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Klavierkonzert im Wohnzimmer

Bereit fürs Hauskonzert: Gastgeber Patrick Eichenberger und der russische Pianist Georgy Gromov. swissinfo.ch

30 Klappstühle und einen Konzertflügel – mehr braucht es nicht für ein Hauskonzert. Der gebürtige Berner und Wahlberliner Patrick Eichenberger hat eine alte Idee wiederbelebt.

Patrick Eichenberger ist ein wenig nervös. Er sitzt hinter dem Steuer seines geparkten Wagens und lässt den U-Bahn-Ausgang nicht aus den Augen. Der gebürtige Berner wartet auf den russischen Pianisten Georgy Gromov; bald beginnt das Konzert, und vorher muss Gromov noch den Flügel kennen lernen und sich einspielen.

Doch der Preisträger des Internationalen Musikwettbewerbs in Seoul 2011 lässt sich nicht blicken; die Minuten zerrinnen. Da – jetzt spuckt die Rolltreppe eine Handvoll Menschen aus dem Untergrund. «Da ist er», ruft Eichenberger und zeigt auf einen schmalen Mann in einem schwarzen Anzug. «Jetzt aber schnell nach Hause.»

Zuhause im Konzert

Zum fünften Mal schon veranstaltet Eichenberger einen Konzertabend mit einem Berufsmusiker in seinem Haus in Berlin-Wittenau. Der Wahlberliner hat das in früheren Jahrhunderten übliche Hauskonzert neu interpretiert: Studenten der Berliner Musikhochschulen haben die Möglichkeit, vor einem kleinen Publikum ihr Examens- oder Wettbewerbsprogramm als Testlauf zu spielen.

Eintritt frei

«Wir simulieren sozusagen den Ernstfall, ohne den ganzen Stress und Leistungsdruck», sagt Eichenberger. Eingeladen sind Nachbarn, Freunde und Familie, manchmal kommen auch Mitstudenten und Dozierende. 30 Klappstühle stehen im Wohnzimmer bereit. Der Eintritt ist frei, wer möchte, leistet einen Obolus, der dem Künstler anstelle eines Honorars zugutekommt.

Begonnen hat alles damit, dass sich Eichenberger und seine Frau einen Flügel gekauft haben. Nicht irgendeinen Flügel, sondern einen Konzertflügel der deutschen Traditionsmarke «Seiler», ein Instrument für Profis. «Ich spiele mässig Klavier und dachte, dass mich das wertvolle Instrument motivieren würde, häufiger zu üben», sagt Eichenberger.

Der 48-Jährige hat wenig Zeit. Er hat drei Kinder, wovon zwei aus erster Ehe bei ihrer Mutter in der Schweiz leben. Das Jüngste hat gerade mal seinen ersten Geburtstag gefeiert. Eichenberger ist Professor für Philosophie, Zeitgeschichte und Wirtschaftsethik und betreut an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich Bachelor-Arbeiten; ausserdem sitzt Eichenberger im Verwaltungsrat verschiedener Unternehmen und ist als Militärexperte tätig, zuletzt 2008 in Israel im Rahmen eines UN-Mandats.

Hemmungen, darauf zu spielen

Der Flügel wurde Anfang Jahr geliefert. Eichenberger und seine Frau rollten ihn ins Eingangsfoyer, wunderschön sah er aus. «Doch dann getraute ich mich nicht, darauf zu spielen», sagt er. «Ich hatte Hemmungen, dem Flügel meine bescheidenen Klavierkünste zuzumuten.» Profimusiker mussten her – aber wie?

Als Eichenberger seiner Frau das Konzept des Hauskonzerts erläuterte, lachte sie ihn erst aus. Doch kaum war der Aushang öffentlich, meldeten sich die ersten Studenten.

Wenig später konnte Eichenberger das Aeolus Trio bei sich begrüssen, das den Masterstudiengang Kammermusik an der Hochschule für Musik «Hanns Eisler» in Berlin belegt. Im Gästebuch bedanken sich die drei Musiker für die wundervolle Atmosphäre im Hause Eichenberger. «Wir kommen gerne wieder», schrieb das Aeolus Trio.

Nachbarn haben sich schick gemacht

Georgy Gromov, ein Masterstudent an der Universität der Künste Berlin, tritt bereits weltweit als Solist auf. Das Pianorezital, das der 30-jährige Russe bei Eichenbergers im Wohnzimmer spielen wird, umfasst unter anderem Werke von Bartok, Tschaikowsky und Schumann.

20 Minuten vor Konzertbeginn setzt sich Gromov an den Flügel. Aufs Mal füllt sich das Haus mit kraftvollen Klavierklängen. Eichenbergers Augen hinter den Brillengläsern leuchten. Dieses Einspielen, meint er, das sei jeweils der schönste Moment für ihn. «Ich hege eine Wahnsinnsbewunderung für alle, die so virtuos Klavier spielen.»

Kurz vor halb sechs kommen schliesslich die Gäste, unter ihnen der Kulturattaché der russischen Botschaft Berlin. Die Nachbarn von nebenan haben sich schick gemacht, fast wie für einen Abend in der Berliner Philharmonie; ein zarter Duft von Rasierwasser schwebt in der Luft. Der «Hausherr» hält eine kurze Begrüssungsrede und stellt den Pianisten vor.

Dann geht es los mit Bartoks Suite Op.14. Die Hände von Georgy Gromov fliegen über die Tasten. Der schwarz glänzende Flügel und der Pianist harmonieren wunderbar.

Eichenberger hat sich mittlerweile ein Elektropiano angeschafft. Unauffällig steht es in einer Ecke. Wenn der Schweizer Klavier spielen will, setzt er sich Kopfhörer auf, damit er ungestört üben kann.

Die Universität der Künste UdK Berlin zählt zu den vielseitigsten künstlerischen Hochschulen der Welt.

Mit ihren vier Fakultäten

«Bildende Kunst», «Gestaltung», «Musik» und «Darstellende Kunst» und ihren 4000 Studierenden ist die UdK die grösste künstlerische Hochschule Deutschlands; mit dem Promotions- und Habilitationsrecht gehört die UdK darüber hinaus zu den wenigen künstlerischen Hochschulen Deutschlands mit Universitätsstatus.

Das Musikstudium bereitet die Studierenden auf eine Tätigkeit im Orchester und auf eine eventuelle solistische Karriere vor. Neben der Erarbeitung eines umfangreichen Solorepertoires wird dabei grosser Wert auf Orchester- und Ensemblearbeit gelegt.

Die Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin ist ebenfalls eine der führenden Musikhochschulen Europas. Sie wurde 1950 in Ostberlin gegründet.

Jährlich präsentiert die Einrichtung über 400 öffentliche Konzerte, Musiktheater-Aufführungen, Vortragsabende und Examenskonzerte, was sie zu einem festen Bestandteil der Kulturlandschaft Berlins macht.

Die Musikhochschule verfügt unter anderem über ein Sinfonieorchester, ein Kammerorchester und einen Chor.

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