Eine alte Dame zu Besuch bei den Hyänen
Friedrich Dürrenmatts berühmtes Theaterstück "Der Besuch der alten Dame" wurde mehrfach auf die grosse Leinwand gebracht. Aber die treueste - und vielleicht erstaunlichste - Adaption kommt aus Afrika, mit dem Film "Hyènes" des senegalesischen Regisseurs Djibril Diop Mambéty.
Die Handlung des 1992 erschienenen Films spielt in Colobane, einer kleinen Stadt im Sahel, die von Armut gezeichnet ist. Doch das Elend könnte bald ein Ende haben, dank Linguère Ramatou, einer Frau aus der Gegend, die extrem reich geworden ist und nach dreissig Jahren an den Ort zurückkehrt, an dem sie geboren wurde.
Linguère Ramatou offeriert der Gemeinde die schwindelerregende Summe von 100 Milliarden CFA-Francs (damals entsprach das rund 500 Millionen Schweizer Franken). Aber dieses «Geschenk» kommt mit einer schrecklichen Bedingung: dem Tod von Dramaan Drameh, des örtlichen Lebensmittelhändlers.
Es ist ein Akt der Rache. Dreissig Jahre zuvor hatte der Mann Linguère Ramatou verlassen, nachdem er sie geschwängert hatte. Abgewiesen und nicht in der Lage, Gerechtigkeit zu erlangen, wurde sie aus Colobane vertrieben.
Die Bevölkerung ist zunächst empört und lehnt den Vorschlag ab. Doch mit der Zeit ändert sich ihre Einstellung gegenüber dem Lebensmittelhändler. Schliesslich wird der Krämer getötet und das versprochene Geld ausbezahlt.
Getreue Adaption
Die Geschichte wird dem europäischen Publikum vertraut vorkommen, auch wenn es mit dem afrikanischen Kino nicht sehr vertraut ist. «Hyänen» basiert nämlich auf dem berühmten Theaterstück von Friedrich Dürrenmatt «Der Besuch der alten Dame».
Im Gegensatz zu anderen Verfilmungen blieb Djibril Diop Mambéty (1945-1998) sehr nah an der Vorlage, vor allem was den Text betrifft. Und wie das Theaterstück ist auch der Film in drei Akte unterteilt, wobei die Übergänge durch zwei Überblendungen in Schwarz markiert werden.
Für diese Adaption arbeitete der senegalesische Regisseur eng mit Friedrich Dürrenmatt zusammen. Das Ergebnis hat der 1990 verstorbene Dürrenmatt nie sehen können: Als «Hyènes» 1992 bei den Filmfestspielen in Cannes präsentiert wurde, liess Djibril Diop Mambéty in Erinnerung an den Schweizer Autor einen Platz neben sich frei.
Gleich, aber anders
Während die Handlung sehr ähnlich ist, gibt es ein paar wesentliche Unterschiede zwischen dem Theaterstück und dem Film.
Da ist natürlich die Änderung des Kontextes: Das kleine europäische Dorf im Stück wird zu einem afrikanischen, wo auch die lokalen Trachten neu interpretiert werden. Augenscheinlich unterschiedlich sich auch die Bräuche. Zum Beispiel wird der Lebensmittelhändler zum Elefantenfriedhof gebracht, um von Eingeweihten beurteilt zu werden, die das Angebot der alten Dame annehmen. Der senegalesische Regisseur entschlackt deren Charakter und macht sie etwas weniger extravagant als im Theaterstück.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass Djibril Diop Mambéty auch ein grosser Fan von westlichen Filmen war. Filmfreunde werden in «Hyènes» sicherlich einige Anspielungen auf den amerikanischen Western erkennen, insbesondere auf Fred Zinnemanns berühmten Film «High Noon».
Wer sind die Hyänen?
Djibril Diop Mambéty starb 53-jährig an Krebs und hinterliess ein vom Umfang her bescheidenes Werk: Abgesehen von ein paar Kurzfilmen führte er nur bei zwei Spielfilmen Regie. Dieses Œuvre stellte ihn dennoch in das Firmament des afrikanischen Kinos.
In seiner Arbeit verteidigt der senegalesische Regisseur die bescheidenen Menschen gegen die Mächtigen. Er bringt auch die Desillusionierung gegenüber den neuen afrikanischen Staaten, die aus der Dekolonisation hervorgegangen sind, zur Sprache.
In «Hyènes» verwendet Djibril Diop Mambéty die Geschichte von Friedrich Dürrenmatt, um die Verlockungen des Kolonialismus und die Unterwerfung Afrikas unter den globalisierten Kapitalismus anzuprangern. Als die lokale Führung beschliesst, den Lebensmittelhändler zu opfern, tut sie es, weil sie den materiellen Verlockungen der Ersten Welt unterliegt.
Die Hyänen, die der Regisseur heraufbeschwört, können also mehrere Gesichter annehmen: afrikanische Eliten, eine Bevölkerung, die den Sirenen des Konsums allzu leicht nachgibt, ein internationales System, das Afrika ausbeutet… Es liegt letztlich am Zuschauer zu bestimmen, wer diese Hyänen wirklich sind.
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