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Eine Schweizerin revolutionierte die italienische Grafik

Werbeplakat mit einer Frau, die auf einem Sessel sitzt
Mit Postern für La Rinascente drang Lora Lamm in die Welt der Grafik ein, die bis dahin von Männern dominiert worden war. Archivi La Rinascente

Die Welt des Designs und der Grafik war bis kurz nach dem Zweiten Weltkrieg vorwiegend eine männliche. Doch es war eine Frau, welche die italienische Ästhetik des Wirtschaftsbooms revolutionierte: die Schweizerin Lora Lamm. Achtzig Jahre nach ihrer Geburt ist ihr Stil immer noch aktuell. Gegenwärtig wird sie an der Triennale di Milano gefeiert.

Die 1938 in Arosa im Kanton Graubünden geborene Lora Lamm absolviert eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule und an der Hochschule der Künste in Zürich, wo auch ein anderer Schweizer Designer studiert, der später gleichzeitig südlich der Alpen tätig sein sollte: Max Huber.

Und wie Huber beginnt Lamm ihre Karriere in Mailand, das zwischen den 1950er- und 60er-Jahren nach dem Krieg und inmitten eines Wirtschaftsbooms zur wirtschaftlichen und kulturellen Hauptstadt Italiens wurde. 1953 findet sie einen Job im Studio Boggeri, einem Bezugspunkt für die damaligen Kreativen (alles Männer, ausser der Anita Klinz aus Istrien). Diese Erfahrung wird für Lamm nicht nur beruflich, sondern auch persönlich entscheidend, weil sie ihr Talent auf Augenhöhe mit ihren männlichen Kollegen beweisen kann.

Der Wendepunkt

Nur ein Jahr später geht die junge Designerin aus Arosa zu La Rinascente, den grossen Kaufhäusern, die das Symbol der Wiedergeburt (wie der Name schon sagt) Italiens waren. Krieg, Tod und Hunger waren nur noch eine ferne Erinnerung: Die Männer – und vor allem die Frauen – wollten das Leben geniessen und Geld ausgeben.

Und während Huber das Logo für La Rinascente entwirft, kümmert sie sich um die Werbekampagne, die sofort zum Erfolg wird. Ihre feminine Note, ironisch, mit leuchtenden Farben, sind ein frischer Wind in einem Bereich, der Grafik, der damals von Männern dominiert wurde. Lora Lamm vermittelt durch die Werbung das Bild einer emanzipierten, unabhängigen Frau, die sich zu Hause wie auch in der Gesellschaft frei bewegt.

Die «Reifenprüfung»

Durch ihre Arbeit bei La Rinascente wird ihr Talent weitherum bekannt, und 1958 beginnt sie ihre Zusammenarbeit mit dem Reifenhersteller Pirelli. Für sie wird es eine neue Herausforderung, möglicherweise noch anspruchsvoller als die vorherige. Für eine Frau hätte es eine schwierige Aufgabe sein können, für Fahrrad- und Lastwagenreifen zu werben (und nicht für Kleidung oder Heimtextilien). Aber nicht für Lora Lamm.

1959 schuf sie das Stellplakat «Pirelli für den Scooter», das in kürzester Zeit zu einer Ikone nicht nur der Werbegrafik, sondern auch des Lifestyles wurde.

«Das Mädchen mit horizontal gestreiftem Hemd und einer blauen Hose, das vom Rücksitz des Rollers zurückschaut», heisst es auf der Website der Fondazione Pirelli, «war schon immer das ikonische Bild des Pirelli Motor Scooter, eines Reifens, den das Unternehmen in der unmittelbaren Nachkriegszeit entwickelt hat, um das innovative Zweiradfahrzeug, das Italien eroberte, zum Fahren zu bringen. Der Roller, ob er nun Vespa oder Lambretta genannt wurde, war eine Hommage an das freie Leben moderner Mädchen.»

Werbeplakat für Pirelli-Reifen mit Mädchen mit horizontal gestreiftem Hemd und einer blauen Hose auf rotem Scooter
Ein Plakat, das Geschichte schrieb. Fondazione Pirelli

Der Lora-Lamm-Stil

Die Erfahrung bei Pirelli wird Lora Lamms Meisterprüfung. 2018 zeigt nun die Triennale di Milano ihre Werke in der Ausstellung «Stories. Italian Design»Externer Link (dauert noch bis 20. Januar 2019).

Die Arbeiten der Schweizer Designerin sind sofort erkennbar. «Lora Lamm bringt ihren ganz eigenen Stil mit», schreibt die Fondazione Pirelli. «Die Fähigkeit, ‹feminin› zu sprechen, mit Anmut, Einfachheit und Modernität. Nach dem Mädchen auf dem Scooter ist das Kind, das die heisse Wasserflasche von 1960 umarmt, ebenso berühmt.» Eine ikonische Illustration, die Tradition und Moderne perfekt verbindet.

Werbeplakat für Wärmeflaschen mit Kind, das eine heisse Wasserflasche umarmt
Der Wechsel von Möbeln und Kleidung zum Pirelli-Gummi war für Lora Lamm ein Kinderspiel. Fondazione Pirelli

Auch heute noch wird die Meisterschaft von Lora Lamm über die italienischen Grenzen hinaus anerkannt. So hat sie die Designerin und Historikerin Lubby Sellers in ihre Anthologie «Women Design: Pioneers in architecture, industrial, graphic and digital design from the twentyth century to the present day» aufgenommen.

Das Buch ist eine Reise vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis heute, über die Frauen, welche die verschiedenen Bereiche des Designs revolutioniert haben, mit Lora Lamm an der Spitze des Bereichs Grafik.

(Übertragung aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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