Mario Botta: Der Mensch hinter dem Architekten
In einem soeben erschienen Buch erzählt der weltweit bekannte Schweizer Architekt Mario Botta in aller Offenheit über sein Leben und sein Werk. Im Gespräch mit dem Journalisten Marco Alloni zeigt sich die zutiefst humane Seite hinter Bottas Architektur.
«Natürlich gibt es viele Bücher über Mario Botta, aber meistens handelt es sich um wissenschaftliche Literatur über seine Werke; über die Art und Weise, wie er Architektur begreift. Es gab noch kein Buch über sein Privatleben, seine Kindheit und seine berufliche Laufbahn», sagt der Journalist und Autor Marco Alloni gegenüber swissinfo.ch. Er ist wie Botta in Mendrisio aufgewachsen, lebt aber seit 14 Jahren mit seiner ägyptischen Ehefrau und den beiden Kindern in Kairo.
«Ich kannte Botta seit vielen Jahren, aber eher oberflächlich. Ich kannte seine Bauten, die im Tessin stehen, ich kannte seinen Haarschopf, und ich sah ihn gelegentlich in den Gassen Mendrisios», erzählt Alloni. Doch immer sei ihm die Frage geblieben: «Wer ist Botta in Wirklichkeit, wie hat er gelebt, wie ist er zur Architektur gekommen?»
Alloni begann Informationen über Botta zu sammeln. «Ich habe Bücher gelesen, Bibliotheken und das Internet durchforstet, aber über Botta gab es praktisch nichts. Natürlich gab es etliche Bücher über sein Werk, aber eben nicht ein einziges über ihn als Menschen. Daher kam ich auf die Idee, diese Lücke selbst zu schliessen.»
Wie ein reissender Strom
Für Marco Alloni war es alles anderes als einfach, Botta von diesem biografischen Vorhaben zu überzeugen. Er habe keine Nützlichkeit gesehen, ein weiteres Buch zu veröffentlichen. «Die Idee ist meinem eigen Willen entglitten», sagt Botta denn auch gegenüber swissinfo.ch.
Schliesslich willigte er ein. Und im Grunde reichten zwei lange Gespräche, um das Buch «Mario Botta – Architektur leben» zu schreiben. «Es waren intensive und leidenschaftliche Gespräche, die im Juli 2011 in Bottas Büro in Lugano stattfanden, bevor er nach Mendrisio umgezogen ist», erinnert sich Alloni.
«Botta war wie ein reissender Strom, er erzählte pausenlos und erinnerte sich auch an die kleinesten Details aus seinem Leben und seiner Kindheit. Er sprach über seine Leidenschaft fürs Zeichnen und für die Kunst, seine Annäherung an die Architektur, seine Projekte, Erfolge und Misserfolge, seine Reisen und Ausstellungen.»
Das Buch zeigt den Menschen hinter dem Erbauer von Werken wie der Kathedrale von Evry in Frankreich, der Banca del Gottardo in Lugano, dem Museum Tinguely in Basel oder auch der Erweiterung der Scala in Mailand, um nur einige Projekte zu nennen.
Eine glückliche Kindheit
Geboren wurde Mario Botta 1943 in Mendrisio. Er verbrachte seine Kindheit «in einem bescheidenen Bauernhaus in Mendriso», wie er selbst sagt. Er war das jüngste Kind von drei Geschwistern. Sein Bruder war neun, seine Schwester acht Jahre älter als er. Und natürlich wurde er als Nachzügler entsprechend verwöhnt.
Als der kleine Mario sieben Jahr alt war, trennten sich die Eltern. Der Vater verliess das Haus. Er sollte ihn nur noch einmal in seinem Leben, im Jahr 1968, sehen. Trotz der Abwesenheit des Vaters bezeichnet Botta seine Kindheit als «glücklich». Die Präsenz der Grossmutter und Tanten mütterlicherseits konnten das Fehlen des Vaters kompensieren.
Diese halfen der Mutter Maria, die gelegentlich als Schneiderin zu Hause arbeitet. «Meine Mutter war eine hagere Frau, und ich fand immer, dass sie eine grosse Ähnlichkeit mit den Figuren von Giacometti hatte», sagt Botta in seinem Buch.
Botta wuchs im Südtessin in der Grenzregion zu Italien auf. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg gab es enge und freundschaftliche Beziehungen zum südlichen Nachbarland. «Fast alle Familien hatten Freunde oder Verwandte unter den Bewohnern in der Nähe der Grenze. Auch unserer Familie hatte mütterlicherseits Verwandte in Bizzarone und Uggiate», erzählt Botta. «Meine Kindheit lag in der Zeit zwischen 1943 und 1950, in der es eine starke Empathie für Italien gab.“
«In dieser Hinsicht lebten wir immer auf beiden Seiten der Grenze», sagt Botta. «Wir lebten nicht in dem Teil, den wir als ‹Innerschweiz› bezeichneten, und wir fühlen uns ihr auch nicht zugehörig.» Selbst Lugano war weit weg. «Allenfalls war Como unser Zentrum. Wenn meine Mutter mit mir «in die Stadt fuhr», dann ging es nach Como, wo es an der alten Stadtmauer einen Wochenmarkt gab.»
Botta war eine Frühgeburt gewesen und in seiner Kindheit kränklich und schwach. Er wurde deshalb zu ruhigeren Spielen angehalten, bei den es vorsichtig zu und her ging und er möglichst sitzen sollte. «Vielleicht habe ich deshalb mit dem Zeichnen begonnen», meint Botta.
Studium in Venedig
Der künftige Architekt absolviert die Schule ohne grosses Engagement: «Ich war ein durchschnittlicher Schüler, ein Schüler mit Noten zwischen 4 und 5″, wie mir einige Jahre später einer meiner Professoren sagte. Ich war zum Beispiel gut in Mathematik, weil man Mathematik nicht lernen, sondern nur verstehen muss. Und ich war gut im Zeichnen, weil es meine Leidenschaft war.»
Diese Leidenschaft brachte ihn dazu, im Jahr 1959 und damit im zarten Alter von 16 Jahren, sein erstes Einfamilienhaus in Morbio Superiore zu entwerfen. Botta hatte sich zum Ende der obligatorischen Schulzeit entschieden, eine Lehre als Bauzeichner zu absolvieren.
«Ich hatte das Glück, beim Architekten Tita Carloni in Lugano die Lehre zu beginnen. Dort konnte ich mich der Architektur nähern, aber auch meine Grenzen erkennen. Daher schrieb ich mich schliesslich in das Kunstgymnasium von Mailand ein», so Botta. Das zweite und dritte Jahr studierte er als Privatschüler zu Hause, und so gelang es ihm, die vier Jahre des Kunstgymnasiums in drei Jahren zu absolvieren. 1964 machte er die Matura.
Botta erkannte seinen Weg. Er fühlte sich von Italien und seiner Kultur angezogen und wählte Venedig als Studienort für Architektur, «auch weil ich kein Deutsch konnte», wie er zugibt. In der Lagunenstadt hat er das Glück, den Italiener Carlo Scarpa als Lehrer zu erhalten, der ihn bis zum Diplom im Jahr 1969 führte. Durch diesen stiess Botta auch auf wichtige Persönlichkeiten wie den Neuenburger Architekten Le Corbusier. Und dem Amerikaner Louis Kahn half er im Rahmen einer Zusammenarbeit beim Bau des Kongresshauses von Venedig.
Kahn machte Botta sogar das Angebot, mit ihm in Dhaka zu arbeiten, wo er den neuen Parlamentskomplex baute. Dhaka sollte 1971 die Hauptstadt des neuen Staates Bangladesch werden. Doch Botta lehnte ab.
«Das Projekt von Dhaka war faszinierend, und er war einer der Architekten, die ich am meisten bewunderte. Trotzdem verzichtete ich schweren Herzens. Ich spürte, dass für mich die Zeit gekommen war, selbständig zu arbeiten. Die Zeit der Ausbildung war vorbei. Wenn ich mit Kahn gegangen wäre, wäre ich wahrscheinlich als Fremder durch die Welt gereist. Aber ich wollte dort arbeiten, wo ich geboren war. Dort glaubte ich, die besten Möglichkeiten zu haben, um mich den Herausforderungen meines Berufs zu stellen. Im Jahr 1969 kehre ich also in die Schweiz zurück und eröffnete ein kleines Architekturbüro, zuerst in dem Dorf, in dem ich wohnte, und einige Monate später in Lugano.»
Seither sind 40 Jahre vergangen. Und in der Zwischenzeit hat sich Mario Botta als Architekt in der ganzen Welt einen Namen gemacht. Egal, ob man seinen Stil mag oder nicht, es steht ausser Frage, dass er die zeitgenössische Architektur geprägt hat. Von 600 Entwürfen hat er rund 100 verwirklichen können.
Der energische Architekt mit seinem wallenden Haar und seiner runden Brille hat am 1. April seinen 69. Geburtstag gefeiert. Doch von Müdigkeit und Pensionsgelüsten keine Spur. Marco Alloni hat in dieser Hinsicht keine Zweifel: «Er wird wohl eines Tages bei der Arbeit an seinem Zeichentisch sterben.»
Mario Botta, geboren am 1. April 1943 in Mendrisio, gehört zu den bekanntesten Schweizer Architekten. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
1970 gründete er sein eigenes Architekturbüro in Lugano.
2011 verlegte er das Büro in seine Heimatstadt Mendrisio, wo er selbst in einer alten umgebauten Spinnerei in der Altstadt wohnt, ganz in der Nähe zur Architekturakademie, die er 1996 gegründet hat und heute als Direktor leitet.
Er war Gastprofessor in zahlreichen Architekturfakultäten der Welt (Europa, USA, Südamerika und Asien) und unterrichtet auch an den Eidgenössischen Technischen Hochschulen.
Botta erhielt zahlreiche Preise und internationale Auszeichnungen. Seine Werke reichen von Einfamilienhäusern über Banken und Schulen bis zu Verwaltungsgebäuden, Museen und Bibliotheken.
Marco Alloni wurde 1967 in Mendrisio geboren. Er lebt seit vierzehn Jahren als Autor und Journalist in Kairo. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern.
Für den italienischen Verlag Alberti betreut Alloni die Buchreihe Dialoghi, in welcher seine Gespräche mit bedeutenden intellektuellen Persönlichkeiten publiziert werden.
Mario Bottas Biographie in Interviewform erschien Ende März 2012 in italienischer Sprache beim Verlag Casagrande in Bellinzona unter dem Titel «Mario Botta- Vivere l’architettura – Conversazione con Marco Alloni» (222 Seiten).
Gleichzeitig erschien das Buch in deutscher Übersetzung unter dem Tiel «Mario Botta –Architektur leben» beim Stämpfli Verlag Bern (240 Seiten).
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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