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«Jedes Bild hier ist ein Stück meiner Seele»

Angela Rosengart und Picassos Angela Rosengart. swissinfo.ch

Nach dem Kunstraub in Zürich komme ihr die Bührle-Sammlung, aus der die Bilder gestohlen wurden, wie eine Mauer mit Löchern vor, sagt die Kunstsammlerin Angela Rosengart.

Theorien, wonach ein Kunstsammler hinter dem Raub eines Cézanne, eines van Gogh, eines Degas und eines Monet im Wert von 180 Mio. Franken stehe, seien wenig plausibel, sagt Rosengart gegenüber swissinfo.

Angela Rosengart, die wie zuvor ihr Vater im Kunsthandel tätig ist, vermachte ihre Sammlung von Werken Picassos, Braques und Klees vor einigen Jahren einem Museum in Luzern.

Dieses trägt ihren Namen und ist in einer früheren Niederlassung der Schweizerischen Nationalbank untergebracht. swissinfo hat sie im einstigen Sitzungszimmer getroffen.

swissinfo: Wie war Ihnen zumute, als Sie vom Kunstraub in der Bührle-Sammlung hörten?

Angela Rosengart: Zuerst erschrak ich und war sehr traurig, denn diese Bilder sind Kunstgeschichte. Die Bührle-Sammlung ist eine grossartige Kunstsammlung. Jedes Objekt wurde von Herrn Bührle selbst ausgewählt.

Nun ist die Sammlung wie eine Mauer mit Löchern. Die Mauer ist unvollständig, weil die gestohlenen Werke einen extrem wichtigen Teil der Sammlung ausmachen. Ich kann nur hoffen, dass sie wieder auftauchen.

swissinfo: Es war der zweite grosse Kunstraub in der Schweiz innerhalb einer Woche, nachdem zuvor in der Nähe von Zürich zwei Picassos gestohlen wurden. Fürchten Sie, dass das gleiche auch in Ihrer Sammlung in Luzern passieren könnte?

A.R.: Es besteht immer ein Risiko, dass es jemand versuchen könnte. Ich glaube aber nicht, dass es hier im Museum so leicht wäre wie bei den anderen Sammlungen. Aber natürlich muss man Vorkehrungen treffen.

swissinfo: War Sicherheit schon früher ein Thema für Sie? Sie hatten Ihre Sammlung zuhause.

A.R.: Zuhause war es anders. Alles war in einem kleinen Haus und ich passte auf, dass niemand von meiner Sammlung erfuhr. Hier im Museum ist es gerade umgekehrt. Ich lasse so viele Leute wie nur möglich von ihrer Existenz wissen.

Als wir das Museum vor sechs Jahren eröffneten, taten wir alles, um Diebstahl unmöglich zu machen. Sicherheit ist sehr wichtig geworden, und ich hoffe, dass sie funktioniert.

swissinfo: Was würde es für Sie bedeuten, wenn einer der hier hängenden Picassos oder Klees gestohlen würde?

A.R.: Jedes Bild hier ist ein Stück meiner Seele. Ich wäre verzweifelt, wenn etwas weg käme. Mein Vater und ich haben die Sammlung mit dem Herzen aufgebaut, zwar nicht mit der Idee, eine Sammlung zu schaffen, aber doch als ein Ganzes.

swissinfo: Es gab Spekulationen, dass hinter dem Bührle-Raub ein Sammler stecken soll. Ist das glaubwürdig?

A.R.: Ich glaube, das ist eher eine romantische Geschichte. Da stecken Kriminelle dahinter und nicht jemand mit einer Leidenschaft für Kunst. Da bin ich absolut sicher.

swissinfo: Der Wert der gestohlenen Bilder ist extrem hoch, 100 Millionen Franken allein für den Cézanne. Wie kommt es zu solchen Preisen für Gemälde?

A.R.: Es gibt Leute, die reich genug sind, um solche Summen zu bezahlen. Der einzige Weg, einen Wert für diese Gemälde festzulegen, ist eine Auktion. In den letzten Jahren gab es Auktionswerte, die nahe an diese Summe herankamen. Natürlich standen keine so wichtigen Werke von Cézanne zum Verkauf an, aber es gab andere Werke des Künstlers auf dem Markt.

Wahrscheinlich war es der Wert dieser anderen Bilder, die halfen, den Wert des gestohlenen Cézanne zu schätzen. Es ist eine schöne, runde Summe, die ebenso gut 80 oder 110 Millionen hätte sein können. Das Problem ist, dass es für ein Kunstwerk kein Preisschild gibt wie für einen Laib Brot.

swissinfo: Ist 100 Millionen Franken ein Preis der Leidenschaft oder ein Preis für eine Trophäe?

A.R.: Wahrscheinlich beides. Heutzutage wird mit Kunst viel spekuliert, was ich schade finde, denn meiner Meinung nach gibt es weltweit kein Kunstwerk, das 100 Millionen Franken wert ist. Ich hoffe, dass das Spekulieren in ein paar Jahren wieder abnimmt, und dass auch Leute, die weniger Geld haben und die Kunst wirklich lieben, etwas davon erwerben können.

swissinfo: Was würden Sie tun, wenn Ihnen jemand 100 Millionen Franken gäbe, um den Cézanne zu kaufen?

A.R.: Wenn das Geld nur für den Cézanne wäre, würde ich ihn wahrscheinlich kaufen, denn es ist ein wunderbares Bild. Aber ich würde mich wohl immer fragen, was man in der Welt alles tun könnte mit so viel Geld – etwa Leuten in der Schweiz und im Ausland zu helfen. Es wäre ein Dilemma für mich.

swissinfo: Preise an Kunstauktionen brechen alle Rekorde. Ist Sammeln jetzt ein Geschäft, eine rein finanzielle Angelegenheit, oder gibt es immer noch Raum für Leidenschaft?

A.R.: Es ist zu einer Art Geschäft geworden. Die Summen sind beängstigend. Es muss auch mit Leidenschaft zu tun haben, doch Spekulation spielt eine grosse Rolle. Viele Leute, die schnell zu Geld gekommen sind, geben es auch schnell wieder aus, und das ist gefährlich.

Die leidenschaftlichen Sammler können keine Kunst mehr kaufen. Ich selbst kann nicht mehr mithalten. Ich gehe an Auktionen, schaue zu, aber ich kann keine Bilder mehr kaufen. Ich suche Qualität, doch die ist so teuer geworden, dass ich nichts mehr tun kann, als zu beobachten.

swissinfo-Interview: Scott Capper, Luzern
(Übertragung aus dem Englischen: Susanne Schanda)

Das Museum Rosengart wurde 2002 eröffnet. Es enthält die persönliche Sammlung von Angela Rosengart, über 200 Werke, darunter 47 von Picasso und 120 von Paul Klee.

Weitere Künstler des Museums sind Bonnard, Cézanne, Chagall, Kandinsky, Matisse, Miró, Modigliani, Monet, Pissarro, Renoir, Signac und Vuillard.

Rosengart entschloss sich 1992, ihre Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, und gründete eine Stiftung, um deren Weiterbestehen nach ihrem Tod sicherzustellen.

Im Mai wird das Museum vergrössert. Dann kommt eine Serie von Picasso-Werken, die Rosengart und ihr Vater 1978 der Stadt Luzern aus Anlass des 800. Geburtstag geschenkt haben, in die Sammlung.

Angela Rosengart wurde 1932 in Luzern geboren, wo sie auch heute lebt.

Bereits im Alter von 16 Jahren war sie im Kunsthandel aktiv, als sie für ihren Vater Siegfried arbeitete. Später wurde sie Mitbesitzerin des Familiengeschäfts. Ihr Vater starb 1985 und überliess ihr allein die Leitung.

Während ihrer Karriere konzentrierte sie sich auf die klassische Moderne. Sie war eine persönliche Freundin einiger der Künstler, unter ihnen Picasso, der sie fünf Mal malte.

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