Die neue Direktorin der Kunsthalle Bern will die Dinge in Bewegung bringen
Die südafrikanische Kuratorin Kabelo Malatsie ist die neue Leiterin von Berns wichtigster Kunstinstitution, der Kunsthalle. swissinfo.ch hat mit ihr über ihr Verständnis des Kuratierens gesprochen und darüber, was sich in der Kunstwelt ändern soll.
Die Ernennung der südafrikanischen Kuratorin Kabelo Malatsie sorgte für Aufsehen. Sie ist nicht nur die erste Nicht-Europäerin an der Spitze einer öffentlichen Schweizer Kunstinstitution. Die ehemalige Johannesburgerin, die diesen Mai nach Bern kam, hat auch einen ungewöhnlichen Karriereweg eingeschlagen.
Malatsie studierte zunächst Marketingmanagement, bevor sie sich der Kunstgeschichte und dann dem Kuratieren zuwandte. Ihr Berufsleben im Kunstbereich begann sie als stellvertretende Direktorin des Stevenson in Kapstadt, einer kommerziellen Galerie, bevor sie ihr Fachwissen in eine Organisation für Künstler:innenrechte einbrachte.
Als Kuratorin ist sie vor allem für ihre Arbeit für die Yokohama Triennale 2020 in Japan bekannt. Für diesen Rahmen wurde sie von den Kurator:innen des Raqs Media Collective, Michelle Wong und Lantian Xie, gebeten, ein diskretes und komplexes Programm mit dem Titel Deliberations on Discursive Justice zu kuratieren.
Mehr
Der Kampf um Gleichstellung in Schweizer Kunstinstitutionen
Als Leiterin der Kunsthalle – einem Kunstraum ohne eigene Sammlung – wird sie Teil der langen Tradition einer Institution, die immer wieder für Unruhe sorgt. In den 1960er-Jahren war sie Epizentrum radikaler Experimente unter der Leitung von Harald Szeemann. Diese kosteten ihn am Ende den Job.
2015 ernannte die Kunsthalle mit Valérie Knoll erstmals eine Frau zur Leiterin. Auf Knoll folgt nun Kabelo Malatsie. Malatsie bringt als Nicht-Europäerin eine neue Perspektive auf den Kurationsberuf und Kunstorte nach Bern.
swissinfo.ch: Wie wollen Sie die Stadt Bern und ihre Kunstszene erkunden?
Kabelo Malatsie: Bei der Orientierung lasse ich mir helfen von Leuten aus diesem Bereich, die in Bern leben. Ich werde viel zu Fuss unterwegs sein.
Die Kunsthalle Bern ist in der Kunstwelt bekannt für Experimente im zeitgenössischen Bereich. Trotzdem ist das Berner Publikum ziemlich konservativ. Wie nehmen Sie Ihr Publikum wahr?
Um ehrlich zu sein, habe ich das Publikum noch nicht kennengelernt. Es wäre unaufrichtig, wenn ich sagen würde, dass ich mit Bewusstsein für dieses Publikum kuratiere. Ich will Ausstellungen machen, die mich selbst interessieren, und hoffe, dass dies Konversationen auslöst.
Das ist, was mich interessiert: eine Plattform für Ideen und einen dialogischeren Ansatz in der kuratorischen Praxis zu. Im Gegensatz zur Position «Ich zeige euch etwas, das fertig und abgeschlossen ist», sowas schliesst jegliches Potenzial für Feedback und Gespräche aus.
Das andere, was mich interessiert, ist die Arbeit mit jungen Leuten. Insbesondere, dass sie diese Institution herausfordern. Obwohl die Kunsthalle für ihre Experimentierfreude bekannt ist, bin ich mir sicher, dass sie inzwischen alt und institutionell ist, und dies kann Kritik im Keim ersticken.
Was war für Sie der Anreiz, in der Kunsthalle zu arbeiten?
Sie ist so etwas wie ein leerer Container. Sie hat keine ständige Sammlung. Als Direktorin muss man diesen Raum vom eigenen kuratorischen Interesse geleitet füllen. Obwohl wir nur während einer relativ kurzen Zeit mit einzelnen Künstler:innen arbeiten, wäre es toll, wenn wir gemeinsam Modelle der Zusammenarbeit testen könnten und die Künstler:innen diese in ihre künftige Arbeit weitertragen.
Sie haben einmal gesagt, sie haben sich früher vorgestellt, Kuratierens bedeute, dass man Objekte an Wänden anbringt. Wie hat sich Ihr Konzept seither erweitert?
Anfangs war mein Verständnis kuratorischer Praxis von Museumskuratierung geprägt, die sehr konservativ sein kann. Jetzt denke ich, dass sogar administrative Arbeit kuratorisch sein kann. Man kann kreativ über Excel-Tabellen nachdenken und dabei auch über das Verschieben von Geldsummen hinausdenken; wir können über verschiedene Ressourcen nachdenken, die in eine Ausstellung einfliessen.
Wenn man ein Projekt macht, startet man ehrgeizig, mit einem klaren Konzept, und dann geht das Konzept nach und nach unter und die täglichen Probleme nehmen überhand.
Ich hoffe, dass ich in meiner Position eine Arbeitspraxis etablieren kann, wo die konzeptionellen Ansprüche immer hoch sind. Dass ich nicht bei den Konzepten zurückschraube und mich in der Praxis verzettele.
Wie würden Sie einen Kunstraum definieren?
Kreativität ist überall. Überall gibt es Raum für Kunst. Ich habe vor langer Zeit ein Interview gelesen, in dem [der brasilianische Künstler] Paulo Nazareth sagte, selbst wenn er aufhören würde, Kunstobjekte zu machen, und stattdessen Fischer wäre, wäre er als Fischer immer noch ein Künstler. Die kuratorische Praxis kann in mehrere Richtungen gehen.
Ich kann Ihre Perspektive verstehen, aber ist eine Galerie oder ein Museum immer noch der bevorzugte Raum für Kunst?
Es gibt die altmodische westliche Art, Dinge zu tun: Die Dinge sind in ordentlichen Boxen. Hier die Kunst, hier haben wir die Medizin und so weiter. Wenn ich von westlich spreche, meine ich damit auch kolonialisierte Länder. In Südafrika sind die Dinge ebenfalls in Kästchen eingeteilt, vor allem in formellen Institutionen.
Für mich sind diese Grenzen nicht mehr wichtig, solange das, was man tut, Sinn macht. Ein gutes Beispiel ist Stephen Alexander, ein Physiker und Jazzmusiker; man kann über wissenschaftliche Fragen nachdenken und gleichzeitig eine künstlerische Tätigkeit ausüben. Die Frage, was nun Kuratieren oder was Kunst ist, umtreibt mich darum nicht wirklich.
Es scheint mir, wir müssen abwarten, was in der Kunsthalle passiert…
Es wird Kunstobjekte geben, es wird Performances geben. Es gibt eine Reihe von Fragen, die ich mit jeder Ausstellung zu beantworten versuche. Jede Arbeit wird versuchen, eine Frage, die ich habe, nicht zu beantworten, sondern sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Für viele Kunstinstitutionen und Galerien bedeutete Covid-19 eine Zäsur und eine Neuausrichtung darauf, wie Ausstellungen produziert und vermittelt werden. Hat dies Ihr Denken beeinflusst?
Als die Museen und Ausstellungsräume geschlossen wurden, stellte die Kunstwelt ihre Werke online, und es entstand eine Sehnsucht nach physischen Art Spaces. Und ich dachte zurück an die Konzeptkunst der 60er- und 70er-Jahre und daran, dass die Idee wichtiger als das Objekt war. Diese Idee, sich von der Fixierung auf das Kunstobjekt in einen Raum der Ideen zu bewegen, hat sich seitdem nicht entwickelt.
Wenn wir Galerien und Ausstellungsräume schliessen, sollten die Ideen wirklich weiterleben können. Es gab diese Dissonanz in Bezug auf die Bedeutung des Kunstobjekts und die Tatsache, dass das Objekt Ideen über den Fakt, dass es ein Objekt ist, hinausträgt.
Einige der Online-Interventionen versuchten, den Ausstellungsraum nachzubilden. Ich hatte das Gefühl, dass wir eine Gelegenheit verpasst haben, die von Konzeptkünstler:innen vor vielen Jahren eingeführte Idee voranzutreiben.
Die Musikszene hat es immer geschafft, sich an jede technologische Veränderung anzupassen, ohne ihr Wesen zu verlieren. Die Kunst hingegen scheint technologisch festzustecken, sie bewegt sich nicht.
Ich fürchte, der Markt hindert sie.
Ja, das Ding mit dem Markt ist, dass es sich um eine so kleine Gruppe von Menschen handelt.
Aber er ist oft jener Weg, auf dem die Kunst in die Öffentlichkeit gelangt.
Wir müssen einen Ausweg finden, oder? Ansonsten müssen wir akzeptieren, dass sich die Dinge nicht bewegen.
Editiert von: Eduardo Simantob
Übertragung aus dem Englischen: Benjamin von Wyl
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch