Klischees zu durchbrechen, ist nicht einfach
"Die Schweiz hat ein Imageproblem. Keine Sorge, wir werden es beheben." So das Argument des ersten Spielfilms zweier junger Schweizer Regisseure, der in Locarno im Wettbewerb steht. Der Streifen ist zwar bildgewaltig, schiesst aber am Publikum vorbei.
Achtung! Das ist kein richtiger Dokumentarfilm. Und weder eine journalistische Untersuchung noch eine Meinungsumfrage. Was also ist es? Eine Fiktion? Nein, eine Satire, die jedoch auf wahren Tatsachen beruht.
Drei Jahre lang haben Simon Baumann und Andreas Pfiffner die Schweiz – ausschliesslich die deutschsprachige – durchforscht (wir sprechen nur ungenügend Französisch und kein Italienisch), auf der Suche nach Dingen und Menschen, die ein positives Bild der Schweiz ausmachen könnten.
«Auf der einen Seite gibt es die Berge, die Seen, die Schokolade und Roger Federer, auf der anderen Seite ein Land von Rosinenpickern, Steuerflüchtigen und multinationalen Unternehmen mit zweifelhaften Praktiken. Wir wollten diese zwei Klischees hinterfragen», fasst Simon Baumann zusammen.
Um dies zu tun, erforschten die zwei Kollegen zuerst die Schweiz der Alpentäler, der Geranien auf den Balkonen und der Gartenzwerge, wo man stolz auf die Schweizer Flagge ist und nichts von einem Imageproblem wissen will. Die meisten der befragten Personen sind älter und klar konservativ. «Ein Volk von Idioten, könnte man sagen», meint ein Kommunikations-Experte, der im Film zu Wort kommt.
Wo aber bleibt die Schweiz der Städte, von wo die beiden Cineasten kommen? Wo ist die Jugend? Und wo sind die Menschen mit Ausländerstatus, die immerhin ein Viertel der Bevölkerung im Land ausmachen? «Wir wollten nicht zwingend einen repräsentativen Querschnitt aufzeigen und haben das behalten, was uns am Interessantesten schien», verteidigt sich Andreas Pfiffner.
Trouvaillen
Interessant ist der Film zumindest in seiner Form. Der wunderbare Nachspann als Trickfilm, die Musik, die aus dem Helikopter aufgenommenen Lagepläne, die im Zeitraffer abgespult werden und die Dörfer modellhaft zeigen – all dies führt zu einer Dynamisierung des Ganzen. Und die Szene mit der falschen Helvetia und ihrem Gewand, das im Wind des Helikopters flattert, ist ein schönes Detail.
Die ersten Bilder bringen das Publikum immer wieder zum Lachen. Aber nach den ersten Überraschungseffekten sieht man den Film irgendwie versanden und beginnt sich zu fragen, was die zwei Cineasten eigentlich beabsichtigen. «Der Rassismus in der Provinz, der sich in den Zeugenaussagen entpuppt, wird schliesslich zum Hauptthema des Films», erklärt Simon Baumann.
Tatsächlich hört man Ausdrücke wie «Neger» oder «Ostblock» (fast 25 Jahre nach dem Mauerfall!) und es wird gar bedauert, «dass Adolf mit seiner Arbeit nicht fertig wurde».
Um das Image aufzupolieren sollen sich die Schweizer bei der Weltgemeinschaft entschuldigen müssen. Einige wenige treten vor die Kamera und verlesen ein Entschuldigungs-Schreiben – für die Banken, die Habgier der Multis, den Handel mit dem Apartheid-Regime in Südafrika.
Die beiden Filmemacher versuchen sogar, den von ihnen verfassten Text durch Angestellte des umstrittenen Rohstoffkonzerns Glencore vorlesen zu lassen, bevor sie dann von der Polizei weggejagt werden. Das ist zwar frech und ziemlich lustig, aber erreicht längst nicht das Niveau von Michael Moore.
Am Schluss sind brave Bürger gar bereit, die blaue Flagge mit den goldenen Sternen zu schwingen, vor dem Hintergrund von Beethovens Ode an die Freude, der Europa-Hymne.
Debütanten-Film
Was die konfuse Vorführung der beiden jungen Schweizer doch noch ein Stück weit rettet, ist ihre satirische Meinung, diese Art, sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Und ihre Hilflosigkeit als Anfänger zu zeigen.
Denn Baumann & Pfiffner in der Innerschweiz ist auch ein wenig Laurel & Hardy in der Schule des Kinos. «Das verschafft Raum für eine ganze Reihe von Gags, bald wunderbar unsinnig, bald unverblümt kindisch.
«Die Debatte darüber, welche Schweiz wir wollen und welchen Platz das Land in der Welt haben soll, ist etwas eingeschlafen», sagt Simon Baumann. Ob dieser Film viel dazu beitragen wird, die Debatte wieder zu beleben, ist jedoch fraglich.
Denn über das Schmunzeln von urbanen Städtern in der Deutschschweiz hinaus, an die sich der Film richtet, riskiert Image Problem bei jenen, die er auf nette Art blossstellt, nichts als Ablehnung auszulösen. Und anderswo Gleichgültigkeit.
Das Filmfestival Locarno hat dieses Jahr eine Initiative lanciert, um den Vertrieb und die Vermarktung des Schweizer Films in anderen Sprachregionen zu fördern.
Das Projekt StepIn.ch wird vom Bundesamt für Kultur, von Swiss Films und vom Departement für Bildung, Kultur und Sport des Kantons Tessin unterstützt.
«Heutzutage haben Schweizer Spiel- und Dokumentarfilme grosse Schwierigkeiten, in anderen Sprachregionen ein Publikum zu finden», erklärt Nadia Dresti vom Industry Office des Festivals.
«Das Grundproblem sind die Kosten: Die Übersetzungen sind teuer, und insbesondere das Tessiner Publikum ist es nicht gewohnt, Filme in Originalversionen zu schauen.»
Um das Image des Schweizer Films zu verbessern, müssten die Regisseure bekannt gemacht und dem Publikum näher gebracht werden – nach amerikanischer Art, meint Nadia Dresti.
Das Problem ist seit Jahren bekannt, jetzt aber haben sich Eidgenossenschaft, Filmvertreiber und Kinobesitzer zusammengetan, um eine Lösung zu finden.
Das Filmfestival Locarno dauert noch bis zum 11. August.
Um den Goldenen Leoparden bewerben sich 19 Filme, darunter zwei Schweizer Dokumentar-Filme:
Image Problem, das Erstlingswerk der Jung-Regisseure Simon Baumann und Andreas Pfiffner, ein humoristischer Dokumentarfilm über die Schweiz und ihre Klischees.
Und The end of time des Schweizer Cineasten Peter Mettler, ein poetischer Film zum Konzept der Zeit.
Drei weitere Schweizer Filme sind auf der Piazza Grande zu sehen.
Insgesamt werden an der 65. Festival-Ausgabe in Locarno knapp 300 Filme aus über 50 Ländern gezeigt.
(Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein)
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