Kimonos erzählen die japanischen Kriegsgeschichte
Die Villa des Kunsthändlers Wolfgang Ruf am Ufer des malerischen Vierwaldstättersees im Herzen der Schweiz birgt einen überraschenden Schatz: Über 200 Kimonos voller martialischer Szenen, die ein halbes Jahrhundert japanische Kriege reflektieren.
«Als ich das erste Mal einen Katalog von Kimonos mit Sujets aus den Kriegen in den Händen hielt, war ich sofort fasziniert, es war wie Liebe auf den ersten Blick «, erzählt Wolfgang Ruf.
Als gebürtiger Deutscher habe er im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg stets Schuldgefühle gehabt. «Für mich ist es unmöglich, diese Kleidungsstücke zu tragen, also beschloss ich, sie zu sammeln», sagt der 63-jährige Kunstsammler und -händler aus Beckenried bei Luzern.
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Die Philosophie des Kimono-Tragens vermitteln
Eine veritable Enzyklopädie
Die Sammlung hat er in den letzten drei Jahren zusammengetragen. Jagdflugzeuge, Schlachtschiffe, der Angriff von Pearl Harbor: Die Zeichnungen sind so detailliert, dass Ruf die Kimonos als «veritable Enzyklopädie der japanischen Kriegswaffen» bezeichnet.
Die Sujets würden auch Rückschlüsse auf sein Heimatland ermöglichen, sagt Ruf, auf ein Flugzeug zeigend. «Die Aufschrift ‹D-U KYM› auf dem Flügel verrät, dass es sich um eine deutsche Maschine handelt, die Hitler an Japan geliefert hatte. Ich konnte dies anhand meiner Recherchen im Internet bestätigen.»
Wolfgang Ruf gehört zu den bedeutendsten privaten Sammlern von historischen Kostümen und Stoffen des 18. bis 20. Jahrhunderts. Jüngst hat er zusammen mit seinem Schweizer Kollegen Martin Kamer rund 400 Exponate an das Los Angeles County Museum of Art verkauft. Zudem war die Sammlung Kamer/Ruf im Frühling in einer Wanderausstellung in Paris zu sehen, die grosse Beachtung fand.
«Historische Kleidungsstücke sind an sich schön, aber sie erzählen auch etwas über den sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Kontext, in dem sie getragen wurden», sagt Wolfgang Ruf.
Der Kimono war die Alltagsbekleidung in Japan bis Ende der Taisho-Zeit (1912-26). Seit Ende des II. Weltkriegs wird er bei feierlichen Gelegenheiten wie der Tee-Zeremonie oder zum Neujahrsfest getragen.
Auf Frauen-Kimonos dominieren Motive aus der Natur wie Blumen, Vögel, Landschaften, Wolken und Schnee.
Professorin Yoshiko Inui unterscheidet bei den martialischen Kimonos für Männer zwischen drei Epochen:
Chinesisch-japanischer Krieg (1894-95)
Weil keine Fotodokumente existieren, war bei den Zeichnern der Kimonos Fantasie gefragt.
Russisch-japanischer Krieg (1904-05)
Grundlage für jene Kimonos bildeten die zahlreichen Fotografien und Postkarten aus diesem Konflikt. Einen Einfluss übte auch der Jugendstil aus, der damals die Insel von Europa herkommend erreicht hatte.
II. Chinesisch-japanischer und Pazifikkrieg (1937-45)
In der Taisho-Zeit (1912-26) etablierte sich ein eher kindlicher Stil (Doga), in dem Soldaten als sehr junge Burschen gezeichnet wurden.
Ab 1920 finden sich zudem sehr detailgetreue Darstellungen von Panzern, Flugzeugen und Kriegsschiffen.
Traditionelle Zurückhaltung
Yoshiko Inui, Professorin an der Tokai-Universität Sapporo, befasst sich seit dem Jahr 2000 mit martialischen Kimonos. Über ihre Sammlung, die heute 500 Stück zählt, hat sie ein Buch geschrieben.
Kriegs-Kimonos seien zwischen 1894 und 1942 hergestellt worden, sagt die Expertin. In diesen 50 Jahren habe es drei Kriege gegeben: Den chinesisch-japanischen Krieg (1894/95), den russisch-japanischen von1904/05 sowie den Krieg im Pazifik (1937 bis 1945).
Kriegsmotive finden sich ausschliesslich auf Kimonos für Männer. Die kriegerischen Motive waren aber nicht sichtbar, sondern auf dem «Juban» angebracht, einer Art Unter-Kimono, oder auf der Innenseite des «Haori». Dies ist eine Art Weste, meist aus schwarzer Seide. Diese Diskretion sei der Ästhetik der traditionellen Kultur des Kimonos geschuldet, sagt Inui.
Anders dagegen sah es bei den Kimonos für Knaben aus: Hier waren die Kriegsszenen gut sichtbar, weil auf der Aussenseite angebracht.
Über die Bedeutung dieser Kleidungsstücke haben weder Yoshiko Inui noch Wolfgang Ruf genauere Anhaltspunkte gefunden. «Es gibt kaum Fotos, die Männer in solchen Kimonos zeigen. Deshalb weiss man kaum etwas darüber, bei welchen Anlässen sie getragen wurden», so Ruf.
In der Frage, ob der martialische Kimono propagandistische Zwecke erfüllen musste, herrscht deshalb ein gewisser Zwiespalt. «Die Tatsache, dass es nur sehr wenige ‹Beweise› für die tatsächliche Verwendung gibt, zeigt, dass diese Motive sehr beliebt, wenn nicht gar banal waren, wie es Spielzeuge oder Tiere waren», folgert Yoshiko Inui.
Knaben als künftige Soldaten
Auch hätten die Behörden Japans keine Aufträge erteilt, solche Kriegs-Kimonos zu produzieren. «An deren Ursprung standen die Hersteller, die von den neuen technologischen Möglichkeiten zur Kleider-Fabrikation fasziniert waren, sowie die Kunden, die an diesen Neuerungen interessiert waren.»
Inui weist aber darauf hin, dass damals die Knaben zu künftigen Soldaten erzogen worden seien, wie zu jener Zeit die gesamte Gesellschaft in die Kriegs-Propaganda eingespannt worden sei.
Ein Kimono für Knaben aus der Sammlung Ruf zeigt japanische Soldaten bei der Besetzung einer Insel im Pazifik. Dabei werden sie von einheimischen Kindern, die japanische Fähnchen schwenken, begrüsst. «Mit unserem heutigen Blick ist das einigermassen schockierend. Zweifellos aber war die damalige Bevölkerung so indoktriniert, dass sie die Besetzung für gerechtfertigt hielt und als Hilfe für die Inselbewohner einstufte.»
Repräsentativer Querschnitt
Ruf sucht nun für seine Sammlung einen Käufer, der bevorzugt aus Europa stammen soll. Er wäre aber auch bereit, in die USA verkaufen.
Die Kimonos mit den Kriegsszenen bildeten einen Ausgangspunkt zum besseren Verständnis von Japans Kriegsgeschichte, ist Ruf überzeugt.
«Die Sammlung ruft Staunen hervor und weckt Emotionen. ‹Was ist denn das?›, fragen die Leute und beginnen, Fragen zu stellen zur technologischen, politischen und wirtschaftlichen Situation in jener Epoche. Darin liegt die Stärke historischer Kleidung, insbesondere der Kriegs-Kimonos.»
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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