Leidenschaftliches Plädoyer für eine Reform des Islam
In ihrem neuen Buch plädiert die in Bern lebende Politologin und Romanautorin Elham Manea für eine Reform des zum Herrschafts-Instrument erstarrten Islam. Sie schöpft aus ihrer jementisch-ägyptischen Herkunft und Erfahrungen in verschiedenen Welten.
«Ich will nicht mehr schweigen»: Der Titel verrät, dass dies ein Bekenntnisbuch ist. Allerdings ist es ein hoch politisches.
Die jemenitisch-schweizerische Politologin Elham Manea macht sich stark für einen humanistischen Islam, dessen Ziel das Wohlergehen des Menschen ist.
Gemäss dieser Auffassung ist Religion wie ein Samen: «Nachdem man ihn in die Erde gepflanzt hat, sollte man ihn wässern, nähren und sorgsam pflegen, damit er wächst und zu einem blühenden Baum wird», schreibt sie.
Nur wenn man den Islam als etwas Organisches betrachte, könne man den Weg für seine Reform ebnen, so die Autorin.
Bereits in diesem Bild bricht sie ein Tabu des orthodoxen Islam, der den Koran als Gottes Wort und also als unantastbar versteht, wie «in Stein gemeisselt».
Religion als private Beziehung zu Gott
Elham Manea wendet sich in ihrem Buch vehement gegen einen Islam, der Frauen ins Haus, hinter den Schleier und in die Ehe zwingt, der weiter das selbständige Denken und Hinterfragen von Glaubensstrukturen verbietet. Und sie plädiert dafür, Religion als private Beziehung jedes Menschen zu Gott anzusehen.
Die 1966 als Tochter eines jemenitischen Diplomaten und einer ägyptischen Mutter in Kairo geborene und in zahlreichen Ländern aufgewachsene Elham Manea hatte Glück. Ihre Eltern waren äusserst liberal eingestellt. Sie war eines der wenigen Mädchen im Jemen, die kein Kopftuch tragen mussten. Ihr Vater brachte ihr die grossen Dichter und Philosophen nahe und unterstützte ihren Freiheitsdrang.
Als er ins ultrakonservative Königreich Saudiarabien versetzt werden sollte, wo strikte Geschlechtertrennung herrscht und alle Frauen sich verschleiern müssen, lehnte er dies ab, mit der Begründung, er habe eine Tochter.
«Muslimin» nach 9/11
Elhams Mutter ist nicht so glücklich und wohl behütet aufgewachsen. Als Mädchen wurde sie beschnitten und bereits im Alter von 13 Jahren verheiratet. Die schmerzvolle Geschichte ihrer Mutter ist ein starker Antrieb für das Forschen und Schaffen der Autorin, die auch bereits zwei Romane geschrieben hat.
Elham Manea studierte in den USA. Heute lebt sie mit ihrem Mann und der gemeinsamen Tochter in Bern. Wegen ihrer freien Erziehung ist ihr die Religion nie zum Problem geworden.
Sie habe sich nicht einmal als Muslimin empfunden, schreibt sie in ihrem Buch. «Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 hat sich dies geändert. Von einem Tag auf den anderen wurde ich zu einer Muslimin!»
Keine Denkverbote und keine Repression
Sie konnte noch so betonen, dass sie sich als Frau, Araberin, Jemenitin und Humanistin verstehe, man wollte von ihr nur wissen, was sie «als Muslimin» über die Ereignisse und den Islam allgemein denke. Die Politologin begann, ihre Herkunft kritisch zu hinterfragen und sich mit dem Islam auseinanderzusetzen.
Das Buch «Ich will nicht mehr schweigen» verbindet auf überzeugende und berührende Weise autobiografische Elemente mit der historisch fundierten Analyse eines zum Herrschaftsinstrument erstarrten Glaubens- und Rechtssystems und mündet schliesslich in ein leidenschaftliches Plädoyer für einen Islam ohne Denkverbote und Repression.
Reislamisierung nach vernichtender Niederlage
Wenn Elham Manea die Religion in den historischen Kontext stellt, in dem sie entstanden ist, spiegelt sie auch die jüngste Reislamisierung an ihren gesellschaftlichen Bedingungen.
Sie zeigt, dass der politische Islam erst nach der vernichtenden Niederlage der Araber im Sechstagekrieg gegen Israel auf fruchtbaren Boden fiel und mit dem Slogan «Der Islam ist die Lösung» die frustrierten Massen gewann.
Angesichts der problematischen Identität junger Emigranten aus muslimischen Ländern in Europa fordert die Autorin eine Alternative zum orthodoxen Islam und schliesst: «Der Islam ist nicht die Lösung. Der Mensch ist die Lösung.»
Mit ihrem engagierten, kenntnisreichen und rational argumentierenden Buch gibt sie der schweigenden Mehrheit der Muslime eine Stimme.
Susanne Schanda, swissinfo.ch
Elham Manea: «Ich will nicht mehr schweigen. Der Islam, der Westen und die Menschenrechte»
Aus dem Englischen von Maria Buchwald
Herder Verlag 2009, 200 Seiten
Das Forum für einen fortschrittlichen Islam wurde 2004 von Saïda Keller-Messahli gegründet.
Das Forum will eine Alternative zu anderen islamlischen Organisationen in der Schweiz sein, die die Worte des Korans eins zu eins verkündet und eins zu eins umgesetzt haben wollen.
Nach der Ansicht des Forums sollte der Koran als Text seiner Zeit und seines Raums verstanden werden.
Der Text soll mit dem heutigen Wissenstand ergänzt und so zu einer modernen, menschlichen und lebensbejahenden Quelle werden.
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