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Kunst in der Schweiz: Wonach man 2022 Ausschau halten sollte

Man looking at NFTs on display on tablets hanging on the wall
Ein Mann betrachtet ein NFT (Non-fungible Token) des Künstler Erik Schmidt auf einem iPad auf dem Stand des Bochumer Provinz Verlags, November 2021. Keystone / Oliver Berg

Auch das zweite Pandemie-Jahr hat Kunst und Kultur nicht verschont. Doch während Künstler:innen und Museen immer noch darum kämpfen, sich inmitten von Ungewissheit und Gesundheitsmassnahmen über Wasser zu halten, floriert der Kunstmarkt. Der Grund dafür lässt sich in drei Buchstaben zusammenfassen: NFT.

Non-fungible Token (NFTs), Blockchain, Kryptowährungen, Krypto-Mining: Während das Jahr 2021 sich dem Ende zuneigt, spricht die ganze Finanzwelt über diese Themen. Wirtschaftswissenschaftler:innen beschäftigen sich damit, wie die Welt nach der Pandemie aussehen wird und welche Auswirkungen das haben könnte, was als die nächste Revolution im Bankwesen angepriesen wurde.

Die Diskussion ist nun auch auf die Kunstwelt übergeschwappt: Künstlerinnen, Galeristen, Kunsthändlerinnen und Kuratoren versuchen ebenfalls, sich einen Reim auf diese neue Technologie zu machen und herauszufinden, wie sie sich auf ihren Markt auswirken wird. 

Wenn das alles zu abstrakt für Sie klingt, machen Sie sich keine Sorgen. Digitale Kunst in einem digitalen Markt ist nicht so kompliziert, wie es scheint. Nächstes Jahr wird das in aller Munde sein.

SRF News erklärt in zweieinhalb Minuten, was es mit NFTs auf sich hat:

Externer Inhalt

Es geht darum, dass die Geschäfte mit NFTs in den letzten Monaten die Milliardengrenze erreicht haben, einige Werke wurden für Dutzende von Millionen Dollar versteigert. Es stimmt, dass das meiste davon reine Spekulation ist, eine Art Casino, und die Werte der Werke sind stark an die erratischen Schwankungen des Kryptowährungsmarktes gebunden. Da immer mehr Investor:innen der Herde folgen, auf der Suche nach herausragenden Gewinnen über Nacht, ist es auch wahrscheinlich, dass diese Blase im nächsten Jahr platzen könnte.

Dennoch bedeutet das nicht, dass NFTs nur ein Hype sind. Das Phänomen hat ein neues Umfeld in der Kunstwelt geschaffen, das potenziell umfassender ist, da es den Künstler:innen mehr Kontrolle über ihre Arbeit gibt – und mehr Tantiemen auf ihren Bankkonten.

Der Kunstmarkt, wie wir ihn kennen, hat sich im letzten halben Jahrhundert zu einem elitären Zirkus entwickelt, der von Kunstmessen über Galerien bis zu Auktionshäusern reicht. Die Kunstschaffenden selbst sind bestenfalls zu Nebendarsteller:innen degradiert worden, die mit einem System zurechtkommen müssen, in dem der Wert ihrer Kunstwerke völlig ausserhalb ihrer Kontrolle liegt. Für angehende Künstler:innen, die ausserhalb des «Systems» arbeiten, ist das Bild noch düsterer.

NFTs stellen in dieser Hinsicht jedoch einen Wendepunkt dar. Künstler:innen können ihre Werke ohne Zwischenhändler:innen direkt auf Plattformen wie OpenseaExterner Link anbieten. Und was noch wichtiger ist: Die Blockchain-Technologie ermöglicht es ihnen, bezahlt zu werden, wenn ihre Werke auf dem Sekundärmarkt stark ansteigen. Dies ist eine grosse Veränderung gegenüber der «alten» Welt, in der Künstler:innen ihre Werke verkauften und, wenn sie Glück hatten, nur 10% der späteren Verkäufe eines Kunstwerks erhielt, ganz gleich, wie hoch sein Wert sich entwickelte.

NFT displayed in a big screen in Times Square, NY
Ein NFT auf einer Plakatwand am Time Square in New York am 4. November 2021. Das Collins Dictionary hat den Begriff NFT zum Wort des Jahres gewählt, nachdem das Interesse daran stark gestiegen ist. Collins definiert es als ein einzigartiges digitales Zertifikat, das in einer Blockchain registriert ist und dazu dient, das Eigentum an einem Vermögenswert wie einem Kunstwerk oder einem Sammlerstück festzuhalten. Copyright 2021 The Associated Press. All Rights Reserved.

Selbst etablierte Künstler:innen wie die Schweizerin Pipilotti Rist, die vor kurzem per Anzeige Assistierendesuchte, die sich speziell mit der NFT-Technologie befassen, überlegen, wie sie die Art und Weise der Vermarktung ihrer Waren ändern können.

Dies erklärt zum Teil die zwiespältigen Reaktionen der Galerien auf den neuen Trend. Einige von ihnen, wie der Zürcher Peter Kilchmann, zögern noch, sich mit NFTs zu beschäftigen. Andere wie Pace (New York) oder Nagel Draxler (Berlin), versuchen, ihre Rolle in der digitalen Welt neu zu definieren.

Die NFT-Plattformen bieten den Künstler:innen neue Möglichkeiten, so wie die sozialen Medien das Monopol des öffentlichen Diskurses gebrochen haben, das traditionell in den Händen der «alten Medien» lag. Das Profil der neuen digitalen Kunstsammelnden sind junge, digital natives, die das Kryptogeschäft in- und auswendig beherrschen. Und da der Umfang der Investitionen in Kryptowährungen noch begrenzt ist, sind NFTs eine logische Wahl für diese neue Klasse von Krypto-Millionär:innen.

Natürlich kann man sich eine NFT nicht an die Wand hängen (vielleicht an einen Bildschirm). Aber NFTs als neues Kunstparadigma beseitigen die Kosten für Lagerung und Versicherung, die normalerweise die Ausstellungsbudgets und Unterhaltskosten für Institutionen und private Sammlungen in die Höhe treiben.

Kunstliebhaber:innen aufgepasst!

Die Schweiz ist nicht zu spät auf die Welle aufgesprungen. Im Gegenteil: Das Alpenland bemüht sich ernsthaft darum, den Weg für eine bessere Regulierung digitaler Währungen wie Bitcoin freizumachen, und hat sicherlich auch NFTs im Blick.

Im September erhielt die Schweizer Börse SIX die behördliche Genehmigung, eine digitale Börse namens SIX Digital Exchange (SDX) zu lancieren, was ein Schritt in Richtung eines globalen Netzwerks für den Handel mit digitalen Vermögenswerten sein könnte.

Andererseits ist diese schöne neue Welt nicht völlig sicher, trotz der Garantien, die die Blockchain-Signatur angeblich bietet. Matthew Allen, Fintech-Experte bei SWI swissinfo.ch, meint: «Wenn sie schlecht gemacht werden, sind NFTs ein Albtraum. Wenn sie gut gemacht sind, haben sie das Potenzial für positive Ergebnisse. Die aufkommende Technologie ist experimentell, schnelllebig und wird derzeit von einem Hype angeführt –eine giftige Kombination.»

Schwachstellen in den Hauptplattformen und sogenannte «Rug Pulls» erfordern besondere Aufmerksamkeit von den Anleger:innen. Dabei handelt es sich um bösartige Manöver, bei denen Krypto-Entwickler:innen ein Projekt aufgeben und mit dem angelegten Geld abhauen. Inzwischen befürchten die Behörden, dass der NFT-Boom auch neue Wege für Geldwäsche und Steuerhinterziehung eröffnen kann.

2021 war das Jahr, in dem die Auswirkungen von NFTs auf dem Kunstmarkt insgesamt zu spüren waren, wie Besucher:innen der wichtigsten Kunstmessen, insbesondere der Art Basel und der Art Basel MiamiExterner Link, bestätigen konnten. Es ist jedoch noch nicht klar, wie sie sich auf das Kunstschaffen selbst auswirken werden. Wie die Künstler:innen auf den Trend reagieren werden, wird 2022 genau zu beobachten sein.

Rückerstattungen

Benin bronzes
Bronzeskulpturen aus dem historischen Königreich Benin aus der Zeit vor 1897 stehen während eines Fototermins auf einem Tisch in einem Arbeitsraum des Depots des Museums für Völkerkunde der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), während eine Mitarbeiterin im Hintergrund einen Armreif in den Händen hält. Keystone / Robert Michael

Das Jahr 2021 brachte auch einen grossen Fortschritt in der seit langem geführten Diskussion über die Rückgabe von Kunstwerken und Kunsthandwerk, die von den Kolonialmächten geraubt wurden und nun in den wichtigsten westlichen Museen und Kunstinstitutionen ruhen.

In diesem Jahr haben die Museen im Vereinigten Königreich, in Deutschland und in Frankreich bereits die ersten Werke zurückgegeben.

Obwohl einige einflussreiche Museumsdirektor:innen wie Annette Bhagwati (Museum Rietberg, Zürich) und Marc-Olivier Wahler (Kunst- und Geschichtsmuseum Genf) bereits einen deutlichen Mentalitätswandel und eine offene Bereitschaft zur Rückgabe von Raubkunst an ihre Heimatländer gezeigt haben, ist es der Schweiz gelungen, eine gewisse Distanz zum Kolonialstreit zu wahren.

Ein noch älteres Thema, nämlich die Frage der NS-Raubkunst, beschäftigt die wichtigsten Institutionen des Landes aber noch immer. Das Jahr 2021 war geprägt von den Auseinandersetzungen um den Neubau des Kunsthauses Zürich, in dem Werke aus der umstrittenen Sammlung Bührle gezeigt werden. Die Bührle-Stiftung weigert sich nach wie vor, mit einer unabhängigen Kommission aus Historiker:innenn und Expert:innen zusammenzuarbeiten, um die Provenienz der Kunstwerke neu zu bewerten.

Jolles, president of the Bührle Foundation
Alexander Jolles: Auseinandersetzung zwischen «historischen» und «juristischen Fakten». Keystone / Michael Buholzer

Wie der Historiker Erich KellerExterner Link in der jüngsten Pressekonferenz zu diesem Thema feststellte, kam die Hauptbotschaft nicht vom Museum, sondern vom Rechtsanwalt Alexander Jolles, dem Präsidenten der Stiftung. «Raubkunst, Fluchtgut oder NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust: Das sind lediglich Begriffe, die von Historikern geprägt wurden», sagte er. «Mit juristischen Fakten haben sie nichts zu tun.» Die jüdische Gemeinde war von dieser rhetorischen Akrobatik nicht gerade begeistert, und die schweizerisch-jüdische Künstlerin Miriam Cahn beschloss, ihre Werke aus dem Kunsthaus zurückzuziehen.

Das Kunstmuseum Bern, das den grössten Teil der Sammlung Gurlitt verwahrt und sich seit Jahren mit Provenienzfragen befasst, hat vor einigen Wochen eine ganz andere Haltung eingenommen: Es hat beschlossen, zwei Gemälde von Otto Dix an die Familien ihrer ursprünglichen Besitzer zurückzugeben, noch bevor ein Urteil darüber gefällt wurde, ob sie geraubt oder unter Zwang entstanden sind.

Im Herbst wird der Nachlass von Cornelius Gurlitt erstmals umfassend im Museum präsentiert. Das Museum bekräftigt seine Politik, «eine Bestandsaufnahme zu machen und die endgültige Annahme der Werke mit einer Ausstellung zu begleiten. Sie thematisiert die Herausforderungen für ein Museum im Umgang mit dem Nachlass eines Kunsthändlers aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie die damit verbundenen ethischen Fragen.»

Otto dix, two paintings
‹Dompteuse› und ‹Dame in der Loge› von Otto Dix, die zwei Aquarelle, die das Kunstmuseum Bern den Erben der ursprünglichen Besitzer restituiert werden sollen. Keystone / Mick Vincenz

Wenn der Virus es zulässt…

Dieses Thema wird 2022 sicher nicht untergehen, neben vielen anderen, die SWI swissinfo.ch aufmerksam verfolgen wird, wie die Zukunft der darstellenden Künste und des Kinos in Zeiten der Pandemie. Und schliesslich bringt das neue Jahr – je nach Pandemieentwicklung – auch zwei der wichtigsten Ausstellungen im Kunstzirkus: die Biennale von Venedig (23. April bis 27. November) und die documenta in Kassel (18. Juni bis 25. September).

Die Schweizer Teilnahme an der Biennale in Venedig hat einen bemerkenswerten Ruf entwickelt, und dieses Jahr wird der nationale Pavillon von der französisch-marokkanischen Künstlerin Latifa EchakhchExterner Link, die in Fully (Kanton Wallis) lebt, betreut.

Was die documenta fifteenExterner Link betrifft, so ist das wichtigste Highlight das Kuratorenteam selbst, das indonesische Kollektiv ruangrupaExterner Link. Es stellt einen kühnen Bruch mit dem documenta-Modell dar, dessen künstlerische Leitung in der Vergangenheit von weissen, männlichen europäischen Persönlichkeiten übernommen wurde, wobei nur drei Frauen zu verzeichnen waren: Catherine David (Frankreich, 1997), Ruth Noack (Deutschland, Co-Kuratorin mit Roger Buergel, 2007) und Carolyn Christov-Bakargiev (Italien-USA, 2012).

Eine besondere Schweizer Beteiligung wurde noch nicht angekündigt, aber die neue Ausrichtung der Veranstaltung wird sicherlich Wellen schlagen in der ständigen Suche westlicher Institutionen nach Inspirationen und Methoden, um die Kunstwelt endlich von den Makeln des Kolonialismus, Imperialismus und Eurozentrismus zu befreien.

Jonas Glatthard

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