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Kulturland Schweiz: Der frustrierende Kampf um internationales Ansehen

Schweizer Pavillon auf der Dubai Expo 2020
Eine Erlebnisreise durch die Schweiz im Schweizer Pavillon auf der Dubai Expo 2020. Jim Monk / Alamy Stock Photo

Welche Mittel besitzt die Schweiz, um Schweizer Kultur im Ausland zu vermitteln? Und worauf konzentriert sie sich? Es zeigt sich ein fragmentiertes Bild.

Es kann passieren, dass ein Angestellter am Flughafen Tokio den roten Pass sieht und ruft: «Switzerland! Roger Federer!» Doch weit öfters ist es wohl eher so, dass das Gegenüber von der Schokolade oder den Uhren weiss und von den illegalen Bankkonten gehört haben will.

Auffallend aber ist, dass die schweizerische Nationalität nicht mit hochkulturellen Leistungen assoziiert wird. Italien hat seinen Dante oder Leonardo da Vinci, England Shakespeare oder Jane Austen, Österreich Mozart, Schubert, Strauss, Russland Tolstoi und Dostojewski, Deutschland Bach und Goethe, von denen alle wissen. Frankreich geht gleich mit einer Schar von Persönlichkeiten und Themen ins Rennen.

Kein einheitlicher Auftritt

Auch die Schweiz hätte durchaus Kunstgrössen von Weltrang wie Gotthelf, Ramuz, Oppenheim, Dürrenmatt oder Täuber-Arp, die entsprechend propagiert werden könnten.

Die Künstlerin Meret Oppenheim arbeitet im Jahr 1958 in ihrem Atelier in Oberhofen, Kanton Bern.
Die Künstlerin Meret Oppenheim arbeitet im Jahr 1958 in ihrem Atelier in Oberhofen, Kanton Bern. Keystone / Walter Studer

Doch das müsste man wollen, das ergibt sich nicht von selbst: Eine eigentliche Kulturaussenpolitik nämlich hat die Schweiz nicht. Zögerliche Versuche, die kulturellen Bemühungen der Schweiz im Ausland zu vereinheitlichen, hat es zwar gegeben: Auf Initiative der ehemaligen Bundesrätin Micheline Calmy-Rey wurde 2003 im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA ein Zentrum für Kulturaussenpolitik gegründet, 2012 aber wieder aufgegeben. “Aus Effizienzgründen hat man sich entschieden, den Schwerpunkt auf Kommunikation von Werten zu legen und kulturelle Themen dabei soweit möglich einzubeziehen», sagt Nicolas Bideau, der Direktor von Präsenz Schweiz. Er war selbst einst Leiter des Kompetenzzentrums.

Mit Präsenz Schweiz, einer Behörde, die dem Aussendepartement angegliedert ist, führt Bideau eine Art PR-Agentur für das Image der Schweiz im Ausland. Gemeinsam mit öffentlichen wie privaten Partnern ist sein Ziel, die Schweiz zu repräsentieren. Im Mittelpunkt stehen Themen der Wirtschaft, der Nachhaltigkeit, der Innovation und der Europapolitik. Kultur fliesst einmal mehr, einmal weniger auffällig mit ein. An Grossveranstaltungen wie der Expo 2015 in Mailand oder der Expo 2020 in Dubai war die Schweiz mit einem “House of Switzerland” vertreten. Dabei ging es um Innovationskraft, wozu Themen wie Design und Videospiele eingebracht werden konnten.

Rechts; Nicolas Bideau, links; Emanuele Rossetti.
Direktor von Präsenz Schweiz Nicolas Bideau (rechts), und Emanuele Rossetti, CEO der Baufirma Nuessli Italia (Mitte), bei der Grundsteinlegung für den Schweizer Pavillon an der Expo Milano in 2015. Keystone / Ti-press / Pablo Gianinazzi

Punktuelle Wirkung

Nicht Kommunikation, sondern Kulturförderung betreibt die öffentlich-rechtliche Stiftung Pro Helvetia, die dem Departement des Innern angegliedert ist. Ihre Aufgabe ist gesetzlich festgeschrieben und umfasst unter anderem, Schweizer Kunst und Kultur im Ausland zu verbreiten und den Austausch mit anderen Kulturräumen zu fördern.

Pro Helvetia konzentriert sich auf die Vermittlung von lebenden Künstler:innen und richtet sich in erster Linie an Kulturschaffende und ein sehr spezifisch interessiertes Publikum. Wo Präsenz Schweiz auf ein breites Publikum zielt, will Pro Helvetia punktuell Wirkung erzielen. Der übliche Weg ist dabei, dass Kunstschaffende und kulturelle Institutionen wie Museen, Kunsthallen, aber auch Konzerthäuser, Theater oder Festivals im Zielland – immer in Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen oder Institutionen aus der Schweiz – Projekte entwickeln. Sie reichen bei Pro Helvetia ein Gesuch auf Kostenbeteiligung des Projekts ein.

Von links: Alain Berset, Philippe Bischof, Latifa Echakhch, Francesco Stocchi, Anne Weckstroem, Alexandre Babelanne
Der Schweizer Kulturminister Alain Berset, links, hält eine Rede, bei der Eröffnung des Schweizer Pavillons der 59. Kunstbiennale in Venedig am Donnerstag, 21. April 2022. Dabei sind (von links) Philippe Bischof, Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia, die Künstlerin Latifa Echakhch, der Kurator Francesco Stocchi, die Beleuchtungsdirektorin Anne Weckstroem und der Kurator Alexandre Babelanne. AP Photo/Luigi Costantini

Mit dem Aufbau eines Aussennetzes, also dem Unterhalt von bisher neun Standorten (Kairo, Johannesburg, Neu Delhi, Shanghai, Moskau, Bogotá, Buenos Aires, São Paulo und Santiago de Chile) setzt Pro Helvetia auf die Expertise von lokalen Fachpersonen. “Sie kennen den Kulturmarkt und den jeweiligen politischen und sozialen Kontext”, sagt Philippe Bischof, Direktor von Pro Helvetia. “Und genau darum geht es uns. Wir brauchen diese Expertisen in einem ständigen Lernprozess über die verschiedenen Kulturkontexte.”

Die Expert:innen vor Ort handeln als Vermittler, ohne über eine eigene Veranstaltungsinfrastruktur zu verfügen, wie dies beispielsweise bei den deutschen Goethe-Instituten oder den Instituts français der Fall ist. Konkret bedeutet das, dass die Aussenstellen eine Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Institutionen anregen oder erleichtern, indem sie mit Vernetzung und finanziell unterstützen. Einzig in Paris betreibt Pro Helvetia eigene Räumlichkeiten und hat eine eigene Programmation.

Die Stärken eines solchen Systems liegen auf der Hand. Die Fixkosten für Immobilien wie auch entsandtes Personal hält man damit niedrig, so kann mehr Geld in die Projekte selbst fliessen. Jede Aussenstelle – wobei Südamerika als Ganzes betrachtet wird – erhält ein jährliches Programmbudget von 360’000 Schweizer Franken. Rund die Hälfte des Gesamtjahresbudgets von 44 Millionen Schweizer Franken verwendet Pro Helvetia für die Kulturförderung im Ausland.

Ebenfalls im Ausland aktiv sind die Kulturabteilungen der jeweiligen Botschaften oder Auslandsvertretungen. Dabei kristallisiert sich die Schwäche des Kultur-Austausches exemplarisch: Die schweizerischen kulturpolitischen Aktivitäten sind stark von Engagement von Einzelpersonen bestimmt.

Engagment Einzelner

Das zeigt sich immer, ganz egal, ob es um die Leitung einer der Aussenstellen von Pro Helvetia, um die Intendanz einer Kunsteinrichtung im Ausland oder ganz besonders, wenn es um die Mitarbeiter:innen der Kulturabteilungen in den jeweiligen Auslandsvertretungen der Schweiz geht, zumal das Kulturprogramm eng am Interesse der jeweiligen Entscheidungsträger hängt.

Denn die Kulturabteilungen in den Botschaften verfolgen ein anderes Ziel als Pro Helvetia: Sie begleiten die offizielle Diplomatie. Selten entwickeln sie eigene Projekte vor Ort. Den meisten fehlt es dafür an den nötigen Mitteln, finanzieller, personeller, aber auch rein infrastruktureller Art. „Es ist, um ein prominentes Beispiel zu nehmen, wahrlich erstaunlich, dass gerade Berlin in Bezug auf einen Veranstaltungsraum so schlecht ausgestattet ist“, sagt Catherine Scharf, ehemalige Kulturattachée der Schweiz in Paris, New York, Berlin und São Paulo.

Catherine Scharf
Catherine Scharf, 2010 Wireimage

Das Botschaftsgebäude musste für den Umzug nach Berlin saniert und ergänzt werden, an einem Standort überdies, der denkbar prominent ist. „Hier hätte man die Chance ergreifen können, sich in dieser Stadt, die sich in den 1990er Jahren derart rasant veränderte und zum Katalysator der Kulturen geworden ist, kulturpolitisch zu positionieren“, meint Scharf und zieht aus ihrer gesamten Karriere den Schluss, dass Kultur keine politische Priorität geniesse. Gleichzeitig ortet sie eine Herausforderung in der Fragmentierung der Schweiz in verschiedene Kulturregionen, womit sie auf die Skepsis vieler Kulturschaffender und Veranstalter:innen hinweist, die sich fragen, ob man denn überhaupt von einer „Schweizer Kultur“ sprechen könne. Vielmehr sei diese Vielfalt aber etwas Positives, sagt sie weiter.

Die Aufgabe macht es nicht einfacher: Die weit meisten Kulturattachés sind «normales» diplomatisches Personal, das bei seiner nächsten Mission vielleicht in die Abteilung Wirtschaft oder ins Konsularische wechseln werden. Es ist nicht vorgesehen, dass sie eine Expertise im Kulturbereich aufbauen. Und im EDA gibt es seit Auflösung des Zentrums für Kulturaussenpolitik keinen zuständigen Kulturverantwortlichen mehr.

Der Bescheidenheit geschuldet?

Der Leiter des Centre culturel Suisse in Paris, Jean-Marc Diébold, wehrt sich gegen den Eindruck, die Schweiz sei zu wenig entschlossen daran, die Schweizer Kultur ins Ausland zu tragen: «Wir machen viel. Vielleicht kommunizieren wir nicht genügend darüber.» Dass das Engagement der Schweiz weniger sichtbar sei als etwa jenes von Frankreich, könne man dem traditionell eher von Bescheidenheit geprägten Selbstbild der Schweizer:innen zuordnen, vermutet er.

Der Leiter des Centre culturel Suisse in Paris, Jean-Marc Diébold
Leiter des Centre culturel Suisse in Paris, Jean-Marc Diébold. Pierre-Jérôme Adjedj

«Kultur» beinhaltet auch gesamtgesellschaftliche Themen wie Traditionen des alltäglichen Lebens, Essgewohnheiten und Sprachen. Dazu gehören zudem die kanonisierten künstlerischen Leistungen der Vergangenheit und schliesslich die zeitgenössischen Künste. Der Schwerpunkt der Schweizer kulturaussenpolitischen Bemühungen liegt auf Letzteren, die sich von allen genannten Bereichen aber wohl am schlechtesten für eine Promotion der Schweiz als Kulturnation eignen.

Zwar ist klar, dass Künstler:innen indirekt auch ein Bild der Schweiz vermitteln, wenn sie sich aktuellen Themen aus zwar subjektiver, aber doch letztlich schweizerisch geprägter Sicht widmen, wie dies etwa Jean-Marc Diébold betont. Doch sind die Gegenwartskünste heterogen und in ihren Aussagen oftmals widersprüchlich, was eine Identifikation mit der Schweiz schwierig macht.

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