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Keine Rezession bei Festivals

Die Sommerfestivals ziehen alljährlich hunderttausende Zuschauer an. Keystone

Wieder steht der Schweiz ein heisser Festivalsommer bevor. Der Kartenvorverkauf hat alle Rekorde geschlagen.

Höchstens die Infrastrukturen können der sommerlichen Fülle von Tönen, Tänzen und Farben noch Grenzen setzen.

Seit zehn Jahren entwickelt sich die Industrie der Sommerfestivals in buchstäblich spektakulärer Weise.

Nach einigen finanziellen Debakeln in den 80er- und 90er-Jahren, die vor allem der Unerfahrenheit der Veranstalter zuzuschreiben waren, werden die Musikfestivals nun von Profis organisiert, die über einen gesunden Geschäftssinn verfügen.

Das Kontaktnetz mit den Agenten der Musiker, die Abgewogenheit der Programme und die Suche nach Sponsoren: Das ganze Showgeschäft wird immer mehr nach Managementkriterien abgewickelt.

Das Einzige, was die Manager nicht unter Kontrolle haben, ist das Wetter. Aber sogar dieser Risikofaktor ist nicht allzu hoch, denn die meisten Karten sind im Allgemeinen einige Wochen vor der Eröffnung der Openairs bereits verkauft.

Jeder Stil hat sein Publikum

Die Schweiz hat die wahrscheinlich grösste Dichte an Musikfestivals in Europa. Aber die wachsende Konkurrenz unter den verschiedenen Anlässen scheint im Moment keine Probleme zu bieten.

«Noch hat es Platz für alle Festivals», bestätigt denn auch Jacques Mennier, der für das Programm des Paléo von Nyon verantwortlich ist. Mit durchschnittlich 200’000 Zuschauerinnen und Zuschauern ist das Paléo das grösste Festival der Schweiz und eines der fünf grössten in Europa.

Die Festivals haben also noch alle nebeneinander Platz. Nicht so das Publikum: Mitte Mai, einige Tage nach der Eröffnung des Ticketvorverkaufs, waren zum Beispiel drei der sechs Paléo-Tage bereits ausverkauft.

Den gleichen Erfolg kann auch das immer vielseitigere Jazzfestival von Montreux verbuchen. Auch da sind mehrere Abende schon ausverkauft.

«Es ist interessant, dass alle angebotenen Musikstilarten auf riesigen Anklang stossen: Jazz, Rock, Pop, Soul, Hip Hop und sogar deutsche Musik», bemerkt Dominique Saudan, der Medienverantwortliche dieses anspruchsvollen Festivals, das jedes Jahr durchschnittlich 90’000 Personen anzieht.

«In einigen Tagen werden wir die Schalter schliessen können», kündigt auch Tom Metzger an. Mit 45’000 verkauften Eintrittskarten hat sein Gurtenfestival in Bern den letztjährigen Rekord noch geschlagen.

Lust auf Unterhaltung

Die Veranstalter können sich die Gründe dieses Erfolgs, abgesehen vom sehr guten Angebot, kaum erklären. Denn auch dieses Jahr werden einige Musikgrössen nur ein paar Kilometer voneinander entfernt auftreten.

«Zahlreiche Schweizer Festivals haben heute Tradition und verfügen im Ausland über einen ausgezeichneten Ruf», erklärt Jacques Mennier.

Im Übrigen verbringen wegen der Wirtschaftskrise und der Angst vor dem Fliegen – Krise in Nahost, Terrorismus und SARS – vermutlich viele Leute in der Schweiz und in Europa ihre Ferien diesmal zu Hause oder fahren jedenfalls nicht weit weg.

«Die letzten zwölf Monate waren wegen der internationalen Spannungen schwierig», erklärt Dominique Saudan. «Jetzt haben die Leute vielleicht einfach Lust auf etwas Unterhaltung.»

Und Tom Metzger schliesslich glaubt, dass es viele Leute gibt, «die auf den Kauf einer CD verzichten und dafür lieber einige unvergessliche Momente an einem Festival geniessen».

Auch klassische Musik

Die Zahlen jedenfalls sprechen für sich. Sogar die kleineren Anlässe wie die Open Airs von Gampel, Zofingen, St. Gallen oder Avenches ziehen zwischen 30’000 und 50’000 Personen an.

Aber auch neue Festivals wie das Live at Sunset in Zürich haben keine Schwierigkeiten, Künstlerinnen und Künstler und vor allem ihr Publikum zu finden.

Die klassische Musik liegt ebenfalls im Trend. So zog die Oper Aida Mitte Juni an zwei Abenden im St. Jakobsstadion in Basel über 50’000 Personen in ihren Bann.

Und dabei haben wir noch nicht von den verschiedenen Gratisspektakeln in den grossen Agglomerationen des Landes gesprochen. Bereits an den ersten sommerlichen Anlässen, der Fête de la musique in der Romandie und dem Festival Caliente in Zürich, fanden sich einige hunderttausend Leute ein.

Die Grenzen der Infrastrukturen

Ausser den beiden Grossanlässen in Nyon und Montreux dauern die Festivals meist drei Tage, im Allgemeinen am Wochenende. Eine längere Dauer würde sicher grössere Risiken bergen.

Grenzen jedenfalls scheint diese Fülle von Tönen, Tänzen und Farben keine zu kennen. Oder fast keine. Das Publikum strömt in immer grösseren Massen herbei, zahlreiche Veranstaltungen scheinen nun aber an ihre Grenzen zu stossen.

So dürfte es mit dem raschen Anwachsen im musikalischen Showbusiness wohl bald vorbei sein. Vor allem wegen der begrenzten Infrastrukturen.

«Im Vergleich zu anderen Ländern haben wir heute keine Stadien, die genug Platz bieten für wirklich grosse Anlässe», klagt André Bechir, Leiter von Good News, dem grössten Festival- und Konzertveranstalter der Schweiz.

Nicht einmal die vier für die Fussball-EM von 2008 vorgesehenen Stadien sind gross genug. Bei einer relativ tiefen Besucherzahl würden die Tickets viel zu teuer.

«Und vor allem sind die neuen Stadien nicht wirklich multifunktionell», so Bechir weiter. «Sie werden fast ausschliesslich für den Sport gebaut. Sie wären viel rentabler, wenn sie auch für andere Anlässe wie Konzerte konzipiert würden.»

Nach Ansicht der führenden Konzertagentur der Schweiz, die nach jahrelangem Kampf endlich ein neues gedecktes Stadion in Zürich erhielt (Hallenstadion), haben die politischen und wirtschaftlichen Kreise der Schweiz die soziale, kulturelle und auch wirtschaftliche Bedeutung der grossen Musikanlässe noch nicht begriffen.

swissinfo, Armando Mombelli
(Übertragung aus dem Französischen: Charlotte Egger)

200’000 Personen am Paléo Festival von Nyon 2002
90’000 Personen am Jazzfestival von Montreux
60’000 Personen am Blue Balls von Luzern.
Zwischen 30’000 und 50’000 Personen an den kleineren Festivals (Avenches, Gurten, Zofingen…)

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