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Kuba: 50 Jahre ohne Waffenruhe

Havanna feiert ein halbes Jahrhundert kubanische Revolution. Reuters

Am 8. Januar 1959 zog Fidel Castro an der Spitze der "Karawane der Freiheit" in Havanna ein. "Die Tyrannei ist gestürzt", rief er damals aus. "Die Freude ist unermesslich. Aber es bleibt viel zu tun (...), vielleicht wird nun alles noch schwieriger."

Am vergangenen 8. Januar waren seine Worte aktueller denn je. Ein halbes Jahrhundert nach der Revolution steckt das Land in einer tiefen Finanzkrise und sieht einer unsicheren Zukunft entgegen.

Doch allein die Tatsache, dass dieser Jahrestag gefeiert wird, «grenzt an ein Wunder und ist die Heldentat einer Insel, die während 50 Jahren der offenen Feindseligkeit des mächtigsten Landes der Welt die Stirn geboten hat», unterstreicht der in Havanna ansässige Schweizer Entwicklungsexperte von Oxfanm International Beat Schmid.

Professor Claude Auroi vom Institut de Hautes Etudes Internationales et de Développement (IHEID) in Genf und Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Amerikanistik teilt diesen Standpunkt: «Es ist bewundernswert, wie Kuba in einer so schwierigen inneren und äusseren Lage und mit der Blockade überlebt hat.»

Die beiden Experten stimmen überein, dass der Einzug Barack Obamas ins Weisse Haus in Havanna Hoffnungen weckt. Obama versprach, das Wirtschaftsembargo zu lockern, und Kuba ist bereit, «von gleich zu gleich» zu verhandeln.

Kommt Kuba zur Sprache, so scheiden sich die Geister, und die beiden Experten sind da keine Ausnahme. Zum Anlass des 50. Jahrestags der kubanischen Revolution analysieren sie für swissinfo die gegenwärtige Situation der «Perle der Karibik», ihre Zukunftsaussichten und Herausforderungen.

«So oft haben sie mich getötet»

Für Claude Auroi hat das politische System Kubas ausgespielt. «Es zu neuem Leben zu erwecken, ist unmöglich. Alle Kubaner wissen, dass dies eine Illusion ist», sagt er. «Die junge Generation will entweder auswandern oder ist äusserst kritisch eingestellt. Ohne Meinungsfreiheit können sie dies aber nicht ausdrücken.»

Er vergleicht das heutige Kuba mit der Situation kurz vor dem Fall der Berliner Mauer. «Jedermann wusste, dass das System keine Zukunft hatte, aber niemand wagte, es laut auszusprechen. Hier geschieht dasselbe. Die Revolution wieder beleben zu wollen und eine neue verallgemeinerte Euphorie heraufzubeschwören, gehört der Vergangenheit an.»

Beat Schmid ist anderer Meinung: «Zwei Dinge scheinen mir wichtig: Der beginnende Wandel findet innerhalb des Sysems statt, das nicht in Frage gestellt wird. Keine repräsentative Gesellschaftsgruppe will es abschaffen», betont er.

«Dazu geniesst die Regierung einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung, was nicht bedeutet, dass es keine Kritik gibt. Die Leute möchten vieles verbessern, aber wenn die Stunde der Wahrheit schlägt, ist eindeutig, auf welcher Seite sie stehen.»

Schiffbruch oder nur ein Leck?

«Keine Regierung wurde so oft K.O. erklärt wie die kubanische, und kein Staatschef wurde so oft todkrank oder tot gesagt wie Fidel Castro. Deshalb sollte die Situation sorfältiger analysiert werden», stellt Beat Schmid fest.

Während eines halben Jahrhunderts musste sich die Revolution nicht nur mit der Blockade der USA, sondern auch mit den Misserfolgen des sozialistischen Systems auseinandersetzen.

«Ich bewundere, mit welcher politischen Energie sich Kuba gegen Riesen behauptet hat: Gegen diejenigen, die die Revolution unterstützten, um dann, wie die Russen, selbst zu scheitern; oder gegen die Nordamerikaner, die sie schlichtweg vernichten wollten,» betont Professor Auroi.

In der Tat: Seit dem letzten Jahrhundert in der Sierra Maestra bis zum Zeitalter der Globalisierung und der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise, seit dem Kampf gegen die Diktatur Batistas bis zur Bekämpfung des Analphabetentums und prekärer Gesundheitsverhältnisse hat die Revolution keine Waffenruhe erlebt.

Heute, ohne Unterstützung der früheren Verbündeten, aber noch immer unter dem Druck des Wirtschaftsembargos, leidet die Insel auch noch an den Folgen von Naturkatastrophen.

Wirtschaft am Boden

Drei Orkane suchten die Insel im vergangenen Jahr heim, die schlimmsten ihrer Geschichte. Sie hinterliessen 10 Mrd. Dollar an Schäden, was 20% des jährlichen Bruttosozialprodukts entspricht.

«Die Folgen werden noch lange zu spüren sein», so Schmid. «Tausende von Familien werden während Jahren in Notunterkünften leben müssen. Da Kuba weder von der Weltwirtschafts- noch von der Nahrungsmittelkrise verschont wurde, beeinträchtigt dies die Erholung ebenfalls.»

Daher die Sparsamkeit anlässlich der Feiern vom 1. Januar zum 50. Jahrestag der Revolution, die für Lateinamerika und auch anderswo zum Symbol der Hoffnung wurde und die europäische Linke in ihren Bann zog. Fidel nahm an den Feierlichkeiten nicht teil.

Claude Auroi teilte diese Begeisterung und wählte 1976 als Thema seiner Lizenziatsarbeit «Die neue kubanische Landwirtschaft».

Schon damals warnte er, dass der falsche Weg gewählt wurde: «Das kubanische Landwirtschaftsmodell war ein Fehlschlag und ist es noch heute. Während 50 Jahren sind sie von den Rationierungskarten für Lebensmittel nicht losgekommen!»

Seiner Meinung nach war die Übernahme des kommunistischen Modells nicht die einzige Alternative zur Festigung der Revolution. Aber er gibt zu, dass eine andere Wahl Zugeständnisse an die USA bedeutet hätte und vielleicht fehlgeschlagen wäre. So hat das sozialistische System überlebt, «aber zu welchem Preis» so Auroi.

Errungenschaften der Revolution

Die ganze Bevölkerung geniesst kostenlose Gesundheitsversorgung und Ausbildung, die beiden Grundpfeiler der Revolution.

Kuba hat bestens ausgebildete Fachkräfte. Um nur ein Beispiel zu nennen: Mit einer Sterblichkeitsrate von 5 auf 1000 Neugeborene hat Kuba die niedrigste Rate ganz Amerikas (eingeschlossen USA und Kanada).

In ganz Lateinamerika haben kubanische Ärzte an einer Million Patienten Star-Operationen vorgenommen.

Doch Schmid fügt hinzu, dass die junge Generation diese Errungenschaften der Revolution nicht mehr als Erfolg verbucht, sondern als natürliche Rechte versteht. Daher steht die Regierung nun vor der Herausforderung, der Bevölkerung mehr materiellen Wohlstand zu ermöglichen.

Dies gelingt nur mittels erhöhter Produktivität. Einige Massnahmen, die mittelfristig Erfolg haben sollten, wurden bereits getroffen.

«Ich glaube, dies ist ausschlaggebend, damit sich die Bevölkerung weiterhin mit dem revolutionären Prozess identifiziert und bereit ist, sich zu engagieren», meint der Entwicklungsexperte zum Abschluss.

swissinfo, Marcela Águila Rubín
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)

Die Schweiz vertritt die Interessen der USA auf Kuba und diejenigen Kubas in den USA.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) unterstützt seit dem Jahre 2000 Projekte in Kuba.

1. Januar 1959 Fidel Castro verlässt die Sierra Maestra, um Diktator Fulgencio Batista zu stürzen.

Januar 1961 Nach der Verstaatlichung amerikanischen Eigentums brechen die USA die diplomatischen Beziehungen zu Kuba ab. Es beginnt ein 50-jähriger ideologischer Krieg zwischen beiden Ländern.

16. April 1961 Castro erklärt seine Revolution zur sozialistischen. Am nächsten Tag versuchen von der CIA unterstützte Exilkubaner, auf der Insel an Land zu gehen und werden in der Schweinebucht von Castros Truppen besiegt.

Februar 1962 Die USA verhängen ein totales Wirtschaftsembargo, das bis heute inkraft ist.

Oktober 1962 Raketenkrise: Die USA entdecken auf Kuba sowjetische Raketensprengköpfe, und man befürchtet einen 3.Weltkrieg. Die Sowjets ziehen die Raketen ab.

November 1975 Castro schickt Truppen nach Angola, um der dortigen linken Regierung bei der Bekämpfung der von Südafrika unterstützten Rebellen zu Hilfe zu eilen. Am 15 Jahre dauernden Krieg nehmen insgesamt 300’000 kubanische Soldaten teil.

April-Oktober 1980 Exodus von Mariel. Kuba erlaubt ca. 125’000 Personen, in die USA auszuwandern.

Dezember 1991 Der Zusammenbruch der Sowjetunion stürzt Kuba in eine Wirtschaftskise, von welcher es sich noch nicht erholt hat.

31. Juli 2006 Nach einer Notoperation übergibt Fidel die Staatsgeschäfte vorübergehend an seinen Bruder Raúl.

24. Februar 2008 5 Tage nach dem Rücktritt Fidels aus Gesundheitsgründen wird Raúl Castro formell zum Staatschef gewählt.

Dezember 2008 Raúl Castro erklärt sich bereit, den gewählten Präsidenten der USA, Barack Obama, zu treffen. Letzterer liess durchblicken, Restriktionen könnten abgeschwächt und Gespräche aufgenommen werden.

(Quelle: Reuters)

Beat Schmid:
Kuba geniesst die Sympathie Lateinamerikas und allen voran Venezuelas.

In den dunklen Zeiten der Militärdiktaturen war Kuba ein sicherer Hafen für viele lateinamerikanische Flüchtlinge und Symbol für ein anderes und mögliches Amerika.

40’000 kubanische Ärzte sind in Lateinamerika, Afrika und Asien tätig, was zu engen Beziehungen zu den betreffenden Ländern führte.

Im vergangenen Jahr besuchten u.a. die Staatoberhäupter von Russland, China und Brasilien die Insel; Kuba trat der Gruppe von Rio bei.

Unter dem Meeresgrund soll Kuba über Erdölvokommen verfügen.

Claude Auroi:
Das Motto Fidels «während der Revolution ist alles möglich, jedoch nichts gegen die Revolution» beschnitt die individuellen Freiheitsrechte.

Es gibt 3 Szenarien für die Zukunft:
1. eine mögliche Gegenrevolution
2. eine Entwicklung zum chinesischen Modell mit wirtschaftlicher Liberalisierung unter politischer Kontrolle des Staates
3. eine beschleunigte Demokratisierung nach westlichem Vorbild mit mehreren politischen Parteien.

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