Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Liliput – Aufstand im Zwergstaat

Kleenex Schlussfest Saus und Braus im Volkshaus
LiLiPUT, mit Marlene Marder vorne links, spielt im Volkshaus Zürich beim Schlussfest der Ausstellung "Saus und Braus" in der Städtischen Galerie zum Strauhof, aufgenommen am 29. August 1980. Niklaus Stauss / Keystone

Liliput gehört zu jenen raren Schweizer Bands, die Weltruhm erlangten. Mit den "Slits" und den "Raincoats" gehörte sie zu den drei ersten Frauenpunkbands Ende der 1970er-Jahre. Nun wurde sie mit der englischen Übersetzung des bildstarken Tagebuchs von Bandmitglied Marlene Marder gewürdigt.

1978, in der ersten Punkwelle gegründet, benannten sie sich nach einem Abfallprodukt: Doch nach einem Konflikt mit dem Taschentuchhersteller mussten sie ihren Namen «Kleenex» wieder abgeben.

Sie hätten sich so genannt, weil ihre Musik auch etwas Beiläufiges habe, wie ein Taschentuch, das man nach einmaligem Gebrauch wegschmeissen könne, sagten die Gründerinnen in einem Interview. Auch der Name «Liliput» könnte mit der Benennung nach dem Zwergenstaat als Understatement verstanden werden.

Original
Der Umschlag der deutschen Originalausgabe von Marlene Marders Tagebuch von 1986. editionpatrickfrey.ch

Dabei schaffte es ihre Musik aus dem Proberaum im Luftschutzbunker mit ihrer Wucht in den 1980er-Jahren auch über den Atlantik: Musik-Kritiker wie Greil Marcus waren tief beeindruckt.

Marcus meinte einmal, Liliput hätten ihre Musik gemacht, «als würden sie gegen eine Mauer anrennen»: «Sie machten ihre Musik, als wüssten sie nicht, was als nächstes geschieht, aber eigentlich war ihnen das auch egal.»  Schon 1984 löste sich die Combo auf.

Dass sie bis heute auf dem Radar einer internationalen Kultgemeinde sind, zeigt die Übersetzung von Marlene Marders Tagebuch, einer der zentralen Figuren der Band. 1986 gab sie ein Kompendium von Fotos, Zeichnungen, Collagen, Aufzeichnungen heraus. Seit letztem Jahr ist es in einer englischen Übersetzung erhältlich.

In einer limitierten Ausgabe erschienen, wurde es damit endgültig zum Kunstbuch erhoben. Die Neu-Ausgabe sieht sich als «Interpretation, eine Übersetzung, eine Wiederveröffentlichung, ein Versuch, Marlenes widerspenstiges Original zu erweitern.»

Plattencover und HUgo Ball
Marlene Marder auf dem Plattencover verkleidet als Hugo Ball – der Bezug zum Auftritt des Dadaisten im Zürcher Cabaret Voltaire von 1916 ist wohl nicht ganz zufällig. Alamy Stock

Bei einer Re-Union der Punkband Anfang der 1990er-Jahre schien die Bescheidenheit Realismus gewichen zu sein: «Zuerst haben wir uns fast totgelacht, erst später haben wir realisiert, das war wirklich gut, für diese Zeit, wie wir da angefangen haben», meinte Marlene Marder in einem Interview mit SRF 1993.  Gleichzeitig wusste sich die Frauen-Punkband aus der Schweiz schon von Beginn weg historisch gut einzuordnen.

Bereits auf dem Cover von «Eisiger Wind» von 1981 inszenierten sie sich als Erbinnen Hugo Balls, der als menschlicher Karton-Trichter im Cabaret Voltaire 1916 dadaistische Gedichte vortrug. Nur dass ihre Kartongewänder weit agiler und kämpferischer daherkamen als jene des leicht verklemmt wirkenden Dadaisten. Liliput war letztlich auch der Staat, auf dem der Riese Gulliver gefesselt wurde.

Editiert von Mark Livingston

Beliebte Artikel

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft