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Die Schweiz ist keine Film-Insel mehr

Locarno: eine Hommage an die Geschichte des Kinos

Der junge Alain Delon mit Annie Girardot in "Rocco e i suoi fratelli" vom Luchino Visconti (1960). cinetext

Auch wenn wohl kein roter Teppich ausgelegt wird, kann das Filmfestival Locarno dieses Jahr mit einigen Prominenten aufwarten, darunter Alain Delon, Charlotte Rampling, Ornella Muti und Harry Belafonte. Doch auch der Schweizer Film kommt nicht zu kurz.

Kleine und grosse Stars, Autoren- und experimentelle Dokumentarfilme finden zusammen zu einem «vielseitigen, ereignisreichen und eklektischen» Programm, wie am 11. Juli der künstlerische Leiter Olivier Père das 65. «Festival internazionale del film di Locarno» ankündigte.

In seiner dritten Saison setzt Père erneut auf Qualitätskino und einen Hauch von Glamour – jene Mischung, die in den letzten Jahren sowohl Filmfans wie auch das grosse Publikum begeistern konnte.

«Das Festival ist ein Laboratorium der Ideen, ein Ort der Entdeckungen, aber auch eine Hommage an das Kino, an seine Geschichte und alle, die dazu beigetragen haben», sagte Père gegenüber swissinfo.ch.

Dies zeigt die Anwesenheit des französischen Schauspielers und Regisseurs Alain Delon, der in Locarno in Anerkennung seiner langjährigen künstlerischen Karriere mit dem «Life Achievement Award» ausgezeichnet werden wird.

Oder der Tribut an den Meister Hollywoods, den aus Europa stammenden Otto Preminger, dem dieses Jahr die traditionelle Retrospektive gewidmet ist, ein Höhepunkt des Festivals.

Es regnet Stars

Wie bereits im Vorjahr kommt das amerikanische Kino auf der Piazza Grande zu Ehren, mit Persönlichkeiten wie Steven Soderbergh («Magic Mike») und Jonathan Dayton, der mit Valerie Faris «Ruby Sparks» erstmals auf einem internationalen Festival präsentiert.

Eröffnet wird das Festival vom Briten Nick Love, der «The Sweeney» zeigt, ein Spielfilm, der auf einer in den 1970er-Jahren in Grossbritannien beliebten TV-Polizeiserie basiert.

Die Präsenz des US-Films zeigt sich auch mit Werken von jungen unabhängigen Filmemachern im internationalen Wettbewerb. Unter den 19 Filmen im Wettbewerb, darunter 13 Weltpremieren, finden sich aber auch bekannte Gesichter aus dem internationalen Film, wie etwa der Portugiese João Pedro Rodrigues, mit «A última vez que vi Macau» erstmals im Wettbewerb, und der Franzose Claude Brisseau mit «La fille de nulle part».

Der Ehrenleopard, in der Vergangenheit an Regisseure wie Ken Loach, Jean-Luc Godard und Alain Tanner vergeben, geht dieses Jahr an den französischen Regisseur Leos Carax, dessen letztes Werk «Holy Motors» in Cannes grosse Erfolge bei Publikum und Kritikern feiern konnte.

Charlotte Rampling, die 1974 die Rolle der Lucia in «Der Nachtportier» gespielt hatte, wird in Locarno den «Excellence Award» in Empfang nehmen dürfen.

Ehre für Schweizer Kino

Mit einem Grossaufgebot wird dieses Jahr auch das Schweizer Kino präsent sein: 37 Filme in diversen Kategorien werden die Leinwände erleuchten. Den Hauptteil liefern dieses Jahr Regisseure aus der Deutschschweiz.

Kandidaten für den Goldenen Leoparden sind zwei Dokumentarfilme, ein Genre, in dem es die Schweiz zur Meisterschaft gebracht hat und «das eine immer wichtigere Rolle im künstlerischen Schaffen einnimmt», wie Olivier Père betont.

«The end of time», von Peter Mettler ist ein poetischer Film zum Konzept der Zeit, während «Image Problem», das erste Werk von Simon Baumann und Andreas Pfiffner, ein humoristischer Dokumentarfilm mit einer überraschenden Kehrseite ist.

Die Ehre, das Festival zu beschliessen, kommt dem Schweizer Regisseur Markus Imhoof zu, der seinen neusten Dokumentarfilm «More than money» in einer Weltpremiere präsentieren wird. Der Film habe eine starke ökologische Botschaft und sollte ein internationales Publikum überzeugen, so Père.

Zwei weitere Schweizer Produktionen haben es auf die Piazza Grande geschafft: «Nachtlärm» von Christophe Schaub und «Das Missen Massaker», eine Hommage des Regisseurs Michael Steiner an den italienischen Regisseur Dario Argento.

Aus der italienischsprachigen Schweiz quasi zu einem Heimspiel antreten dürfen Niccolò Castelli mit «Tutti giù» – in dem unter anderen die Skirennfahrerin Lara Gut auftritt – und Alice Riva, die in der Kategorie «Leoparden von morgen» ihr Werk «Il Vulcano» präsentieren wird.

Ein Blick zurück

Zu den Neuheiten der 65. Ausgabe des Festivals gehört das neu eingeführte Programmgefäss «Histoire(s) du cinéma», in dessen Rahmen auch etwa 50 restaurierte Schweizer und internationale Klassiker und Dokumentarfilme über das Filmschaffen gezeigt werden. Der Titel des neuen Programms verweist übrigens auf das Meisterwerk von Jean-Luc Godard.

Karrieren-Leoparde erhalten werden der chinesische Regisseur und Produzent Johnnie To, unter anderem Autor von «Life without principle» und «Election», der amerikanische Musiker und Autor Harry Belafonte und der polnische Regisseur Krzysztof Zanussi.

Wo bleibt Italien?

Mit Ornella Muti, Renato Pozzetto und dem Regisseur Dino Risi kommt auch das italienische Kino zu Ehren. Allerdings ist Italien ausserhalb dieser Ehrungen lediglich mit einem einzigen Film im internationalen Wettbewerb vertreten: mit «Padroni di casa» von Edoardo Gabbriellini, in dem unter anderen Elio Germano, Valerio Mastrandrea, Gianni Morandi und Valeria Bruni Tedeschi mitspielen.

«Locarno hat für den italienischen Film keine Priorität», gibt Olivier Père zu. «Es ist eine schwierige Liebesgeschichte zwischen zwei Nachbarn, die auch durch die Präsenz des Filmfestivals Venedig etwas schwierig ist. Es ist einfacher, an US- oder japanisch Filme zu kommen, als an italienische.»

In Zusammenarbeit mit dem schweizerischen Filmarchiv und der Cinémathèque française zeigt das Festival eine umfassende Retrospektive des Hollywood-Meisters Otto Preminger (1905 -1986).

Vom 1. Bis 11. August werden rund 40 seiner Filme gezeigt.

Wie schon bei den Retrospektiven zu Ernst Lubitsch (2010) und Vincente Minnelli (2011) werden die Filmvorführungen von Gesprächen mit in Locarno anwesenden Filmemachern, Schauspielerinnen und Filmkritikern begleitet.

Unter den Gästen finden sich der amerikanische Sänger und Schauspieler Harry Belafonte («Carmen Jones», 1954), der Komponist Paul Glass («Bunny Lake ist verschwunden», 1965) und die französische Schauspielerin Mylène Demongeot («Bonjour Tristesse», 1958), die über ihre Arbeit mit Preminger erzählen wird.

Die Programmreihe Open Doors, durchgeführt mit Unterstützung der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza), will Filmemacher und Produzenten aus Ländern des Südens und Ostens unterstützen, «in denen das unabhängige Filmschaffen auf noch unsicherem Fundament steht».

Das Programm wendet sich alljährlich einer anderen Weltregion zu, dieses Jahr dem frankophonen Afrika südlich der Sahara.

Verschiedene Persönlichkeiten aus dem afrikanischen Film haben ihre Teilnahme zugesagt. Darunter zwei Regisseure aus Burkina Faso: Idrissa Ouödraogo, 1989 mit «Nonna » auf der Piazza Grande, und Gaston Kaboré, der 1983 mit «Wend Kuuni» den César für den besten frankofonen Film gewonnen hat.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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