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Kantone müssen Schulsysteme harmonisieren

Nicht nur Harmonisierung, sondern auch Qualitätsverbesserung in der Schule wird von "HarmoS" angestrebt. Keystone

In einem kleinen Land wie der Schweiz gibt es genauso viele Schulsysteme wie Kantone, nämlich 26. Dieser Anachronismus soll nun ein Ende finden.

Nach debattenreichen Jahren haben sich die kantonalen Erziehungs-Direktoren geeinigt, ein Konkordat zur «Harmonisierung der obligatorischen Schule» zu bilden. Fremdsprachen und Primarschullänge gehören dazu.

Schluss mit den Religionskriegen zur zweiten Fremdsprache, Schluss mit den schulischen Hindernissen beim Umzug zwischen den Kantonen. Kurzum: Schluss mit den kantonalen Eitelkeiten. Die kantonalen Erziehungsdirektoren haben – unter dem Druck des Bundes – endlich einen konkreten Schritt zur Harmonisierung der Schulsysteme gemacht.

Gut 30 Jahre nach der Verabschiedung eines Konkordats, das nie konkretisiert wurde, hat die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) vor kurzem ein Projekt vorgelegt, das grobe Unterschiede zwischen den Kantonen beseitigt und einheitliche Standards in der schulischen Ausbildung garantiert.

Blockzeiten und einheitliche Lernziele

Gemäss dem vorgelegten Projekt namens «HarmoS» wird der Kindergarten beziehungsweise die Vorschule (Eingangsstufe) in der ganzen Schweiz mit dem vierten Lebensjahr obligatorisch. Der relativ späte Schulbeginn im geltenden System wird unter anderem für das enttäuschende Abschneiden der Schweizer Schüler bei der PISA-Studie verantwortlich gemacht.

Der erste Primarschulabschnitt, inklusive Kindergarten, wird überall acht Jahre dauern. Danach sind drei Jahre Sekundarstufe vorgesehen. Die Unterrichtszeit wird in Blockzeiten organisiert. Die Kantone müssen zudem für ein «bedarfsgerechtes Angebot» an Tagesstrukturen wie Mittagstisch oder Aufgabenhilfe sorgen.

Auch die Lerninhalte und Lehrpläne sollen an nationale Standards angepasst und untereinander angeglichen werden. Es wird vorgeschrieben, was Schülerinnen und Schüler einer bestimmten Klassenstufe als Lernziel erreichen müssen.

Ein historisches Erbe

Ein Projekt zur Harmonisierung des Schweizer Schulwesens wird schon lange erwartet. Seit der Gründung der modernen Eidgenossenschaft 1848 war die öffentliche Schulbildung stets Aufgabe der Kantone. In einem Land mit vier Landessprachen galt dieses extrem föderalistische System auch als Schutz für die sprachlich-kulturellen Minderheiten im Land.

Doch in jüngster Zeit ist dieses Modell immer mehr zu einer Last geworden. Ein Umzug mit Kantonswechsel ist für Familien und Schüler ein enormes Problem. Und die interne Mobilität steigt. Der Mangel an Tagesschulen ist zudem für viele Frauen ein unüberwindbares Hindernis, berufstätig zu werden.

Ausserdem erschwert das zerfranste Schulsystem alle Anstrengungen zur Vereinheitlichung der schulischen Eingliederung junger Ausländer. Auch die Erarbeitung eines Konsenses bei der Wahl einer zweiten obligatorischen Fremdsprache in der Schule ist unter diesen Umständen fast unmöglich.

Einige Kantone räumen den nationalen Sprachen Priorität ein, um die Verständigung zwischen den Sprachgruppen in der Schweiz zu fördern; andere Kantone setzen ganz auf das Englische.

Bund schreitet ein

Auf Grund des jahrelangen Widerstands der Kantone, ihre Schulsysteme untereinander zu harmonisieren, ist der Bund aktiv geworden. Ein neuer Verfassungsartikel, über den am 21. Mai 2006 abgestimmt wird, gibt dem Bund die Möglichkeit zum Eingreifen, wenn sich die Kantone punkto Harmonisierung nicht einigen können. Die Kantone müssen ihrerseits einen Teil ihrer Kompetenzen im Bildungsbereich abtreten.

So soll in der Schweiz ein einheitlicher Bildungsraum geschaffen werden. «Das Projekt, das sich jetzt in der Vernehmlassung befindet, basiert auf dem Prinzip der Subsidiarität. Das Konkordat legt einheitliche Lernziele und Qualitätsstandards fest, aber die Kantone und Sprachregionen besitzen in Bezug auf Didaktik und Pädagogik grosse Freiheiten», hält EDK-Sekretär Olivier Maradan fest.

«Wenn HarmoS eingeführt wird, können wir auch den Streit um die zweite Fremdsprache beilegen», meint Maradan. Eine erste Fremdsprache soll in der 3. Primarklasse (nach altem System) und eine zweite in der 5. Klasse eingeführt werden. Was zuerst gelernt wird, eine zweite Landessprache oder Englisch, legt die Vereinbarung nicht fest.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Die Erziehungsdirektoren-Konferenz (EDK) hat vor kurzem ihr Projekt zur «Harmonisierung der obligatorischen Schule (HarmoS)» vorgestellt.
Dieses Projekt ist in die Vernehmlassung geschickt worden. Es könnte ab dem Jahr 2009 umgesetzt werden.
Zur Umsetzung bedarf es einer Zweidrittelsmehrheit der EDK-Mitglieder. Ausserdem müssen mindestens 10 Kantonsparlamente ihren Segen geben.

In der föderalistischen Schweiz unterstehen die öffentlichen Schulen der Hoheit der jeweiligen Kantone.

Alle Versuche einer Harmonisierung der 26 unterschiedlichen Schulsysteme scheiterten bisher am Widerstand der Kantone.

Am 21.Mai 2006 muss sich das Schweizer Volk zu einer Verfassungsänderung äussern, den so genannten Bildungsrahmenartikel, der auf eine landesweite Harmonisierung des Schulunterrichts drängt.

Im Falle einer Annahme dieses Artikels kann der Bund notfalls einschreiten, wenn die Kantone sich nicht auf eine einheitliche Lösung einigen.

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