lehrfach in den Kantonalschulen zu belassen. «Man muss auch noch mehr für den Schüleraustausch zwischen den verschiedenen Sprachregionen tun», ist Bertoli überzeugt. Dieser Kampf für eine lebendige Mehrsprachigkeit in der Schweiz dürfe nicht verloren werden.
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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