«Mein Humor funktioniert in Deutschland nicht»
Die Schweizerin Laura de Weck lebt seit einem Jahr als Schauspielerin und Autorin von Theaterstücken in Hamburg. "Die Sprache verrät vieles über einen Menschen, aber nicht alles", sagt sie im Interview mit swissinfo.
Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz ist auf politischer Ebene gerade etwas getrübt. Im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Steueroasen hat der deutsche Finanzminister Peer Steinbrück kürzlich gesagt, gegenüber der Schweiz müsse man nach dem Zuckerbrot jetzt die Peitsche anwenden.
swissinfo: Was halten Sie von dieser Wortwahl?
Laura de Weck: Das ist typisch für die deutsche Mentalität, insofern man überhaupt von einer nationalen Identität sprechen kann. Es ist eine sehr direkte Formulierung von Steinbrück. Interessant finde ich die Reaktionen aus der Schweiz.
swissinfo: Inwiefern?
L. W.: In der Schweiz fühlen sich viele, die das Hochdeutsche nicht gut beherrschen, etwas minderwertig gegenüber den Deutschen. Wenn man als Schweizer in Deutschland lebt, muss man viel Übersetzungsarbeit leisten, um diese Sprache zu sprechen. Eine Formulierung wie ‹Zuckerbrot und Peitsche› würde einem Schweizer gar nicht einfallen. Deshalb empfinden wir dieses Zitat besonders als Beleidigung.
swissinfo: Sprechen und Dialog machen den Kern Ihrer Arbeit aus. Was verrät die Sprache über einen Menschen?
L. W.: Viel, aber nicht alles. Wohl nur die Hälfte von dem, was er wirklich sagen will. Wenn ich Theaterstücke schreibe, benutze ich oft die Schweizer Mentalität. Die ist nützlich fürs Theater, gerade weil nicht alles nur über die Sprache gesagt wird, sondern vieles auch über den Körper und die Mimik, die genau so viel erzählt wie die Sprache, oft sogar mehr. Wenn jemand sagt ‹ich liebe dich› und der Partner zusammenzuckt, bedeutet dieses Zusammenzucken viel mehr als etwa seine Antwort ‹ich dich auch›. Der Körper erzählt hier mehr als das gesprochene Wort.
swissinfo: Was haben Sie in Deutschland über das Schweizerische gelernt?
L. W.: Man sagt immer, die Schweizer seien langsamer als die Deutschen. Ich glaube nicht, dass das stimmt, die Schweizer reden einfach weniger. Wenn man einem Deutschen und einem Schweizer je fünf Minuten Zeit gibt, um etwas zu erzählen, wird der Deutsche diese fünf Minuten mit Text füllen. Der Schweizer dagegen füllt davon vielleicht nur zwei Minuten mit Text, erzählt aber genau so viel, und zwar durch die Pointen und Pausen, die er setzt, durch seine Körpersprache. Das ist auch eine Art von Kommunikation.
swissinfo: In welchen Momenten fühlen Sie sich klar als Schweizerin?
L. W.: Früher habe ich immer gedacht: Deutschland, Österreich, Schweiz, das ist doch alles eins, da gibt es überhaupt keine Unterschiede. Erst seitdem ich jetzt wieder in Deutschland lebe, spüre ich stark, dass ich Schweizerin bin. Dagegen kann ich mich nicht wehren und will es auch nicht. Die allertypischste Situation ist, wenn zwei Leute sich auf der Strasse anrempeln. Deutsche beschimpfen sich gegenseitig. Schweizer bitten einander um Entschuldigung.
swissinfo: Welche Rolle spielt der Dialekt oder der Schweizer Akzent bei der Verständigung zwischen Deutschen und Schweizern?
L. W.: Ich mache diese Erfahrung nicht selbst, weil mein Deutsch gut genug ist, dass die Deutschen gar nicht auf die Idee kommen, dass ich Schweizerin bin. Daher weiss ich nicht, welche Reaktionen man in Deutschland mit einem starken Akzent bewirkt. Ich habe bereits als Kind fünf Jahre in Deutschland gelebt und zuerst Deutsch und nachher Schweizerdeutsch gelernt.
Die deutsche Sprache ist mir sehr nahe, ich liebe sie und arbeite gerne mit ihr. Ich fühle mich im Hochdeutschen mehr zuhause als im Schweizerdeutschen. Aber beim Humor, der Höflichkeit und der Zurückgezogenheit bin ich Schweizerin.
swissinfo: Was bereitet Ihnen Mühe in der Kommunikation?
L. W.: Als ich nach Deutschland zog, merkte ich, dass mein Humor hier nicht funktioniert. Keiner fand lustig, was ich ironisch meinte. Umgekehrt machten die Deutschen Witze, über die alle lachten, nur ich verstand die Pointe nicht. Ironie hat viel mit Vertrautheit zu tun.
swissinfo: Deutsche sind in der Schweiz nicht überall beliebt. Was machen sie falsch?
L. W.: Ach die machen gar nichts falsch. Die sind so, wie sie eben sind. Vieles muss erklärt, erzählt, besprochen und diskutiert werden. Es läuft unheimlich viel über die Sprache. Das ist für uns Schweizer erst einmal fremd und schafft daher Distanz. Ich habe viele deutsche Freunde in der Schweiz. Wenn ich die frage, wie es ihnen geht mit dieser Unbeliebtheit, sagen sie, sie könnten diese Frage schon gar nicht mehr hören. Inzwischen hat sich die Situation verändert. Die Schweizer sind gegenüber den Deutschen besonders freundlich, um nicht als fremdenfeindlich zu gelten. Und das ist doch wieder sehr schweizerisch!
swissinfo: Warum tun sich die Schweizer so schwer mit den Deutschen?
L. W.: Vielleicht lässt sich das an der spezifischen Art, mit Humor umzugehen, beantworten. Wenn die Deutschen lachen, machen sie sich eher über andere lustig. Die Schweizer dagegen lachen oft über sich selbst. Das zeigt einerseits, dass die Schweizer zu Selbstironie und Witz fähig sind. Sie können über ihre eigene Unfähigkeit, mit dem Leben umzugehen, lachen. Es zeugt aber auch von einem Minderwertigkeitskomplex. Wenn man sich jemandem gegenüber minderwertig fühlt, entwickelt man Aggressionen.
swissinfo: Was ist Ihr Rezept für eine bessere Verständigung zwischen Deutschen und Schweizern?
L. W.: Beide Seiten müssten einen Schritt tun. Seit ich in Hamburg lebe, lerne ich von den Deutschen, direkter zu sein und auszusprechen, was mich stört; mir nicht alles gefallen zu lassen.
Die Deutschen könnten von den Schweizern lernen, sich nicht so schnell zu ärgern, den Dingen Zeit zu lassen und damit unnötige Konflikte zu verhindern. Wenn beide aufeinander zugehen, kann das ganz toll klappen. Es gibt wunderbare Freundschaften zwischen Deutschen und Schweizern.
swissinfo-Interview: Susanne Schanda
1981 wurde Laura de Weck geboren und wuchs in Paris, Hamburg und Zürich auf.
Sie studierte Schauspiel an der Hochschule für Musik und Theater in Zürich.
In der Spielzeit 2007/2008 war sie als Schauspielerin am Jungen Schauspielhaus Zürich engagiert.
Ihr erstes Theaterstück, «Lieblingsmenschen», wurde 2007 im Theater Basel uraufgeführt und anschliessend an mehreren Theatern nachgespielt.
Das zweite Stück «SumSum» wurde im Mai 2008 im Theater Chur uraufgeführt.
Seit einem Jahr lebt Laura de Weck in Hamburg, wo sie Ensemblemitglied des Jungen Schauspielhauses ist.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch