Liliput – Aufstand im Zwergstaat
Liliput gehört zu jenen raren Schweizer Bands, die Weltruhm erlangten. Mit den "Slits" und den "Raincoats" gehörte sie zu den drei ersten Frauenpunkbands Ende der 1970er-Jahre. Nun wurde sie mit der englischen Übersetzung des bildstarken Tagebuchs von Bandmitglied Marlene Marder gewürdigt.
1978, in der ersten Punkwelle gegründet, benannten sie sich nach einem Abfallprodukt: Doch nach einem Konflikt mit dem Taschentuchhersteller mussten sie ihren Namen «Kleenex» wieder abgeben.
Sie hätten sich so genannt, weil ihre Musik auch etwas Beiläufiges habe, wie ein Taschentuch, das man nach einmaligem Gebrauch wegschmeissen könne, sagten die Gründerinnen in einem Interview. Auch der Name «Liliput» könnte mit der Benennung nach dem Zwergenstaat als Understatement verstanden werden.
Dabei schaffte es ihre Musik aus dem Proberaum im Luftschutzbunker mit ihrer Wucht in den 1980er-Jahren auch über den Atlantik: Musik-Kritiker wie Greil Marcus waren tief beeindruckt.
Marcus meinte einmal, Liliput hätten ihre Musik gemacht, «als würden sie gegen eine Mauer anrennen»: «Sie machten ihre Musik, als wüssten sie nicht, was als nächstes geschieht, aber eigentlich war ihnen das auch egal.» Schon 1984 löste sich die Combo auf.
Dass sie bis heute auf dem Radar einer internationalen Kultgemeinde sind, zeigt die Übersetzung von Marlene Marders Tagebuch, einer der zentralen Figuren der Band. 1986 gab sie ein Kompendium von Fotos, Zeichnungen, Collagen, Aufzeichnungen heraus. Seit letztem Jahr ist es in einer englischen Übersetzung erhältlich.
In einer limitierten Ausgabe erschienen, wurde es damit endgültig zum Kunstbuch erhoben. Die Neu-Ausgabe sieht sich als «Interpretation, eine Übersetzung, eine Wiederveröffentlichung, ein Versuch, Marlenes widerspenstiges Original zu erweitern.»
Bei einer Re-Union der Punkband Anfang der 1990er-Jahre schien die Bescheidenheit Realismus gewichen zu sein: «Zuerst haben wir uns fast totgelacht, erst später haben wir realisiert, das war wirklich gut, für diese Zeit, wie wir da angefangen haben», meinte Marlene Marder in einem Interview mit SRF 1993. Gleichzeitig wusste sich die Frauen-Punkband aus der Schweiz schon von Beginn weg historisch gut einzuordnen.
Bereits auf dem Cover von «Eisiger Wind» von 1981 inszenierten sie sich als Erbinnen Hugo Balls, der als menschlicher Karton-Trichter im Cabaret Voltaire 1916 dadaistische Gedichte vortrug. Nur dass ihre Kartongewänder weit agiler und kämpferischer daherkamen als jene des leicht verklemmt wirkenden Dadaisten. Liliput war letztlich auch der Staat, auf dem der Riese Gulliver gefesselt wurde.
Editiert von Mark Livingston
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