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Kunst in der Schweiz: Das erwartet uns 2024

Eine bemalte Tür inmitten von Trümmern, im Vordergrund läuft ein Kind über Schutt
Wandbild einer weinenden Figur, vermutlich vom britischen Graffiti-Künstler Banksy auf die Tür eines Hauses gemalt, das während des Konflikts zwischen Israel und der Hamas 2014 zerstört wurde. Der aktuelle Krieg in Gaza hat die Kunstwelt erschüttert. Keystone / Mohammed Saber

Politische Themen und der Krieg in Gaza haben die Kunst im Jahr 2023 stark beeinflusst, und dieser Trend wird sich fortsetzen. Unsere Shortlist der brennendsten Themen und unverzichtbarsten Ausstellungen in der Schweiz im nächsten Jahr.

Es ist unmöglich abzuschätzen, was das neue Jahr bringen wird, ohne die dramatischen Entwicklungen in der Kunst im Jahr 2023 zu berücksichtigen. 

Vor einem Jahr beherrschte der Krieg in der Ukraine noch die Schlagzeilen, aber seine Auswirkungen auf die internationale Kunstszene hielten sich in Grenzen.

Im Westen bildete sich unter Künstler:innen, Kurator:innen und Institutionen der Konsens heraus, die ukrainische Sache zu unterstützen, was die allgemeine Reaktion der Bevölkerung und der Regierungen widerspiegelte. Im Rest der Welt fiel die Solidarität mit der Ukraine jedoch nuancierter aus. 

Diese Dissonanz zwischen den Ländern des «Nordens» und den Ländern des «Südens» in ihrer Wahrnehmung des Weltgeschehens war die wichtigste Bruchlinie in den Kulturdebatten des Jahres 2023. Die Hamas-Anschläge vom 7. Oktober und der anschliessende Krieg in Gaza haben alles erschüttert. 

Der aktuelle Krieg hat die Kunstwelt in die tückischen Gewässer des Antisemitismus und der Islamophobie getaucht, zwei Begriffe, die seitdem im gesamten politischen Spektrum verwendet, falsch eingesetzt und gezielt missbraucht werden.  

Künstler:innen werden strengeren Prüfverfahren unterworfen; Anschuldigungen und Gegenbeschuldigungen, die die Bedeutung von Antisemitismus und Islamophobie vermischen, haben die Nachrichten und sozialen Medien überschwemmt.

Eine Unterschrift auf einer Petition kann die Karrieren Universitätsleiter:innen, Professor:innen, Museumsdirektor:innen, Kurator:innen und Künstler:innen gefährden. Das hat sich auch in der Schweiz gezeigtExterner Link.

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Der Status eines Stars garantiert keine Immunität, selbst der weltberühmte chinesische Künstler Ai WeiweiExterner Link musste Ausstellungen absagen. Die liberalen Demokratien und in vielen Fällen auch ihre Rechtssysteme müssen sich mit dem erneuten Ruf nach Zensur nicht nur in öffentlichen, sondern auch in privaten Einrichtungen auseinandersetzen. 

Wenn es derzeit einen weltweiten Trend im Kunstsektor gibt, dann sind es Besorgnis und Angst, je nach Land und Region in unterschiedlichem Ausmass.

Auch wenn die Schweiz bisher von Zensur oder grösseren finanziellen Engpässen verschont geblieben ist, werden diese Themen im neuen Jahr eine grosse Rolle spielen. Und die wichtigste Frage lautet: Wie wird die Kunst diese politischen Herausforderungen bewältigen?

Schwarzmalerei der Bilanzen

Der Kunstmarkt kann froh sein, wenn er im Jahr 2023 ein ausgeglichenes Ergebnis erreicht. Die Fachpresse hat darauf hingewiesen, dass die mässigen Umsätze auf den Kunstmessen – ein recht zuverlässiger Indikator – und die Einbrüche bei den Auktionen selbst den gehobenen Kunstmarkt in Schwierigkeiten gebracht haben. Das wird sich wahrscheinlich 2024 fortsetzen.

Hinzu kommt ein besorgniserregender Trend in Ländern, in denen ein erheblicher Teil der Kunstförderung vom Staat kommt: Die Regierungen aller Länder kürzen die Budgets ihrer Kultureinrichtungen.  

Im Vergleich zu Nachbarländern wie Deutschland oder Frankreich mag die Haushaltskrise in der Schweiz weniger akzentuiert sein, aber in einem stark vernetzten Kreislauf wie dem der Kunst können diese Massnahmen einen deprimierenden Dominoeffekt über die Landesgrenzen hinaus auslösen.  

Ausserhalb der Schweiz sind alle staatlichen Finanzierungsquellen des Spielfilms bedroht, insbesondere die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wie die BBC (Grossbritannien), die RAI (Italien) und der ORF (Österreich). Diese spielen seit über 50 Jahren eine wichtige Rolle in der Medienlandschaft der europäischen Länder, insbesondere bei der Unterstützung der nationalen Filmindustrien. 

In den letzten Jahren wurden sie jedoch von konservativen und rechtsgerichteten Parteien und Regierungen, privaten Medienkonzernen und populistischen Politiker:innen angegriffen, mit dem Ziel, ihren journalistischen und kommerziellen Spielraum einzuschränken.

In der Schweiz muss sich die Schweizerische Rundfunkgesellschaft SRG (zu der auch SWI swissinfo.ch gehört) gegen eine Volksinitiative wehren, die 2023 eingereicht wurde und auf eine Halbierung des Budgets abzielt.

Das Restitutionsdrama

Am 3. Dezember dieses Jahres jährte sich zum 25. Mal die Verabschiedung der Washingtoner Grundsätze über NS-verfolgungsbedingt entzogene Kunstwerke, ein Meilenstein in der Lösung jahrzehntelanger Streitigkeiten, der auch einen Rahmen für den Umgang mit dem Problem der kolonialen Plünderungen bot. 

Die Debatte über die Rückgabe von Kunstwerken ist seither immer wieder aufgeflammt, ist aber inzwischen zu einem pragmatischeren Ansatz gereift. Derzeit laufen mehrere Verhandlungen zwischen Museen und den Herkunftsländern von Werken, vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika.

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Sitzende Kolonisatoren blicken in die Kamera

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Koloniale Raubkunst: «Bei der Rückgabe gibt es kein Limit»

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Auch Schweizer Museen besitzen Raubkunst aus dem afrikanischen Königreich Benin. Der Direktor von Nigerias Museumsbehörde spricht über deren Zukunft. Ein neuer Bericht zeigt: Auch Schweizer Museen zeigten jahrzehntelang Raubkunst aus dem afrikanischen Königreich Benin. Nun wird mit Nigeria über deren Zukunft diskutiert.

Mehr Koloniale Raubkunst: «Bei der Rückgabe gibt es kein Limit»

In der Schweiz wurde im Juli ein gestohlenes Fragment einer antiken Statue von Ramses II. an Ägypten zurückgegeben.

Dies war die letzte einer Reihe von Rückgaben beschlagnahmter Werke an Libyen, China, Peru und Mexiko. Bei diesen Fällen handelte es sich jedoch um sehr einfache Rückgaben, da die betreffenden Werke gestohlen und in die Schweiz geschmuggelt worden waren und nicht zu einer wichtigen institutionellen Sammlung gehörten.

Das grosse Schweizer Drama ist jedoch nach wie vor die Kontroverse um die Sammlung Emil BührleExterner Link – eine Sammlung von über 600 erstklassigen Kunstwerken, die der berüchtigte deutsch-schweizerische Sammler angehäuft hat, der eng mit dem Naziregime verbunden und zu Lebzeiten einer der reichsten Waffenhändler der Welt (und auch der reichste Mann der Schweiz) war.

Im November wurde im Kunsthaus Zürich eine neue Ausstellung der Sammlung eröffnet, die versucht, die von der Institution durchgeführten Provenienzforschungen aufzuarbeiten. Diese wurden jedoch von Expert:innen heftig kritisiert.

Es wurde eine eidgenössische Kommission eingesetzt, deren Ergebnisse im Frühjahr veröffentlicht werden sollen.

Die Macht der Frauen

Die weltweiten Bemühungen von Museen und Kurator:innen im letzten Jahrzehnt, die Bedeutung und den Wert von Künstlerinnen neu zu bewerten, die historisch am Rande des Kunstkanons gehalten oder bloss als charmante Anhängsel ihrer männlichen Partner, Gefährten oder Kollegen gefeiert wurden, werden nächstes Jahr fortgesetzt.

Die Schweiz hat bereits wichtige Retrospektiven gezeigt: Meret OppenheimExterner Link, Sophie Taeuber-ArpExterner Link, Lee KrasnerExterner Link und Niki de St. PhalleExterner Link, um nur einige zu nennen, und auch im neuen Jahr stehen wieder einige unumgängliche Ausstellungen an.

Family, Bild von Paula Rego
Unübersehbar: Paula Regos «Familie» (1988), eines der Gemälde, die im Kunstmuseum Basel gezeigt werden. Private Collection, courtesy of Eykyn Maclean

Ein Auge haben sollte man auf die Ausstellung der portugiesisch-britischen Künstlerin Paula Rego, Power GamesExterner Link (Kunstmuseum Basel, 28.09.2024 – 02.02.2025); die Retrospektive von Marina AbramovicExterner Link (Kunsthaus Zürich, 25.10.2024 – 16.02.2025) und Shooting Down BabylonExterner Link der Südafrikanerin Tracy Rose (Kunstmuseum Bern, 23.02.2024 – 13.08.2024).

Das Kunstmuseum Basel bringt zudem die bahnbrechende Ausstellung When We See Us – A Century of Black Figuration in Painting nach Europa. Ursprünglich im Zeitz MOCAA Museum (Kapstadt) von der schweizerisch-kamerunischen Kuratorin Koyo KouohExterner Link und dem Simbabwer Tandazani Dhlakama konzipiert, zeigt sie mit Werken von 156 Künstlern ein breites Panorama schwarzer figurativer Malerei der letzten 100 Jahre.

Das Gemälde Two Reclining Women
«Two Reclining Women» (2020) von Zandile Tshabalala (Südafrika) ist eines der zeitgenössischen Kunstwerke, die vom 25. Mai bis 27. Oktober 2024 in Basel gezeigt werden. Courtesy of the Maduna Collection, © Zandile Tshabalala Studio

Biennale von Venedig

Die 60. Ausgabe der Biennale ist der Höhepunkt der Kunst im Jahr 2024. Unter der Leitung des brasilianischen Kurators Adriano Pedrosa, dem ersten lateinamerikanischen Kurator aus dem «Süden», der die Veranstaltung leitet, ist ihr Thema sehr aktuell: «Überall Fremde».

Der Schweizer Pavillon wird vom schweizerisch-brasilianischen Künstler Guerreiro do Divino AmorExterner Link (Krieger der göttlichen Liebe) bespielt. Die Ausstellung läuft vom 20. April bis zum 24. November.

Und last but not least: der Film

Die Früchte der Nach-Covid-Ära beginnen zu blühen: Zum Jahreswechsel sind rund 80 Schweizer Filme in der FertigstellungExterner Link, die 2024 in die Kinos kommen sollen. Den grössten Anteil machen Dokumentarfilme aus, gefolgt von Spiel-, Animations- und Experimentalfilmen.

Viele davon werden im Januar an den Solothurner Filmtagen gezeigt, wo sich die gesamte nationale Filmbranche trifft.

Eine weitere Welle von Premieren wird am internationalen Dokumentarfilmfestival Visions du Réel in NyonExterner Link (12. bis 21. April) und im August am Filmfestival von LocarnoExterner Link stattfinden.

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Dokumentarfilme sind das Format, mit dem sich die Schweizer Produktion besonders hervortut und bei dem die sprichwörtliche Schweizer Neutralität auf der Strecke bleibt. Man kann viel Politik erwarten, und sei es nur als Andeutung.

Besonders ein offenkundig politischer Film wird mit Spannung erwartet: The Miraculous Transformation of the Working Class into Foreigners, ein Dokumentarfilm des schweizerisch-irakischen Filmemachers Samir, der eine neue Perspektive auf ein brennendes europäisches Thema wirft, wird voraussichtlich im Sommer in die Kinos kommen.

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