Isabelle Eberhardt, Pionierin der Schweizer Reiseautorinnen
Sie hat den Weg des Reisejournalismus und der Reiseliteratur für Schweizer Frauen geebnet. Die zeitweise in Vergessenheit geratene Genfer Autorin Isabelle Eberhardt steht im Zentrum einer Ausstellung in Genf, die bis zum 7. April dauert. Ihre vielschichtige Identität gab Eberhardt eine doppelte Perspektive auf den Westen und den Osten.
«Mit dem einen Auge auf die Aussenwelt schauen, mit dem anderen tief in sich selbst hinein.» Dieser Satz stammt vom italienischen Maler Amedeo Modigliani. Isabelle Eberhardt hätte sich diese Aussage zu eigen machen können; sie, die unter ihre Manuskripte als «Unterschrift» ein Auge setzte.
Ein Auge auch am Ende eines Liebesbriefs, der in der Ausstellung zu sehen ist. Er richtete sich an «Zizou Liebling», ihren Ehemann Slimène Ehni. Unter anderem schrieb sie darin in Französisch: «Ich umarme Dich von ganzem Herzen, das Dir gehört…», und fuhr auf Arabisch fort: «… in dieser Welt und für die Ewigkeit».
Die beiden Sprachen verschmelzen zu einer schönen Kalligraphie. Sie enthüllen die facettenreiche Kultur und Identität dieser polyglotten Schweizerin, die 1877 bei Genf geboren wurde.
Im Alter von 20 Jahren verlässt sie die Stadt, um sich in Algerien niederzulassen. Dort wird sie auch sterben, im Alter von erst 27 Jahren, als sie bei einem Unwetter in Aïn Sefra in ihrem Lehmhaus von reissenden Fluten überrascht wird.
In Männerkleidern unterwegs
Das vielfältige Gesicht einer Frau, die nach mehr dürstet: Einerseits die Zivilisation des Westens, andererseits jene des Orients. Zwischen diesen Polen bewegt sich der intime und zugleich offene Blick von Isabelle Eberhardt: Wagemutige Autorin und Abenteurerin, die oft Männerkleidung trägt und so die Wahrnehmung ihrer Identität verwischt, sowohl anziehend wirkt als auch Angst macht. Männern Angst macht.
Eberhardt ist ein komplexer Mensch. «De l’une à l’autre» (Von der Einen zur Anderen), lautet denn auch der Titel der AusstellungExterner Link, die ihr das Rousseau-Haus für Literatur (Maison de Rousseau et de la littérature, MLR) in Genf widmet.
Zu sehen ist die Schau im kleinen Genfer Museum Maison Tavel. In der Ausstellung sind – sorgsam in Vitrinen präsentiert – Manuskripte, Zeichnungen und offizielle Dokumente zu sehen. Darunter der bereits erwähnte Liebesbrief.
«Ich musste lange kämpfen, um diese Ausstellung organisieren zu können», erklärt Kuratorin Karelle Ménine. «Isabelle Eberhardt war in Vergessenheit geraten, anders als Ella Maillart und Anne-Marie Schwarzenbach, denen sie doch den Weg geebnet hatte. Man muss auch sagen, dass Literatur von Frauen zur Zeit Eberhardts noch nicht auf genügend Anerkennung für eine weite Verbreitung gestossen war.»
Zudem habe Eberhardt, die Genf verliess, als sie noch sehr jung war, nicht die Zeit gehabt, in der Schweiz Freunde zu finden, die für sie einstehen und ihr Werk nach ihrem Tod hätten bekannt machen können.
Manuskripte aus Fluten gerettet
Romane («Trimardeur»), Notizen von unterwegs (unter anderem «Sud oranais»), Novellen, Reportagen, Liebesbriefe… Das Gesamtwerk von Isabelle Eberhardt in Französisch wird heute herausgegeben vom Verlag Grasset in Paris (ins Deutsche übersetzte Werke, siehe Kästchen).
In der Genfer Ausstellung kann man eine ihrer Novellen, «Heures de Tunis», in elektronischer Form lesen. Die Manuskripte sind eine Leihgabe der französischen Nationalarchive der Übersee-Gebiete (Archives nationales d’outre-mer) in Aix-en-Provence.
«Frankreich hatte sie behalten, es war die Kolonialzeit. Dank Lyautey [einem späteren General der französischen Armee, der in Algerien stationiert war], konnten verschiedene Manuskripte aus den Schlammfluten gerettet werden. Eberhardt hatte sie auf sich getragen. Lyautey hatte Isabelle gekannt und einen Suchtrupp nach Aïn Sefra geschickt, um sie zu finden», sagt Kuratorin Ménine.
Während ihrer Zeit in Algerien schrieb Eberhardt zahlreiche Berichte, die in Al-Akhbar erschienen, einer französischsprachigen algerischen Zeitung, die vom Franzosen Victor Barrucand herausgegeben wurde. Er zensurierte aber verschiedene ihrer Beiträge, «korrigierte und manipulierte nach Belieben Texte der Genfer Autorin», bedauert Ménine. Das sei schade, denn sie habe einen ausgeprägten Stil gehabt.
Anarchistisches Milieu
Die Texte aus ihrer Feder sind ebenso schön, wie ihre Kultur reich. Geboren in einem Anarchisten-Milieu, wird Eberhardt von einem russischen Hauslehrer armenischer Herkunft grossgezogen, ihrem vermutlichen Vater. Offiziell ist sie die uneheliche Tochter von Nathalie Eberhardt, die aus dem zaristischen Russland geflohen war und sich mit ihren Kindern in Genf niederliess.
Isabelle Eberhardt wuchs in einem Haushalt auf, der dem Wind der Geschichte ausgesetzt war, wissbegierig und rebellisch gegenüber jeder Art von Autorität. Die Genfer Polizei beobachtete das Geschehen der Anarchisten rund um die Eberhardts genau.
Suchte Eberhardt die Weite der algerischen Wüste, um dem erstickend wirkenden Genf zu entfliehen? Vielleicht. Auf jeden Fall fand sie dort einen Raum, der zu ihr passte, und wandte sich dem Sufismus zu.
«Was ihr an dieser Religion gefiel, war deren humanistische Philosophie. Sie war selbst auf der Suche nach Brüderlichkeit. In der Wüste suchte sie ein glaubwürdiges Leben, das Gegenteil von dem, was das industrialisierte und individualisierte Europa darstellte, schon damals», kommt Ménine zum Schluss.
Auf Deutsch unter anderem erschienen:
Als Taschenbücher im Rowohlt-Verlag:
Sandmeere 1 – Tagwerke/Im heissen Schatten des Islam
Sandmeere 2 – Notizen von unterwegs/Vergessenssucher
Briefe an drei Männer
Im Verlag Lenos, Basel:
Sieben Jahre im Leben einer Frau – Briefe, Tagebuchblätter, Prosa
(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)
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