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Libby Heaney verbindet Quantenphysik mit Kunst in Basel

Blick in einen Ausstellungsraum
Das Haus der Elektronischen Künste (HEK) in Basel zeigt bis zum 26. Mai 2024 die Ausstellung "Quantensuppe". HEK Basel

Die Welt durch die kontraintuitiven Regeln des Kleinen betrachten. Dies ermöglicht die Ausstellung "Quantum Soup", die derzeit im Haus der Elektronischen Künste in Basel zu sehen ist. Es ist die erste monografische Ausstellung der Künstlerin und promovierten Quantenphysikerin Libby Heaney in der Schweiz. Ein Gespräch.

Die Realität, mit der wir umzugehen gelernt haben, ist die Newtonsche, die aus Ursache und Wirkung besteht. Wenn etwas nach oben geht, schliessen wir daraus, dass es nicht gleichzeitig nach unten gehen kann.

Doch wer glaubt, mit dieser Logik die unendlich kleine Welt der Elektronen, Protonen, Photonen und Bosonen erklären zu können, wird bitter enttäuscht.

Libby Heaney
Libby Heaney ist eine bildende Künstlerin mit einem Doktortitel und einem beruflichen Hintergrund im Bereich Quantencomputer. Heaney hat an der University of Oxford und der National University of Singapore gearbeitet und 20 Physikartikel in verschiedenen Fachzeitschriften veröffentlicht. Sie erhielt den HSBC and Institute of Physics, Very Early Career Woman in Physics Award. Im Jahr 2015 schloss sie ihr Studium am Central St. Martins in London mit einer Spezialisierung auf KI und kinetische Skulptur ab. Von 2017 bis 2024 war sie Resident in den Somerset House Studios in London und gewann 2022 den Lumen Prize und den Falling Walls Art & Science Award.
Quelle: libbyheaney.co.uk
HEK Basel

Nicht so die Künstlerin Libby HeaneyExterner Link. Die kontraintuitiven Regeln der Quantenphysik sind das täglich Brot der promovierten Quantenphysikerin.

Als wir die Britin im Haus der Elektronischen Künste (HEK) in BaselExterner Link treffen, erklärt sie uns eines der Konzepte, die ihrer Kunst zugrunde liegen: das Prinzip der Quantensuperposition: Demnach kann eine Entität, ein Atom, ein Teilchen, in mehr als einem sich widersprechenden Zustand gleichzeitig existieren.

«Wenn ich ein Quantenteilchen wäre, könnte ich gleichzeitig hier und in London sein. Eine andere Analogie wäre eine Münze, die sich in der Luft dreht und nicht stehen bleibt. Sie ist Kopf und Zahl zugleich. Zumindest bis wir sie beobachten. Wenn wir sie messen, verschwindet die Überlappung.»

Ironischerweise ist diese junge Frau sowohl Wissenschaftlerin als auch Künstlerin, und wenn wir sie «beobachten», indem wir ihr Fragen zur Ausstellung und zu ihrer Weltsicht stellen, kommt der eine oder andere Aspekt zum Vorschein, und doch bleiben beide untrennbar miteinander verbunden.

SWI swissinfo.ch: Welche Rolle spielt die Quantenphysik in Ihrer Kunst?

Libby Heaney: Ich benutze die Quantenphysik als ein Prisma, durch das ich die Realität auf eine nicht-binäre, queere Art und Weise betrachte.

Warum ist das wichtig? Weil wir in einer polarisierten, sehr individualistischen Zeit leben. Links gegen rechts. Geld verdienen. Wir gegen die. Ich versuche zu zeigen, dass es auch anders geht.

Sie haben als erster Mensch einen Quantencomputer als künstlerisches Medium eingesetzt. In welcher Weise?

Ich besitze natürlich keinen Quantencomputer. Ich glaube, der kostet 100 Millionen Pfund. Oder Franken, sorry, wir sind in der Schweiz! IBM hat Quantencomputer, die sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, und alle können ein Konto eröffnen.

Da ich in Quanteninformatik promoviert habe, weiss ich, wie man gewisse Dinge programmiert.

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Auf dem Quantencomputer erzeuge ich ein Phänomen, das man Quantenverschränkung nennt. Das Ergebnis kann man sich wie ein Objekt in einem hoch multidimensionalen Raum vorstellen. Es ist fast so, als ob ich in einem Quantencomputer ein Multiversum erschaffe, in dem verschiedene Realitäten gleichzeitig existieren.

Ich programmiere den Computer so, dass ich die Muster, die Wellenbewegungen dieses Multiversums, dieses grossen verschränkten Objekts, sehen kann. Und dann benutze ich diese Daten, um die Videos zu bearbeiten.

Auf diese Weise existieren 32 Videos gleichzeitig, eine gigantische Quantensuperposition. Die verschiedenen Videos sind mehr oder weniger sichtbar, je nach den Wellenabdrücken der Quantenverschränkung.

Ein kurzer Ausschnitt aus der Videoinstallation «slimeQrawl», die Heaney in Zusammenarbeit mit einem 5-Qubit Quantencomputer von IBM realisiert hat:

Gibt es eine Arbeit, die Ihnen besonders am Herzen liegt?

Als ich das Virtual-Reality-Werk «Heartbreak and Magic» gemacht habe, arbeitete ich mit einem Team von Entwicklerinnen und Entwicklern zusammen. Ich programmiere auch, aber es ist eine sehr anspruchsvolle Arbeit. Viele Leute sind daran beteiligt.

Irgendwann haben wir die verschiedenen Quanteneffekte zu der Welt hinzugefügt, die wir geschaffen hatten. Als ich den VR-Visor aufsetzte, merkte ich, dass meine Arbeit ein Eigenleben entwickelt hatte. Es war ein Quantenuniversum geworden. Es hatte sich über meine Absichten oder die der Programmierenden hinweggesetzt.

Es ist magisch. Ich muss weinen, wenn ich es sehe. Es ist schön und aufregend… und traurig. Ich denke, es fängt den Sinn des Lebens ein, die reine Schönheit und die reine Traurigkeit des Lebens und des Todes.

Kunstwerk mit Schmetterling
In der Virtual-Reality-Erfahrung «Heartbreak and Magic» führt ein Schmetterling durch ein Quantenuniversum. HEK Basel

«Heartbreak and Magic» ist ihrer Schwester gewidmet, die sich 2019 das Leben genommen hat. Können Sie sagen, dass Ihnen die Quantenphysik in gewisser Weise bei Ihrer Trauerarbeit geholfen hat?

Ich habe mich nicht freiwillig der Quantenphysik zugewandt. Alle, die einen plötzlichen Verlust erlebt haben, wissen, dass Trauer einen in eine andere Realität versetzt.

Man fühlt sich losgelöst von den Menschen und dem normalen Leben. Die Welt dreht sich weiter. Und Sie und Ihre Familie befinden sich in einer Blase.

Wenn jemand, den man liebt, plötzlich stirbt, kann das Gehirn das nicht begreifen. Ich kann nicht für andere sprechen, aber ich musste einen Weg finden, dem Ganzen einen Sinn zu geben.

Ich glaube, das haben die Menschen im Lauf der Geschichte auch mit der Religion gemacht. Ich bin nicht religiös, und das Einzige, von dem ich wusste, dass es grösser ist als ich und mir Antworten geben kann, ist die Quantenphysik.

Als ich auf der Beerdigung meiner Schwester sprach, war es Januar, mitten in England, in der Nähe von Birmingham. Es war kalt, dunkel und grau.

Als ich meine Rede beendet hatte, flog ein Schmetterling in einem Kreis vom Dach der Kirche herab. Es war kein Nachtfalter, es war ein Schmetterling. Rot, bunt.

Alle sahen ihn. Das war nicht meine Halluzination. Meine Schwester hatte sich einen Schmetterling auf den Fuss tätowieren lassen. Klar, das kann ein Zufall sein. Aber… wann sieht man in England im Januar einen Schmetterling? Nie!

Es könnte ein Zufall sein, aber für mich ist es mehr als das. Könnte meine Schwester irgendwo im Multiversum sein?

In der Quantenwissenschaft kann man bekannte Informationen nicht löschen. Wohin gehen die Informationen in der DNA, die Informationen über uns? Werden wir zu einer delokalisierten Form? Wahrscheinlich stimmt das alles nicht, aber es hat mich getröstet.

Digitales Kunstwerk
Die Gebilde der 360-Grad-Videoinstallation «Ent-» lösen sich auf, fliessen und setzen sich wieder zusammen. HEK Basel

Sie nutzen Quantencomputer auch, um die Risiken und Chancen dieser Technologie aufzuzeigen. Worin bestehen diese?

Derzeit nutzen grosse Technologieunternehmen Instrumente wie künstliche Intelligenz und das Internet, um Unmengen von Daten über uns zu sammeln.

Zumindest in Grossbritannien wurden bereits Wahlen manipuliert. Das Gleiche ist bei der Brexit-Abstimmung mit Online-Interventionen passiert.

Wenn wir uns in den sozialen Medien bewegen, verstehen wir nicht, wie maschinelles Lernen vorhersagen kann, was wir kaufen werden. Ich glaube, dass Quantencomputing den Überwachungskapitalismus exponentiell beschleunigen wird.

Andererseits gibt es auch positive Aspekte. Zukünftige Quantencomputer werden sehr effizient sein, wenn es darum geht, Modelle der Realität – mikroskopische Systeme, biologische Systeme – mit einer Genauigkeit zu erstellen, wie es mit digitalen Computern nie möglich war.

Wir werden vielleicht in der Lage sein, die Photosynthese so zu verstehen, dass wir sie nachahmen können.

Meine Arbeit «Q is climate (?)» beschäftigt sich mit diesem Thema. Forschende und Technologieunternehmen sagen: Wir können eine neue Generation von Lithium-Ionen-Batterien herstellen.

Aber sie berücksichtigen nicht den Abfall, den Abbau, das Land, das zerstört wird, und die Auswirkungen auf die Menschen im globalen Süden.

Mit meiner Arbeit versuche ich, eine Alternative zum Kreislauf von Positivem und Negativem aufzuzeigen. Eine andere Zukunft, die allen zugutekommt. Anstatt in binären Kategorien zu denken, können wir in Kategorien der Pluralität denken. Und erkennen, dass wir zutiefst miteinander «entangled» [verwoben] sind.

Videoinstallation
Ein Ausschnitt aus der Videoinstallation «Q is climate (?)». HEK Basel

Ist Ihre Kunst eine Aufforderung, dies zu erreichen?

Ich bin auch Wissenschaftlerin, und meiner Erfahrung nach sind Forschende derart zufrieden mit den Werkzeugen, die sie geschaffen haben, dass sie nicht darüber nachdenken, welche Auswirkungen sie auf die Welt haben könnten.

Ich möchte die Kunst nicht instrumentalisieren, aber ich denke, sie ist ein guter Raum für neue Bilder und für die Diskussion über diese alternative Erzählung.

Es ist kein Raum, um Vorträge über Quantenphysik zu halten, dazu habe ich nicht das Bedürfnis. Aber ich möchte alle ermutigen, sich damit zu beschäftigen.

Quantenphysik ist schwierig, aber sie ist so magisch. Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind die Gegenwart. Aber die Zukunft wird die Quantenphysik sein.

Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub

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