Kunstraub zur Erpressung von Lösegeld?
Auf dem Kunstmarkt sind die beim grössten Raubüberfall in der Schweiz gestohlenen vier Gemälde unverkäuflich. Eine Möglichkeit, das Diebesgut in Geld umzuwandeln, ist das so genannte "Artnapping".
Dabei dienen die Kunstwerke als eine Art Geisel, mit denen von der Versicherung Lösegeld erpresst wird. Die Täter drohen mit der Zerstörung der unersetzbaren Gemälde.
«Es ist nicht ausgeschlossen, dass es sich beim Raubüberfall auf die Sammlung Bührle um Artnapping handelt und dass eine Lösegeldforderung eintreffen wird», sagt Yves Fischer, Leiter der Fachstelle Kulturgütertransfer beim Bundesamt für Kultur im Gespräch mit swissinfo.
«Vielfach ist das die einzige Möglichkeit, aus dem Diebstahl einen Gewinn zu erzielen, denn diese Kategorie von Werken ist auf dem internationalen Kunstmarkt unverkäuflich.»
Fischer begründet seine Einschätzung auf der Tatsache, dass die gestohlenen Werke in verschiedenen Polizeidatenbanken als gestohlen registriert sind, namentlich bei Interpol. Kunsthändler würden sich zudem strafbar machen. «Es gibt zu viele Kontrollmechanismen», so Fischer.
Bleiben also der Schwarzmarkt, ein reicher Auftraggeber, der unbedingt gewisse Gemälde aus dem Topsegment haben will, oder Artnapping.
Den reichen Kunstliebhaber als Drahtzieher im Hintergrund schliesst Fischer praktisch aus. «Diese Hypothese hat sich in der bisherigen Praxis selten bis nie bewahrheitet.»
Es sei vorgekommen, dass Kunst auf dem Schwarzmarkt als eine Art Währung eingesetzt worden sei. «Es gibt einen Fall in Lateinamerika. Da wurden Kunstwerke gegen Drogen und Waffen ausgetauscht.»
Artnapping?
80% aller Kunstdiebstähle werden nie aufgeklärt. Zahlreiche gestohlene Werke werden nach Monaten oder Jahren an anonymen Orten wie Toiletten oder Bushaltestellen wieder aufgefunden.
Experten gehen davon aus, dass in andern Fällen Versicherungen oder Besitzer an der Polizei vorbei das verlangte Lösegeld bezahlen. Dies unter der Bezeichnung «Belohnung für Hinweise zur Wiederbeschaffung».
Interessenabwägung
Yves Fischer betont, es sei «relativ selten», dass Versicherungen effektiv Lösegeld bezahlen. «Die Versicherer hüten sich davor, auf solche Forderungen einzugehen. Sie wollen ja nicht Anreize schaffen für weitere solche Machenschaften.»
In gewissen Fällen treten die Museen und ihre Versicherungen auf die Forderungen ein. Dies im Interesse der polizeilichen Ermittlungen, um so näher an die Täter oder mindestens an deren Anwälte heranzukommen.
Für die Versicherungen kann sich das Bezahlen von Lösegeld in einigen Fällen lohnen. «Wenn die Lösegeldsumme niedriger ist, als der Versicherungswert. Die Versicherungen wollen den Schaden möglichst gering halten. Da geht es um Interessenabwägung», sagt Yves Fischer.
swissinfo, Andreas Keiser
Das Museum der Stiftung E.G. Bührle beherbergt eine der wichtigsten privaten Sammlungen europäischer Malerei. Die rund 200 Bilder und Skulpturen sollen später in den geplanten Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses integriert werden.
Die Stiftung wurde 1960 gegründet. Der Schwerpunkt der Sammlung bildet die Malerei des französischen Impressionismus und Post-Impressionismus.
Emil Bührle, früher Alleininhaber der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon Bührle, des grössten Schweizer Waffenproduzenten, hatte in den 1930er Jahren mit dem Sammeln von Kunst angefangen.
Den grössten Teil der Sammlung erwarb er in den 1950er Jahren. Einige der in den Kriegsjahren erworbenen Bilder erwiesen sich später als durch die deutschen Besatzer geraubt.
Wenn überhaupt, könnten die gestohlenen Bührle-Bilder zum vollen geschätzten Marktwert oder nur zu einem Teilwert versichert sein.
Bei der Versicherung von Kunstgegenständen wird normalerweise ein Wert vereinbart, der sich am Marktwert orientiert. Die Prämie liegt gewöhnlich bei rund 3 Promille des versicherten Wertes.
Bei der Festlegung der Rahmenbedingungen werden Fachleute beigezogen. Zahlreiche Versicherungsvermittler und Kunstsachverständige bieten den Kunden und Versicherern ihre Dienstleistungen an.
In der Schweiz sind unter anderen AXA Art, Allianz Art, National Artas und die UNIQA Kunstversicherung tätig.
AXA Art wirbt damit, ein Werk von Leonardo da Vinci für 100 Mio. Dollar und den Transport einer Beuys-Installation für 6 Mio Fr. versichert zu haben.
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